Anfang der 1970er Jahre narrte der vorgebliche Jungbauer Max Maetz zuerst den oberösterreichischen und dann den deutschen Literaturbetrieb. In dem als Schelmenroman angelegten “Bauernroman. Weilling Land und Leute” entlarvte er mit Witz, spitzer Ironie und schräger Übertreibung die scheinbare Idylle des oberösterreichischen Landlebens. Hinter dem Pseudonym Max Maetz steckte in Wahrheit der politische Schriftsteller Karl Wiesinger.
Ohne Groß- und Kleinschreibung, ohne Satzzeichen beschreibt er das Leben und die Arbeit der Landleute, die alltäglichen Banalitäten und recht freimütig das Liebesleben der Bauersleut.
wer im gebiet um sankt florian herumgeistert zwischen enns ebelsberg hofkirchen und tillysburg der sieht sich in einer fruchtbaren reichen landschaft voll sonn im sommer und voll nebel im herbst winter und frühling ein friedliches land und wer aus dem auto aussteigt der steigt ganz bestimmt auf einen hasen oder ein reh aber zumindest auf einen fasan ein rebhenderl ein wildschwein oder so
ein schönes land ein niedliches land mit musikanten und braven leuten bauern schneidern dentisten schullehrern ein bruckner land voller jagdeifer und erntefleiß und voll dienstbarkeit und duldsamkeit und ruhe und frieden aber wenn man die decke lüpft das ist dann wie bei der kadi oder bei der mitzi aus karntn oder bei der suse dann ist da verdammt viel wurlndes leben drunter und leidenschaften gibts nicht nur in spanien oder so und fleiß nicht nur in deutschland und laster nicht nur in baris und sex nicht nur und borno in dänemark.
Im Oberösterreich der 1970er Jahre gab es noch kein Kabelfernsehen. Die Menschen am Land saßen vor ihren Häusern und sprachen mit vorbeigehenden Nachbarn, erzählen sich gegenseitig Tratsch. Wer welchen Traktor gekauft hatte, wer mit dem Traktor wohin gefahren ist, wer unter den Traktor gekommen ist.
Die spektakulärsten Live-Acts waren das Feuer-Schauen und das Unfall-Schauen. Gemeinsam fuhr man in den Nachbarort, wenn dort ein Bauernhaus nach einem Blitzeinschlag niederbrannte und fuhr erst heim, wenn die Feuerwehr nur noch die letzten glosenden Balken zum Erlöschen brachte.
Bei Max Maetz spazieren die Bauern während der Arbeit zum blekboint, einer unfallreichen abschüssigen, nach außen hängenden Autobahnkurve und warten auf den nächsten Unfall.
unser kukuruzacker grenzt an die autobahn mit einem zipfel und dort ist einer der besten berühmtesten blekboints denn die autobahn kommt hier vom blekboint will sagen vom mönchsberg herunter in einer art tödlichem weil sanftem gefälle mit sanfter anschließender kurve und die autofahrer aus dem salzkammergut die schnell nach wien wollen weil es nur dort noch viel schöner ist als in der stein und wasserlackenwelt die haben es also immer besonders eilig denn wien ist wien und nur in wien gibt es eine hofreitschule und strahlende straßen mit geschäften und eine oper (…)
aber auf unserem blekboint sitze ich gerne weil hier ist alle augenblicke was los da kommen zum beispiel eben nebeineinander drei autos den berg herunter und einer derpackts nicht und kommt ins schleudern und kollert rollt rutscht donnernd auf dem dach räder nach oben dem mitelstreifen zu auf die gegenfahrbahn wusch und dort ist zu seinem glück und unserem pech gerade kein verkehr und der bauer neben mir nickt mit der pfeife im mund mehrmals mit dem kopf und der wagen kommt drüben zum stehen und die ganze autobahn ist übersät mit blumiger wäsche (…)
Ganze Schulklassen kommen am Höhepunkt ihrer Wandertage dort hin und hoffen auf ein möglichst blutiges Spektakel. wenn wir glück haben gibt es viel stoff für uns für den morgen fälligen aufsatz.
Durch das gesamte Buch zieht sich aber auch Kritik an den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen am Land. Vater streck dich, Tischlein deck dich – der böse Spruch wiegt am Land oft noch schwerer als in der Stadt. Wer ein gutes Erbe antritt, kann sichtbar Reichtum und Wohlstand zeigen, hat eine Chance auf eine gute Partie und damit auf noch mehr Geld.
Den meisten Speck frisst der Bauer mit dem größten Grund, das oberste Prinzip heißt Egoismus und ganz unten auf der Sprossenleiter steht der Knecht, oftmals der tschusch, der sogar beim Unfall-Schauen außen vor bleibt.
der bauer hat wie erwähnt einige tschuschen aufgenommen für die gröbste arbeit mit den rüben und hinter dem erdäpfelroder her denn da muß einer auf dem traktor sitzen und ein anderer oder mehrere im dreck auf den knien bei regen und hitze hinterherrutschen die knollen aufsammeln (…) bei den vielen fremdarbeitern können wir schon einmal zum blekboint fahren dort bei einem zigaretterl sehen was es neues gibt (…)
Wenn nicht gearbeitet wird und die Sirenen von Rettung, Polizei und Feuerwehr still sind, wird vor allem gegessen und getrunken. Oder gefressen und noch weit mehr gesoffen und noch mehr Speck und Brot nachgelegt, damit noch mehr gesoffen werden kann.
Und wenn nicht gearbeitet wird und schon genug gesoffen wurde, aber noch nicht ganz zu viel, verlagert sich das dionysische Freizeitverhalten der lebenslustigen Max Maetzschen Protagonistinnen und Protagonisten ins Heu oder Schlafzimmer. Und präsent ist zu jeder Zeit, auch in der Hochzeitsnacht des Jungbauern, der Arbeits- und Trinkethos der Oberösterreicher: Wer Saufen kann, kann auch ….
stockblau war ich nach der hochzeit aber die kadi versteht einen spaß weil sie weiß was üblich ist auf dem land wie sich ein großbauer der ich jetzt bin aufführt und was ihm zusteht und die mutter ist still in ihre kammer gegangen und die gäste ihrer noch ein dutzend ham weiter gesoffen und gefressen wie die löcher und ich bin mit der kadi in die schlafkammer gut geheizt schön warm alles neu die möbel der teppich die betten die tuchenten gewaltig weich daunen und so und in der ferne ham wir noch den lauten gesang der studenten gehört mit dem bürgermeister an der spitze
ich steh vor dem spiegel und schau mir meine geschwollenen augen an und sag sakra sakra das war ein fest eigentlich hätten wir gar nicht kirchlich heiraten dürfen kadi sag ich weil ich ganz heidnisch bin und du schon vor der ehe immer fest ach was sagt sie und zieht das kleid aus und das unterkleid spinnst vielleicht die kirchliche sach ist doch das schönste heid hin heid her und zieht die strümpf aus und das hemd und den busenhalter das hoserl den strumpfgürtel und was sie so alles um ihr fleisch geknöpft und gehaftelt hat und wir sind jetzt mann und frau basta
da steht sie schon nackig und meint jetzt dürfen wir alles was wir wollen machen nicht daß sie mir nackert neu wär sie ist immer gleich seit ich sie kenn und ich kenn sie gewiß und jedes winkerl an ihr und wärs noch so winzig aber jetzt bin ich müd nach der sauferei und zieh mich auch aus es ist schließlich schon fünf aber es gehört sich daß ich sie nocheinmal umarm doch das soll man nicht tun wenn man nix anhat denn da gehts schon wieder los bei ihr und bei mir
2019 brachte der PROMEDIA Verlag “Bauernroman. Weilling Land und Leute” neu heraus. Zu beziehen auch direkt im Online Shop des Verlags. Das Original erschien im Jahr 1972.
Auszüge aus dem “Max Maetz Wörterbuch”, Anhang aus der Original-Ausgabe von 1972
diata mundartlich für Theater (Oö)
eppa volksmundartlich gebraucht für: etwa
falot Fallot, auch Falott; aus dem Französischen; Umgangssprache für: Gauner
föstbad gemeint ist das ehemalige VOEST-Bad am Weikerlsee, ein Bad für die Angehörigen der Vereinigten österreichischen Eisen- und Stahlwerke
gattihosen für Gatehose, Gatehosn: Unterhose; lange männliche Unterhose
gebenzt benzen hat gebenzt: a) inständig, aufdringlich bitten b) ständig jemanden ermahnen, tadeln, lästig sein
gjausnet jausnen: eine Zwischenmahlzeit, einen Imbiß einnehmen; jetzt wird gjausnet: jetzt nehmen wir eine Zwischenmahlzeit
gstur vom österr. mundartl. Gsturi: Schwierigkeiten machen oder haben
imideschn gemeint ist Imitation (aus dem Englischen)
katz etwas vulgärer, aber populärer und schmeichelhafter Ausdruck für eine fesche Frau; auch Henn
kuhbuderer volkstümlich für Sodomit, der Tiere (hier z.B. Kühe) geschlechtlich mißbraucht; auf dem Lande noch bis vor kurzem relativ häufig
lötzen lose, frivole oder unüberlegte Redereien (Oö)
loanbank im Mühlviertel (Oö) gebräuchlich für: Lehnbank, Ofenbank
pfüit di Gruß; entstanden aus »Behüte dich (Gott)«
sauhäutenen sehr starker Schnaps, wie er auf dem Land gebrannt wird, oft heimlich und unter Umgehung des staatl. Branntweinmonopols; mitunter nicht ungiftig
scherm den scherm aufhaben: wenn jemandem ein Nachttopf (Scherm) über den Kopf gestülpt wird, dann hat er nichts zu lachen. In diesem Sinne also, wenn einer in einem Schlamassel steckt, dann hat er »den Scherm auf«.
schübel Schüwel, österr. mundartlich für: Bande, Menge, Gruppe
troad oöster. bäuerlich für: Getreide
wusch mundartlicher Ausdruck, um ein Geschehen dramatisch zu untermalen
1972 erschien der “Bauernroman. Weilling Land und Leute”, verfasst vom Linzer Schriftsteller Karl Wiesinger.
Geboren 1923 wuchs Wiesinger in einem kleinbürgerlichen Elternhaus in Linz auf. Zwischen 1934 und 1938 besuchte er das Stephaneum in Bad Goisern, wo er seinen späteren Freund, den kommunistischen Schriftsteller, Politiker und Journalisten Franz Kain kennenlernte.
1941 wurde der junge Wiesinger zur Wehrmacht eingezogen, wo er mit gleichgesinnten Kameraden mehrfach Sabotageakte verübte. Die widerständischen Soldaten wurden erwischt, inhaftiert und in erster Instanz zum Tode verurteilt, in zweiter Instanz freigesprochen.
Nach Wiedereintritt in die Wehrmacht fiel Wiesinger bei Flakhelfereinsätzen im Salzkammergut wieder durch „subversive Tätigkeiten“ auf und wurde abermals inhaftiert. Infolgedessen musste er im oberösterreichischen Wels eine Gefängnisstrafe antreten. Während des Aufenthalts erkrankte er schwer an Tuberkulose.
Die Erfahrungen mit dem Krieg und den Nationalsozialisten hatten Wiesinger zu einem überzeugten Kommunisten gemacht. Er trat nach Kriegsende der KPÖ bei und publizierte in der von der Partei in Linz herausgegebenen “Neuen Zeit” seine literarischen Arbeiten.
Es sind vor allem Romane und Theaterstücke, in denen sich Wiesinger mit aktuellen sozialen und politischen Themen auseinandersetzt.
1964 und 1968 erhält er vom Land Oberösterreich jeweils den Theodor-Körner-Preis und 1981 den Ehrentitel „Professor“ verliehen. Der literarische Durchbruch gelang Karl Wiesinger erst nach der Veröffentlichung seines “Bauernromans”.
“Für seine linken politischen Romane, die Österreichs Geschichte im 20. Jahrhundert zumeist aus der Sicht der widerständigen, kommunistischen Arbeiterschaft beleuchteten, hatte Wiesinger zuvor keinen Verlag in Österreich und der BRD gefunden. Doch nach der Aufdeckung des Pseudonyms Max Maetz rückte er mit einem Mal vom Schatten ins Licht des Betriebs und erhielt in der Folge die anerkennende Aufmerksamkeit von bekannteren Kollegen wie Ernst Jandl, Peter Turrini oder Michael Scharang”, heißt es im Klappentext der aktuellen Neuauflage des Buches.
Information und Quellen
Bauernroman. Weilling Land und Leute (Klappentext)
„Vorwärts, Genossen, es geht überall zurück“. Karl Wiesinger (1923-1991)
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