Gastbeiträge

Ohne Solidarität keine Europäische Union

Kommentar von Kurt Oktabetz

So wie es keine stabile Gesellschaft gibt, in der Solidarität als Grundvoraussetzung fehlt, gibt es auch keine Union von Gesellschaften, in der das Eintreten füreinander abgelehnt wird. Wie also eine unsolidarische Gesellschaft instabil und fragil wird und der Gefahr einer Spaltung ausgesetzt ist, verhält sich auch ein Bündnis von Staaten. Auch wenn eine solche Vereinigung auf vertraglicher und rechtsverbindlicher Basis aufgebaut ist, wird mangelnde Solidarität Auflösungstendenzen auslösen. Wie in einer Familie, in einem Team, in einer Gemeinschaft und in einer staatlichen Gesellschaft, gilt auch für eine Vereinigung von Staaten, einer Union: Der (finanziell) Stärkere hilft den Schwachen.

Es ist ein Schicksalshalbjahr für die Europäische Union, 6 Monate mit dem Ratsvorsitz der BRD, innerhalb derer sich entscheiden wird, nicht nur welchen Weg sie verfolgen wird, sondern ob sie überhaupt in der jetzigen Form bestehen bleibt. Die Herausforderungen sind groß: Die Globalisierung hat schon seit Jahrzehnten Abhängigkeiten bewirkt, welche durch Konflikte mit den großen Weltpartnern (USA, China, Russland) deutlich negativ zutage getreten sind. Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt, führt zu steigender Arbeitslosigkeit und zunehmender Armut und die Einkommens-und Vermögensschere geht immer weiter auf. Die Perspektivlosigkeit breiter Bevölkerungsschichten, auch des Mittelstandes  und vor allem der Jugend birgt und zeigt auch schon die Gefahr von Unruhen. Die Klimaveränderung bedarf eines gewaltigen Umdenkens und hoher Investitionen im Industrie- und  Verkehrssektor, in der Landwirtschaft, berührt dadurch auch den gesamten öffentlichen Bereich und tangiert letztlich jeden privaten Haushalt. Verstärkt wurden diese vorhandenen Herausforderungen nun auch noch durch die Corona Pandemie.

Baustelle EU

Nun ist die EU der siebenundzwanzig Länder auch derzeit kein einheitliches Gebilde, sondern – wie immer wieder betont wird – eine „Union sui generis“, deren Nachteile sich im Laufe der Jahre deutlich manifestiert haben: Einzig als Friedensprojekt hat sie jahrzehntelang ihr Versprechen wahr gemacht. Als Wertegemeinschaft, die sich zur Freiheit, Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verpflichtet, hat sie arge Schrammen. Als Wirtschaftsgemeinschaft sieht sie den Binnenmarkt durch `epidemische` Grenzschließungen gefährdet und findet keine einheitliche Stimme zu ihrer Beziehung nach außen. Als Währungsgemeinschaft ist sie auf den Euroraum begrenzt. In einigen Mitgliedsländern wird die Demokratie durch autokratische Regierungschefs infrage gestellt, und die Rechtsstaatlichkeit gebogen.

Es bedarf also großer Anstrengungen, die Union zunächst wieder einigermaßen zu stabilisieren: Um die Existenzsicherung der EU in ihrer derzeitigen Form zu gewährleisten muss zu allererst der von Frankreich und Deutschland vorgeschlagenen EU-Hilfsfond für die großen südlichen Mitglieder beschlossen werden, wobei die zweckdienliche Verwendung der Mittel natürlich einer Prüfung durch die Kommission zu unterziehen ist.

Frei von Grenzen und Steueroasen

Erst nach Überwindung der Corona Pandemie sollten zügig die erforderlichen Schritte zur Vertiefung der Gemeinschaft gesetzt werden. Es mag zwar wirtschaftlich und strategisch die Erweiterung (um die Westbalkanstaaten) sinnvoll sein, noch mehr Mitglieder würden jedoch die Probleme eher verstärken. Eine Möglichkeit wäre vielleicht die Junktimierung von Erweiterung und gleichzeitiger Aufhebung des Einstimmigkeitsprinzips bei allen EU-Ratsbeschlüssen, weil dieses für die konstruktive künftige Entwicklung der Union das größte Hindernis ist.

Erst wenn man sich auf qualifizierte Mehrheitsbeschlüsse durchringen kann, wenn die Union – in welcher Größe immer – auch eine verbindliche Wertegemeinschaft, eine von Steueroasen-und Privilegien befreite Fiskalunion ist und es Grenzen nur nach außen gibt, ist die hehre Hoffnung auf ein vereinigtes, föderatives Europa nicht ganz realitätsfern.

Solidarität statt Einstimmigkeit

Eben das derzeit gültige Einstimmigkeitsprinzip im Europäischen Rat gefährdet die für den Bestand der EU erforderliche Solidarität. Solange es einem oder wenigen Staaten möglich ist, gegen  Hilfsmaßnahmen zu votieren, weil ihre Rechtsstaatlichkeit – zu Recht – kritisiert und gegebenenfalls mit Sanktionen gedroht wird, muß die Stabilität der Union heftig hinterfragt werden. Wenn ein Regierungschef mit dem Begriff `Rechsstaat` Schwierigkeiten hat, sollte man ihn raten zu googeln.   Eine faule und destruktive Entscheidung wäre ein Kompromiss dergestalt, dass von zwei tragenden Pfeilern der Erhalt des einen durch das Opfer des anderen gewonnen wird. Das würde jedenfalls Tür und Tor für eine problematische weitere Entwicklung der Union bedeuten.

NeueZeit Redaktion

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