Die Wienerinnen und Wiener sind reich – und zwar alle. Sie besitzen nämlich Wohnungen, für die kein Kredit aufgenommen werden muss. Die Stadt Wien ist die größte kommunale Hausverwaltung Europas und besorgt die Geschäfte der 220.000 Wohnungen in den Gemeindebauten. Sie sind öffentliches Eigentum und gehören allen.
Die Geschichte der Gemeindebauten beginnt noch in der Monarchie. Durch die Industrialisierung kam es zu einem enormen Arbeitskräftebedarf, so dass Wien bis 1910 in wenigen Jahren auf zwei Millionen EinwohnerInnen wuchs. 1917 waren drei Viertel aller Wohnungen in der Stadt überbelegt. Der Begriff des Bettgehers aus dieser Zeit beschreibt, wie mehrere Arbeiter sich ein Bett teilen. Sie arbeiten im Schichtbetrieb, damit sie immer abwechseln zu Hause im einzigen Bett schlafen können.
Zudem waren viele Männer im Krieg, in Gefangenschaft oder versehrt. Die Probleme und die Wohnungsnot steigerten sich mit dem Zusammenbruch der Monarchie 1918. Um massenhafte Obdachlosigkeit zu verhindern, wurden Mieterschutz und Friedenszins – eine Höchstmiet-Grenze – gesetzlich gesichert.
Aus den ersten freien Wahlen der 1. Republik ging die Sozialdemokratie als Gewinnerin hervor. Wien wurde „rot“ – und der Mythos des Roten Wien ist eng mit den Gemeindebauten verbunden.
Dem Menschenbild der damaligen Zeit entsprechend, wurde nicht nur ein Dach über dem Kopf als Grundbedürfnis anerkannt, sondern auch Licht, Luft und Sonne. Die großen Wohnanlagen verfügten von Anfang an über Freiflächen, manchmal auch Bäder, Kindergärten, Büchereien, Geschäfts- und Vereinslokale.
Diese rege Bautätigkeit sicherte Arbeitsplätze, hielt die Wirtschaft in Schwung und linderte die Wohnungsnot. Als der Karl Marx Hof 1930 eröffnete, sprach der damalige Bürgermeister Karl Seitz die berühmten Worte:
„Wenn wir einst nicht mehr sind, werden diese Steine für uns sprechen.“
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