Bildung

Lehramt-Quereinstieg: Ein Thema, zwei Meinungen

Bildung braucht mehr als schnelle Lösungen. Sie braucht Professionalität, Ausbildung und den Mut, langfristig zu denken. Ist der Quereinstieg eine Lösung? Maximal eine Notlösung. Das meint NeueZeit-Praktikant und Lehrer in Ausbildung, Moritz Hofmann. NeueZeit-Redakteur Noah Düker hingegen argumentiert für die Initiative des Bildungsministeriums. Über ein Thema, das die Geister scheidet, haben die beiden ein hitziges „Pro- und Contra“ geführt.

Moritz Hofmann, angehender Lehrer in den Fächern Deutsch und Sport und Redaktions-Praktikant der NeueZeit, argumentiert gegen das Quereinsteiger:innen-Programm.

Noah Düker, Redakteur der NeueZeit argumentiert als ehemaliger Schüler und Verfechter der Praxiserfahrung, für das Quereinsteiger:innen-Programm.

Der Lehrer:innenmangel belastet schon seit längerem VERLINKUNG Österreichs Bildungssystem. Der frisch ernannte Bildungsminister Christoph Wiederkehr (NEOS) führt die Linie seines Vorgängers Martin Polaschek (ÖVP) fort. Er möchte auch in Zukunft vermehrt auf Quereinsteiger:innen im Kampf gegen den Lehrer:innenmangel setzen.

Immer mehr Personen ohne klassische pädagogische Ausbildung werden ins System aufgenommen, um den Mangel zu überbrücken. Doch hinter dieser scheinbar pragmatischen Antwort verbirgt sich ein strukturelles Problem und womöglich eine Gefahr für die Qualität der Bildung.

CONTRA Quereinstieg

Überforderung statt Unterstützung
Viele Quereinsteiger:innen starten mit Enthusiasmus. Doch die Realität im Klassenzimmer ist oft ein Schock. Ohne ausreichende Vorbereitung prallen sie auf einen komplexen Berufsalltag mit übervollen Klassen, herausfordernden Schüler:innen und hohen Ansprüchen. Nicht selten berichten sie von Erschöpfung, Zweifeln und Einsamkeit. Das System verlangt ihnen ab, zu unterrichten, während sie sich parallel pädagogisch qualifizieren sollen und das meist berufsbegleitend, neben einem Vollzeitjob. Eine Überforderung, die nicht nur ihre eigene psychische Gesundheit gefährdet, sondern auch den Lernfortschritt der Schüler:innen beeinträchtigen kann.

PRO: Was tun, wenn keiner im Klassenzimmer stehen will?

Mangelfächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik...
Auch wenn Quereinsteiger die nötige Qualifikation (noch) nicht haben, stellen sich trotzdem viele Schulen die reale Frage: Was tun, wenn man niemanden im Haus hat, der oder die ein bestimmtes Fach unterrichten kann? Besonders in technischen Fächern und „neuen“ Bildungsbereichen wie Informatik fehlt es fast überall an fachlich qualifiziertem Personal. Eine Lösung, dem entgegenzuwirken, ist der Einsatz von Quereinsteiger:innen in eben jenen Fächern als Ausgleich, bis genug Lehrpersonal ausgebildet ist, um den Mangel aufzuholen. Man kann ja auch nur schwer eine Deutschlehrerin ohne mathematische Ausbildung in den Mathematikunterricht setzen, einen Mathematiker ohne Lehrausbildung allerdings schon, wenn es darum geht, mathematische Inhalte zu vermitteln.

CONTRA: Unterschiedliche Niveaus von Lehrkräften – und vom Unterricht

Ausbildungsniveau der Lehrkräfte variiert
Der Quereinstieg schafft eine neue Kluft im Bildungssystem: Zwischen jenen, die eine vollwertige pädagogische Ausbildung absolviert haben, und jenen, die „on the job“ nachqualifiziert werden. In der Praxis bedeutet das oft: Unterschiedliche Unterrichtsqualität, unterschiedliche Gehälter und eine Ungleichbehandlung innerhalb des Kollegiums. Besonders problematisch ist, dass Schüler:innen je nach Schulstandort, Fach oder Bundesland völlig unterschiedliche pädagogische Betreuung erleben. Das gefährdet die Chancengleichheit, ein zentrales Prinzip unseres Bildungssystems.

PRO: Lehrer:innen mit Praxiserfahrung bringen mehr Praxis ins Schulzimmer

Praxis-Diskussion
Einen Vorteil, den Quereinsteiger in die Klassenzimmer der Nation bringen, ist praxisnahe Berufserfahrung. In den Fächern, die sie unterrichten, hat im Schulhaus wahrscheinlich niemand so viel (Berufs‑)Erfahrung – mit Ausnahme von etwaigen anderen Quereinsteigern. Und eben diese Lebens- und Berufserfahrung kann man durch ein Studium nicht ersetzen – genauso wenig wie Lebenserfahrung ein Studium ersetzen kann. Trotzdem spreche ich wahrscheinlich jeder Schüler:in aus dem Herzen, wenn ich sage, dass Schulalltag mehr Praxisnähe und Lebensweisheit vertragen könnte. Eine ausgebildete Lehrperson kann diese Erfahrung allein aufgrund des Werdegangs schwer nachliefern. Jemand, der oder die allerdings bereits Schritte in die Arbeitswelt abseits des Lehramts gemacht hat, aber schon – und genau das wird in Zukunft immer wichtiger werden.

CONTRA: Wenn der Beruf Lehrer:in an Wert verliert

Downgrade des Lehrberufs
Wer das Lehramt zur Notlösung erklärt, riskiert langfristig den Ruf und das Ansehen des gesamten Berufsstands. Wenn jede Person mit Uni-Abschluss plötzlich unterrichten darf, sei es nur vorübergehend, wird der Eindruck erweckt, dass pädagogische Ausbildung zweitrangig ist. Das ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht für ausgebildete Lehrkräfte, sondern auch ein gefährlicher Präzedenzfall. Es wird riskiert, dass Studierende sich aktiv gegen die langwierige Lehramt-Ausbildung stellen und dafür den kürzeren Weg wählen: Quereinstieg. Statt den Lehrberuf zu stärken, wird er durch den inflationären Einsatz von Quereinsteiger:innen entwertet. Langfristig könnte diese Idee dazu führen, dass sich noch weniger junge Menschen für ein Lehramtsstudium entscheiden. Ein Teufelskreis entsteht, der den Mangel an Lehrkräften in Österreich weiter verschärft.

Lehrer:innenmangel in Österreich

  • Anstieg der Schüler:innenzahlen: Im Schuljahr 2023/24 stieg die Zahl der Schülerinnen und Schüler um 1,2 Prozent auf 1.172.406. Besonders in Volksschulen gab es einen Zuwachs von über 9.000 Kindern, hauptsächlich aufgrund von Migrationsbewegungen.
  • Steigende Lehrer:innenzahlen: Trotz des wahrgenommenen Lehrermangels erhöhte sich die Zahl der Lehrkräfte im selben Zeitraum um 1,8 Prozent auf 126.649.
  • Fachkräftemangel in spezifischen Bereichen: Besonders in Fächern wie Mathematik, Physik, Chemie und Bewegung und Sport gibt es einen erhöhten Bedarf an Lehrkräften.
  • Quereinsteiger:innen: Im Schuljahr 2023/24 stieg der Anteil der Quereinsteiger:innen unter den neu eingestellten Lehrkräften auf 8,4 Prozent, während der Anteil der Lehramtsabsolvent:innen auf 50,5 Prozent sank.
  • Pensionierungswelle: Bis 2030 wird rund ein Drittel der etwa 125.000 Lehrkräfte in Pension gehen, was den Bedarf an neuen Lehrkräften weiter erhöht.

PRO: Flexibleres Lehramt – wie man einen „unattraktiven“ Beruf durch Quereinsteiger „attraktiver“ macht

Attraktivität des Lehramts
Ein Problem, das viele junge Menschen nach der Schule (mich eingeschlossen) mit dem Lehrberuf haben, ist eine wahrgenommene fehlende Flexibilität. Die Ausbildung ist, wie eingangs erwähnt, langwierig, die Verantwortung groß und die Urlaubszeiten fix in der Hauptsaison. Auch die beruflichen Aufstiegschancen sind für viele ein Manko. Quereinsteiger flexibilisieren das Berufsbild ein Stück weit. Wer zuvor schon Erfahrung gesammelt hat und sich jetzt umschulen will, kriegt die Möglichkeit, flexibel einen neuen Beruf zu erlernen, und leistet nebenbei einen Beitrag dazu, den Lehrermangel einzudämmen.

CONTRA: Wenn der Notnagel „Quereinstieg“ zum Sargnagel des Lehrberufs wird

Quereinstieg als Ende des normalen Lehrerjobs
Der Quereinstieg mag kurzfristig Lücken schließen doch er öffnet neue. Ohne fundierte pädagogische Ausbildung bleibt der Unterricht eine Zusammensetzung aus einzelnen Fragment. Die Belastung für Quereinsteiger:innen ist enorm, die Folgen für Schüler:innen potenziell gravierend. Qualität, Chancengleichheit und das Berufsbild selbst stehen auf dem Spiel.

Conclusio: Lehramt ist mehr als ein Fachstudium

Quereinsteiger:innen fehlen viele Grundlagen. Das Resultat: Der Unterricht ist oft fachlich korrekt, die Umsetzung aber oft noch unstrukturiert. Kinder und Jugendliche merken rasch, wenn vor der Klasse jemand steht, der keine Erfahrung im Lehren hat. Der Mangel an pädagogischem Know-how führt nicht selten zu Frust auf beiden Seiten. Langfristige Mängel, wie Lücken in der Maturavorbereitung haben weitreichende Folgen für Schüler:innen, auch nach der Schulzeit. Der klassische Ausbildungsweg zum Lehrberuf dauert nicht umsonst sechs Jahre.

Moritz Hofmann

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