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Am 11. November ist Martinitag. Während Kinder mit Laternen durch die Straßen ziehen und das Martinslied zum Besten geben, serviert man in den Wirtshäusern das Martinigansl. Hinter dem vertrauten Ritual steht eine Geschichte, die mehr über unser Verhältnis zu Arbeit, Besitz und sozialer Gerechtigkeit erzählt als man auf dem ersten Blick glauben mag.
Der 11. November war im alten Agrarkalender einer der wichtigsten Stichtage des Jahres. Mit ihm endete das bäuerliche Arbeitsjahr, und zugleich wurden Pachtzinsen, Abgaben und Zehnten fällig. In vielen Regionen war dieser Termin rechtlich festgelegt: nach der Ernte, aber noch vor dem Winter, wenn Vorräte aufgefüllt und Schulden beglichen werden konnten.
Wer kein Geld hatte – und das war in der Landwirtschaft die Regel –, beglich seine Verpflichtungen in Naturalien: mit Getreide, Eiern, Speck oder eben mit einer Gans. Gerade im November war das Tier leicht verfügbar: Die Gänse waren über den Sommer gemästet, geschlachtet wurden sie kurz vor dem Einbruch der Kälte. Sie eigneten sich daher ideal als Abgabe oder als festliche Mahlzeit nach getaner Arbeit.
Wie das Volkskundemuseum Joanneum festhält, erhielten Knechte und Mägde an diesem Tag ihren Lohn und „mancherorts auch eine Gans als Geschenk“.
Das „Martinigansl“ war in diesem Zusammenhang keine Festtagslaune, sondern Teil des Wirtschaftskreislaufs: Abgabe, Pflicht, Zeichen des Abschlusses. Erst viel später wurde daraus ein Symbol des Wohlstands und der Feierlichkeit.
Rund um den Martinstag kreisten auch Bräuche, die den gesellschaftlichen Übergang in den Winter markieren: das Laternenfest, das an den heiligen Martin erinnert, der seinen Mantel mit einem Bettler teilte. Eine Geste der Solidarität, damals wie heute kaum selbstverständlich.
Und im Alpenraum ziehen die Kasmandln umher: Kinder, die mit Glocken und Jutesäcken jene Almgeister verkörpern, die man früher mit Lebensmitteln besänftigen musste. Teilen, Beschwichtigen, Bestehen: Diese Rituale erzählen alle von demselben Versuch, Ordnung und Gemeinschaft in die dunkle Jahreszeit hinüberzuretten.
Heute ist das Martinigansl ein Luxusprodukt. Zwischen 30 und 45 Euro kostet eine Portion, während viele Betriebe kaum Gewinn machen. Der Gansl-Markt ist längst internationalisiert: Importgänse aus Osteuropa füllen Lücken, weil heimische Produzent:innen kaum mithalten können.
Das Martinigansl erzählt eine Geschichte sozialer Bewegung. Was einst von den Untergebenen nach oben floss, ist heute zum Konsumgut geworden, das sich nicht mehr jede:r leisten kann. Die Hierarchie bleibt, nur ihr Gewand hat sich geändert: aus dem Lehnsherrn wird der Markt, aus dem Naturalzins ein Preis auf der Speisekarte.
So bleibt das Gansl politisch. Es erinnert daran, dass Teilen und Zuteilen auch im 21. Jahrhundert keine Frage des Willens, sondern der Verhältnisse ist.
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