Österreich

Zeitarbeit: „Sie haben uns als Maschinen behandelt, nicht als Menschen“

In Österreich gibt es rund 190.000 Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter. Sie werden von ihren Arbeitgebern an andere Firmen „vermietet“. Seit 2002 gibt es einen Kollektivvertrag für die Branche. Doch viele Unternehmen ignorieren ihn, zahlen zu niedrige Gehälter oder betrügen bei Sonderzahlungen und Sozialversicherung. 

Knapp 190.000 Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter gibt es laut Statistik Austria in Österreich. Sie sind bei Unternehmen angestellt, die sie an andere Betriebe „überlassen“ – oder besser gesagt: vermieten. Zwar gibt es einen Kollektivvertrag, doch viele Zeitarbeitsfirmen halten sich nicht daran. Solche „schwarzen Schafe“ flogen beispielsweise bei Amazon auf, beim Skandal-Maskenhersteller Hygiene Austria und bei Swarovski in Tirol. Verbesserungen für die Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter brachte stets nur größtmöglicher Druck: arbeitsrechtliche Verfahren, Ermittlungen der Finanzpolizei und Medienkampagnen.

Hygiene Austria: „Sie haben uns als Maschinen behandelt“

2021 flog der Skandal um gefälschte FFP2-Masken bei Hygiene Austria auf. Doch die Masken waren nur die Spitze des Eisbergs. Die Ermittlerinnen stießen auch auf Schwarzarbeit und zahlreiche Rechtsbrüche im Umgang mit Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeitern. Sie mussten fast alle ohne Einschulung arbeiten – viele verletzten sich deshalb.

Dazu kamen unangekündigte Doppelschichten und laut Gewerkschaft ProGe „regelmäßige“ Übertretungen der gesetzlichen Höchstarbeitszeiten. Zuschläge für Überstunden, Nacht-, Feiertags- und Sonntagsarbeit zahlten die Zeitarbeitsfirmen oft erst viel zu spät oder gar nicht aus. Den Kollektivvertrag für „überlassene Arbeitskräfte“ ignorierten die Unternehmen. „Sie haben uns als Maschinen behandelt, nicht als Menschen“ berichtete einer der Zeitarbeiter der Gewerkschaftszeitung „Glück Auf!“. Die Arbeiterkammer hat in weit über hundert Gerichtsverfahren über eine halbe Million Euro für sie eingeklagt.

Zeitarbeit: „Mitarbeiter:innen zweiter Klasse“

Viele Unternehmen behandeln überlassene Arbeitskräfte „wie Mitarbeiterinnen zweiter Klasse“, meint Peter Schleinbach von der Gewerkschaft ProGe. Das zeigte sich auch bei Amazon: 2019 wurde bekannt, dass der Online-Händler in seinem Verteilzentrum in Großebersdorf nur 16 der 150 Beschäftigten angestellt hatte. Die anderen waren Zeitarbeiterinnen und über ein Geflecht von Subunternehmen tätig. Sie wurden mit Kameras überwacht, durften keine privaten Gegenstände tragen und wurden bei kleinsten Verstößen mit Stundenkürzungen abgestraft.

2020 deckte die Finanzpolizei bei einer Großrazzia in Summe rund 1.000 Gesetzesverstöße auf: Steuerflucht, Lohndumping und Schwarzarbeit.

Swarovski: 1,5 Mio. Euro Nachzahlungen bei nur einer Zeitarbeitsfirma

Die Zeitarbeitsfirmen und ihre Auftraggeber reagieren meist nur auf extremen rechtlichen Druck oder schlechte Presse. Das zeigte sich auch am Beispiel der Firma Randstad in Tirol. Sie arbeite heute „hochprofessionell und rechtskonform“, berichtet der Gewerkschafter Bernhard Höfler. Doch das ist das Ergebnis einer harten Auseinandersetzung, die er in den Medien gegen das Unternehmen geführt hat.

2013 kündigte Swarovski in Wattens Personalabbau an – und rief damit die zuständige Metallergewerkschaft ProGe auf den Plan. Der heutige Vorsitzende der Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter:innen (FSG) in Tirol Höfler war damals zuständiger Gewerkschaftssekretär. Er rechnete die Lohnzettel durch. Und dabei „fiel mir auf, dass Zeitarbeiter:innen keine Akkord- und Leistungsprämien erhielten.“ Doch sie hatten Anspruch darauf. Er rief deshalb alle Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter dazu auf, ihre Lohnabrechnungen kontrollieren zu lassen. Höfler traute seinen Augen nicht: „Ich kam auf einen Betrag von 1,5 Millionen Euro an Lohn-, Steuer- und Versicherungsnachzahlungen für den Überlasser Randstad.“

Nur durch extremen Druck wird die Branche sauberer

Er machte die Missstände öffentlich. Schlagzeilen wie „Lohn- und Sozialdumping bei Swarovski“ sorgten für Aufmerksamkeit der Medien. Die Zeitarbeitsfirmen klagten dagegen – verloren aber. Und auch die Auftraggeber der Arbeitskräfteüberlasser machten Druck: Sie wollten nicht wie Swarovski mit dem Thema „Lohndumping“ in die Medien kommen.

Im Endeffekt wurde die Branche „etwas sauberer“, berichtet Höfler. Beispielsweise bei Randstad sei heute alles in Ordnung. Trotzdem gäbe es noch genug schwarze Schafe. Pro Jahr schlagen bei ihm rund 70 arbeitsrechtliche Fälle auf. Und die Branche kann sich noch an die verlorenen Prozesse und den Imageschaden von damals erinnern. Das merkt Höfler, wenn er die Rechte von Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeitern durchsetzen will: „Meistens genügt es heute schon, dass ich bei den Überlassern anrufe, um Probleme aus der Welt zu schaffen.“

NeueZeit Redaktion

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