Oberösterreich verliert die Kontrolle. Die Corona-Infektionen explodieren, mehrere Personen berichten der Neuen Zeit von einer Überforderung der Behörden. Eltern eines Infizierten mussten sogar Urlaub nehmen, weil ihr Quarantäne-Bescheid zu lange auf sich warten lässt. Trotz Personalmangel zahlt das Land Oberösterreich seinen Contact-Tracern aber weiter nur einen Billig-Lohn von 5,50€ pro Stunde. Statt die Corona-Mitarbeiter fair zu bezahlen, ändert die ÖVP-FPÖ Landesregierung jetzt die Teststrategie: Oberösterreich schert aus und testet Kontaktpersonen der Kategorie 1 nicht mehr – entgegen der Vorgabe des Gesundheitsministeriums.
Tobias (Name der Redaktion bekannt) fühlt sich krank. Der junge Oberösterreicher hat Corona-Symptome und ruft die Gesundheitshotline 1450 an. Am Mittwoch (4. November) wird er getestet. Dass er einer von rund 13.000 Personen in Oberösterreich ist, die aktuell mit dem Coronavirus infiziert sind, weiß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Das Bundesland weist derzeit die höchste sogenannte 7-Tage-Inzidenz auf. Die Inzidenz gibt die wöchentlichen Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner an. Dadurch lassen sich Regionen besser vergleichen. In Oberösterreich liegt die 7-Tage-Inzidenz bei 730, das ist deutlich höher als der Österreich-Schnitt von 475. In manchen Bundesländern schwächt sich das Wachstum bereits ab. Die niedrigsten Infektionswerte pro 100.000 Einwohner weist derzeit Wien auf: Als einziges Bundesland liegt die Inzidenz in der Bundeshauptstadt unter 300.
Eltern müssen Urlaub nehmen, weil Quarantäne-Bescheid nicht kommt
Zurück nach Oberösterreich. Tobias lebt gemeinsam mit seinem Bruder und seinen Eltern in einem Haushalt. Seine Familienmitglieder sind sogenannte Kontaktpersonen der Kategorie 1 (K1) – sie müssen in Quarantäne, wenn Tobias Corona-positiv ist. Aber erst, wenn das Ergebnis vorliegt und die Kontaktpersonen den sogenannten „Absonderungsbescheid“, also den Quarantäne-Bescheid, erhalten. Und das dauert: Erst am Sonntag erfährt Tobias, dass er an Corona erkrankt ist – vier Tage nach dem Test. Einen Quarantäne-Bescheid hat seine Familie sechs Tage nach dem Test immer noch nicht bekommen. Seine Eltern müssen sich daher seit fast einer Woche Urlaub nehmen, um als K1-Personen in der Arbeit niemanden anzustecken. Nur ein behördlicher Bescheid würde sie von der Arbeit freistellen.
Oberösterreichische Behörden: „Wir kommen nicht mehr nach“
Tobias wendet sich telefonisch an die Behörden und weist darauf hin, dass seine Eltern einen Absonderungsbescheid brauchen. Als Antwort erhält er nur: „Wir kommen mit unserer Arbeit leider nicht mehr nach“. Die Bescheide können erst später ausgestellt werden, heißt es.
Dass die Behörden in Oberösterreich überlastet sind, hat nun auch die Landesregierung eingestanden. Seit 9. November wurde der Pool an Contact-Tracern verdoppelt. 180 statt 72 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützen ab sofort die Bezirksbehörden bei der Suche nach möglichen Infizierten. Der Bedarf ist damit wohl nicht gedeckt. So sucht das Land Oberösterreich auch weiterhin nach Contact-Tracern – allerdings zum Billig-Lohn.
Land zahlt Contact-Tracer unter Armutsschwelle
In einer Stellenausschreibung werden für das Contact-Tracing in Oberösterreich 934€ Netto-Gehalt angeboten. Das entspricht einem Stundenlohn von 5,50€ und ist nicht nur deutlich weniger als das Mindestgehalt für Bedienstete im öffentlichen Landesdienst, sondern liegt auch unter der Armuts-Gefährdungsschwelle.
Bereits im September gab es Aufregung um den Niedrig-Lohn für Contact-Tracer. Andreas Stangl, Landesvorsitzender der sozialdemokratischen FSG, ärgerte sich über „ausbeuterische Methoden, die absolut letztklassig sind“. Ein Sprecher von ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer ließ damals nur ausrichten, die 5,50€ Stundenlohn seien „für viele Studierende ein wertvoller Erfahrungsgewinn“.
„Das hat man verschlafen“
Inzwischen hat sich die Lage in Oberösterreich drastisch verschärft – die Behörden sind überlastet. Neben Tobias berichten auch andere Betroffene von langen Wartezeiten im Bundesland. Ein Oberösterreicher erzählt der Neuen Zeit, er wurde erst eine Woche nach der Corona-Infektion einer Bekannten darüber informiert, dass er sich als K1-Person in Quarantäne zu begeben habe. Der folgende Corona-Test fiel positiv aus. Während dieser Woche – der Oberösterreicher trug das Virus zu diesem Zeitpunkt wohl schon in sich – ging er seinen beruflichen und sozialen Kontakten wie gewohnt nach und infizierte so womöglich weitere Menschen.
Zwischen Corona-Test, Ergebnis und Quarantäne-Bescheid vergehe zu viel Zeit, sagt Peter Binder, SPÖ-Gesundheitssprecher in Oberösterreich. „Die Regierung hat im Sommer zwar darüber geredet, wie die Lage im Herbst sein könnte. Dabei hat man sich aber immer nur auf eine ähnliche Situation wie im Frühling vorbereitet, nicht auf das Worst-Case-Szenario, das wir jetzt haben. Das hat man verschlafen.“
Billig-Lohn für Corona-Mitarbeiter trotz Personalmangel
Trotzdem hält das Land Oberösterreich am Billig-Lohn für Contact-Tracer fest. Anstatt das eigene Personal fairer zu bezahlen und so wohl auch mehr Menschen in den überforderten Landesdienst zu locken, greift man auf pensionierte Beamte sowie das Bundesheer zurück. Das Heer stoße aber selbst bereits an seine Grenzen, sagt der Militärkommandant von Oberösterreich gegenüber dem ORF.
Anstelle eines höheren Gehalts für Corona-Mitarbeiter, ändert Oberösterreich jetzt seine Teststrategie. Kontaktpersonen der Kategorie 1 sollen nicht mehr getestet werden, kündigt Gesundheits-Landesrätin Christine Haberlander (ÖVP) an. Nur mehr dann, wenn sie selbst Symptome aufweisen.
Oberösterreich kann bundesweite Teststrategie nicht aufrecht erhalten
Im Gesundheitsministerium hat man mit dem oberösterreichischen Alleingang keine Freude. Die verbindliche Empfehlung des Ministeriums lautet nach wie vor, alle Kontaktpersonen der Kategorie 1 zu testen, weil nach möglichen Infektionen von K1-Personen wiederum Contact Tracing ihrer Kontaktpersonen erfolgen kann. So soll die Infektionskette in Grenzen gehalten werden. Diese Teststrategie wird sich auch nicht ändern, bestätigt eine Sprecherin von Gesundheitsminister Anschober gegenüber der Neuen Zeit.
In Oberösterreich fehlen offensichtlich die Kapazitäten, um die Teststrategie aufrecht zu erhalten. Das zeigen auch Fälle wie jener von Tobias. Dabei wird in Oberösterreich vergleichsweise wenig getestet – in Wien etwa wurden seit Ausbruch der Pandemie doppelt so viele Corona-Tests veranlasst. Während in der Bundeshauptstadt nur rund 15 Prozent aller Tests positiv sind, sind es in Oberösterreich 35 Prozent. Das deutet auf eine hohe Dunkelziffer an Corona-Infizierten im ohnehin schon gebeutelten Oberösterreich hin.
Arzt: „Größte Herausforderung seit dem Krieg“
Die hohen Infektionszahlen und die Überförderung der Behörden macht sich auch im oberösterreichischen Gesundheitswesen schon bemerkbar. Im größten Krankenhaus des Landes, dem Kepler Uniklinikum (KUK) reichten im Frühling noch zwei Stationen für Covid-Patienten aus, nun sind es sieben. Zwei Intensivstationen sind bereits zur Gänze, eine weitere zur Hälfte ausgelastet. Bernd Lamprecht, der Vorstand der KUK Lungenheilkunde, spricht von der „größten Herausforderung seit dem Krieg“.
Oberösterreich hat die zweite Welle verschlafen. Weder auf die seit längerem steigenden Corona-Zahlen noch auf die Ampelschaltung auf rot wurde entsprechend reagiert. Nun ist die Ausbreitung des Virus offensichtlich unkontrollierbar geworden. Ein Nicht-Testen der Kontaktpersonen 1 ohne Symptome wird den Anstieg der Zahlen noch beschleunigen, da deren Kontaktpersonen den Virus unbewusst weiter verbreiten werden. Aber vielleicht gehts genau darum, dass weniger Personen in Quarantäne müssen und weiterhin zur Arbeit gehen können, nachdem der vom Land Oberösterreich und der Wirtschaft gewünschten Verkürzung der Quarantäne auf fünf Tage nicht entsprochen wurde. Weniger Tests führen außerdem dazu, dass die Zahl der täglichen Neuinfektionen sinken wird und das wird dann sicher wieder als Verdienst des Landes wegen der gesetzten Maßnahmen, wie Besuchsverbot in Alten-/Pflegeheimen und Krankenhäusern, verkauft. Aber der Virus wird sich davon nicht beeindrucken lassen und uns in Oberösterreich nicht nur einen sondern mehrere Schritte voraus sein. Die Anzahl der Hospitalisierungen wird durch diese Vorgehensweise jedenfalls weiter steigen. Diese Landesregierung handelt für mich grob fahrlässig und wird von mir in Zukunft jedenfalls nicht mehr gewählt werden.