Österreich

Schlechtes Zeugnis für’s Bildungssystem: „Viele Kinder können nicht mal Schuhe binden“

Vielen Schülerinnen und Schülern fällt es schwer, den Schulalltag mitzumachen. Oft fehlt die Routine, meist die Grundlagen für den zu erlernenden Stoff. Die Pandemie hat gravierende Folgen bei Kindern und Jugendlichen hinterlassen, berichten Lehrerinnen und Lehrer der NeuenZeit. Was braucht es für ein Bildungssystem der Zukunft wirklich? 

Die vergangenen zwei bis drei Jahre haben den Schulalltag verändert. Viele Kinder und Jugendliche kommen nicht mehr damit klar, Teil einer Schülergruppe zu sein und sich in ein Klassengefüge einzubinden. Oft können Schülerinnen und Schüler deswegen auch den Stoff nicht mehr aufnehmen. Das Bildungssystem in Österreich ist starr und reagiert zu langsam auf die Folgen der Pandemie. Viele Lehrkräfte wollen etwas tun, sind aber mit ihrem Latein am Ende:

„Viele meiner Schülerinnen und Schüler tun sich schwer im Schulalltag mitzumachen. Da geht es noch gar nicht um Inhalte, sondern um soziale Grundkenntnisse – wie verhalte ich mich in einer Klasse? Wie gehe ich mit anderen Schulkolleg:innen um? Wer sind Respektpersonen? – Lehrer:innen und die Direktion“, das berichtet uns eine Lehrerin, die im 22. Wiener Gemeindebezirk unterrichet.

Das Lehrpersonal bleibt oft hilflos zurück. Denn ihre Ausbildung bereite auf so etwas nicht vor. Im Studium büffle man nur Inhalte – sei es Mathe, Deutsch, Biologie oder Englisch. Soziale Aspekte fänden in der Lehramtsausbildung zu wenig Platz. Das erzählt nicht nur Frau Bäcker (Name von der Redaktion geändert), sondern so gut wie alle Lehrpersonen, mit denen die NeueZeit gesprochen hat. Was es brauche? – Mehr Unterstützungspersonal! Zusätzliche Beratungslehrerinnen und Beratungslehrer, die die Kinder nicht mit Noten bewerten müssen, aber auch Schulsozialarbeiterinnen und Psychologen.

Lehrkräfte: Schlechte Ausbildung, zu wenig Unterstützungspersonal vom Ministerium

Frau Bäcker unterrichtet an einer Schule mit 1200 Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren. Alle zwei Wochen kommt eine Beratungslehrerin an jeweils vier Tagen die Woche am Schulstandort vorbei. Diese Beratungslehrerin ist im Alltag als Ansprechperson für die Kinder da.

Vier Tage für 1200 pubertierende Schülerinnen und Schüler. Dass das zu wenig ist, zeigen auch die Erzählungen vom Frau Bäcker: „Im Herbst ist es für die Kinder noch recht einfach, einen Termin bei der externen Beratungslehrerin zu bekommen. Doch je länger das Schuljahr dauert, desto voller wird ihr Terminkalender.“

Auch andere Lehrkräfte berichten von alltäglichen Schwierigkeiten bei Schülerinnen und Schülern. Es gäbe Mädchen und Burschen, die einfach nicht mehr in die Schule gehen können: „Die stehen vorm Schulgebäude und trauen sich nicht hinein,“ erzählt ein Lehrer, der zuerst an einer Mittelschule und nun in einer Polytechnischen Schule in Oberösterreich arbeitet.

Schülerinnen und Schüler brauchen mehr Unterstützung

Manche Kinder hätten durch die Pandemie aber nicht nur Lücken bei sozialen Fähigkeiten. Es gäbe Kids, die mit elf Jahren noch nicht einmal Schuhe binden können. Das Bildungssystem in Österreich kann nicht alle Problemlagen auffangen, aber es gibt Beispiele aus anderen Ländern.  Dort, wo es sie gibt, funktioniert die Ganztagsschule meist gut. Das zeigt sich vor allem in den skandinavischen Staaten. Die Kinder und Jugendlichen sind in der Schule gut aufgehoben.

Sie bekommen zu essen und haben ein funktionierendes Lernumfeld. Außerdem können sie bei schulischen Freizeitbeschäftigungen ihren Interessen nachgehen – gemeinsam mit Gleichaltrigen. Das stärkt soziale Kompetenzen der Kinder, und das bereitet am Ende des Tages auch für’s Leben vor. Nur so könne man laut Bildungsexperten:innen die verpassten Chancen der Corona-Jahre langsam wieder aufholen. Fest steht auf jeden Fall: Es wird ein langer Weg. Denn das Bildungssystem, wenn es so starr bleibt, wie es jetzt noch ist, wird diese langwierigen Folgen vermutlich nicht auffangen können.

NeueZeit Redaktion

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