Wissen

„Member Value“ statt „Shareholder Value“: Genossenschaften gehören ihren Mitgliedern

„Was ist eine Genossenschaft?“ So beginnen viele Gespräche über die Unternehmensform. Dabei sind rund drei Millionen Menschen in Österreich Mitglieder in Genossenschaften und zehn Prozent der arbeitenden Bevölkerung weltweit sind in solchen beschäftigt. Ihr Vorteil: Es geht um die Mitglieder, nicht um Gewinnmaximierung.


Salon Cooperativ – Genossenschaften erklärt
Die Kolumne von Christian Pomper

Was ist eine Genossenschaft?

Genossenschaften sind eine mögliche Unternehmensform in Österreich. Wer sich genossenschaftlich organisiert, verfolgt innerhalb des Zusammenschlusses dieselben Interessen. Wohnungsgenossenschaften etwa haben das Ziel, leistbare Wohnungen anzubieten.

Das besondere an der Unternehmensform ist, dass die Mitglieder im Mittelpunkt stehen. Es geht nicht um Gewinnmaximierung für das Unternehmen, sondern um die Förderung der eigenen Mitglieder. Die Nutzenstiftung für die Mitglieder steht im Vordergrund. Erwirtschaftete Gewinne können direkt an die Mitglieder rückvergütet werden.

3 Mio. Menschen in Österreich sind Mitglieder in einer Genossenschaft

In vielen Gesprächen über die Genossenschaft kommen häufig Antworten wie „Kenne ich nicht“, „Was ist das?“ oder „Ist doch antiquiert und nicht mehr zeitgemäß“. Dabei schaut’s ganz anders aus: Weltweit bestehen drei Mio. Genossenschaften mit 1,2 Mrd. Mitgliedern, die 300 Mio. Menschen beschäftigen. Das sind 10% der arbeitenden Bevölkerung weltweit. In Österreich sind bis dato rund 1.600 Genossenschaften mit einer Mitgliederanzahl von insgesamt rund drei Mio. Menschen eingetragen.

Neue Genossenschaften, die regional arbeiten und Menschen, die ihre Führungskräfte selbst wählen können – wär das nicht was? Motto: „Member Value“ statt „Shareholder Value“.

Genossenschaften verbinden Eigeninteresse und Solidarität

Genossenschaften verbinden das, was oft unvereinbar scheint: Individualismus und Eigeninteresse auf der einen Seite und Solidarität auf der anderen Seite, denn Eigeninteresse ist nur zusammen mit anderen realisierbar.

Die Unternehmensform hat viele Vorteile:

  • Sie verbindet die Stärken von Kleinbetrieben (Ortskenntnis, örtliches Vertrauen, geringe Transaktionskosten) mit den Vorteilen von Großbetrieben (Auslagerungen und Aufgabenteilung sind möglich).
  • Genossenschaften besitzen die Fähigkeit, Betroffene zu Beteiligten zu machen. Das heißt, die von Veränderung Betroffenen können direkt an den Lösungen der durch den Wandel entstehenden Probleme mitarbeiten.
  • Die Organisationsform kann Interessen von Kapitalgebern und Kunden vereinen, da Träger und Nutzer bei Genossenschaften im Prinzip die gleichen Personen sind – das sogenannte Identitätsprinzip.

Nicht zuletzt durch die derzeit unsichere wirtschaftliche Situation kann die Unternehmensform ein Lösungsansatz sein. Historisch waren es immer Zeiten der Unsicherheit und der Not, die Menschen an die Selbsthilfe erinnert und so den Nährboden für neue Genossenschaften gebildet haben.

Eine Rechtsform mit unbegrenzten Möglichkeiten

Das berühmte Dach des Guggenheim-Museums in Spanien wurde von der Genossenschaft Modragon erbaut.

Die Betätigungsfelder sind groß. Das von der Schließung bedrohte MAN-Werk in Steyr etwa könnte stattdessen auch genossenschaftlich organisiert und so gerettet werden. Die baskische Mondragon könnte dabei Inspiration sein.

Oder wie wär´s mit kommunalen Projekten bzw. Bürgerbeteiligungsmodellen in Form von Energie-Genossenschaften? Mit oder ohne Kooperation mit Gemeinden. Oder mit Regionalentwicklungs-Genossenschaften in den Bereichen Kultur, Sport und Bildung. Seniorengenossenschaften und Mehrgenerationenprojekten. Oder ganz allgemein, mit der Sicherung der regionalen Nahversorgung – geht alles genossenschaftlich.

Oder im Sozialbereich. Die genossenschaftlich organisierten „Social Entrepreneure“ engagieren sich beispielsweise in den Bereichen Bildung, Umweltschutz, Arbeitsplatzbeschaffung für Menschen mit Behinderungen oder auch in der Armutsbekämpfung.

Anders wirtschaften für eine bessere Welt?

Die häufigste unternehmerische Organisationsform in Österreich ist das Ein-Personen-Unternehmen. Durch den Zusammenschluss zu einer Genossenschaft könnten Einzelunternehmen ihre Schlagkraft erhöhen und zusätzlich Einsparungseffekte etwa im Bereich der Administration oder im Einkauf erzielen – und dennoch ihre rechtliche Selbständigkeit bewahren. Ebenso könnten kooperative Zusammenschlüsse eine Lösung für bestehende Nachfolgeproblematiken in gewerblichen Berufen bieten.

Nicht zuletzt in der Welt der Digitalisierung kann die Genossenschaft zwei Welten verbinden: Die persönliche Nähe zum Mitglied angereichert mit neuen Möglichkeiten der digitalen Kommunikation.

Anders wirtschaften für eine bessere Welt? Wirtschaftliche Effizienz mit sozialer Verantwortung verbinden und Nutzerorientierung vor Investorenorientierung stellen? Klingt ziemlich pathetisch. Aber Genossenschaften machen´s möglich.

Christian Pomper

Ähnliche Artikel

  • Allgemein

Billigpakete im Visier: Schluss mit zollfrei unter 150 Euro

Die Zollfreigrenze für Packerl aus Drittstaaten mit einem Warenwert unter 150 Euro fällt. Was das…

14. November 2025
  • Oberösterreich

Sanierungen nötig: Oberösterreichs Brücken unter Druck

Mit einer schriftlichen Anfrage an den FPÖ-Verkehrslandesrat Günther Steinkellner erhob die SPÖ den Erhaltungszustand der…

13. November 2025
  • Niederösterreich

Was der Niederösterreich-Plan verspricht – und was wirklich drinsteckt

Mit dem "Plan für Niederösterreich" präsentiert der Landtagsklub der SPÖ Niederösterreich ein Zukunftsprogramm für ein…

12. November 2025
  • Gesellschaft

Was das Martinigansl über Macht und Verteilung erzählt

Am 11. November ist Martinitag. Während Kinder mit Laternen durch die Straßen ziehen und das…

10. November 2025
  • Kärnten

Kärntner Sanierungs-Euro: Neue Förderung ab 2026

Das Land Kärnten stellt die Altbausanierung auf völlig neue Beine. Ab dem 1. Jänner 2026…

8. November 2025
  • Kommentar der Redaktion

Warum der November uns runterzieht und wie wir ihn besser aushalten

Der November ist kein einfacher Monat. Er will nichts von uns. Und gerade das macht…

7. November 2025