Bolivien durchlebt eine historische politische Krise. Dazu trifft die Corona-Pandemie das Land in Südamerika mit voller Härte. Joachim Merz von der NGO Solidar Suisse berichtet über Bolivien und die anstehenden Wahlen, die nach mehreren Verschiebungen nun stattfinden sollen.
Bolivien kommt nicht zur Ruhe. Letztes Jahr erschütterte die umstrittene Präsidentschaftswahl und der unfreiwillige Rücktritt von Evo Morales das Land. Evo Morales, der Bolivien zuvor während 14 Jahren regierte, floh ins Exil und es folgten massive Proteste im ganzen Land.
Dann kam Anfang 2020 die COVID-Pandemie: Bolivien zählt inzwischen über 5000 Todesfälle und 120 000 positiv getestete Personen. Das sind zwar viel weniger als in den Nachbarländern Brasilien, Argentinien oder Perú, aber es sind deutlich zu viele für das fragile Gesundheitssystem des Landes. Auch fünf MitarbeiterInnen von Solidar Suisse in La Paz sind an COVID19 erkrankt und es ist zu Todesfällen von Familienangehörigen gekommen. Bolivien hatte zeitweise drastische COVID-Massnahmen eingeführt, die das öffentliche Leben eingeschränkt haben. Vor allem in den grossen Städten waren die Menschen wochenlang in einem strengen Lockdown und konnten ihre Häuser nur einmal pro Woche zum Einkaufen verlassen. Inzwischen wurden die Massnahmen gelockert.
Die Gesundheitskrise wird begleitet von der wirtschaftlichen Krise, die vielen BolivianerInnen das Einkommen wegbrechen lässt und sie in ihrer Existenz bedroht. Die grossen Erfolge in der Armutsbekämpfung und der Reduktion der Ungleichheit der letzten 15 Jahren drohen in diesem Jahr zunichte gemacht zu werden.
Und damit nicht genug: Auch die politische Lage in Bolivien ist sehr kritisch. Die mehrmalige Verschiebung der Neuwahlen – begleitet von Demonstrationen – und die drastisch gesunkene Legitimität der Übergangspräsidentin Janine Añez haben das Andenland an den politischen Abgrund geführt. Doch es sieht so aus, als ob Bolivien den Sturz in eben diesen Abgrund im letzten Moment abwenden kann. Alle relevanten politischen Akteure haben sich nun auf einen Termin für die Neuwahlen geeinigt: den 18. Oktober 2020.
Ein weiterer Aufschub des Wahltermins wäre ein fatales Signal. Die neu besetzte Wahlbehörde geniesst das Vertrauen der Parteien und der Bevölkerung und es ist zu hoffen, dass die Wahl am 18. Oktober korrekt abläuft. Wahlbehörde und Regierung müssen dafür sorgen, dass jede Bolivianerin und jeder Bolivianer am 18. Oktober 2020 so wählen gehen kann, dass die Gesundheit aller Beteiligten nicht gefährdet ist. In den Umfragen liegen momentan der Kandidat des MAS (Ex-Wirtschaftsminister L. Arce) und der Kandidat von Comunidad Ciudadana (Ex-Präsident C.Mesa) vorne.
Die Neuwahlen sind dringend nötig, um dem polarisierten und zerrütteten Bolivien wieder eine demokratisch gewählte Regierung zu geben, den Übergangscharakter der Regierung Añez zu beenden und einen neuen Anlauf zu nehmen für einen erneuerten Gesellschaftsvertrag. Dieser muss das Bekenntnis zu demokratischen Rechten und Pflichten, zu den Menschenrechten und zu institutionalisierten Regeln der gewaltlosen Lösung sozialer und politischer Konflikte beinhalten. Mit dem langjährigen Engagement in Bolivien setzt sich auch Solidar Suisse für diese Werte ein und hat auf Ebene der Gemeinden in den letzten Jahren einen wichtigen Beitrag zur Inklusion und zur Demokratisierung der politischen Strukturen in Bolivien geleistet. Nur so kann Bolivien den grossen Herausforderungen, vor denen die Welt steht – COVID-19, Wirtschaftskrise, soziale Ungleichheit und Klimawandel, um nur die wichtigsten zu nennen – begegnen.
Solidar Suisse kämpft für faire Arbeit, demokratische Mitbestimmung und soziale Gerechtigkeit weltweit. In über 60 Projekten auf vier Kontinenten setzen wir Solidarität in die Tat um.
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