Medienwissenschaftler Fritz Hausjell fordert im NeueZeit-Interview „völlig neue Regeln“ für die Vergabe von Inseraten. Die Regierung müsse künftig einen Plan offenlegen, mit welchen Zielen eine Kampagne beworben werden soll. Und: Regierungsinserate sollen mit 10 Millionen Euro pro Jahr gedeckelt werden – derzeit stecken ÖVP und Grüne rund 40 Millionen Euro jährlich in Inserate. Die bisher ausgewerteten ÖVP-Chats seien „nur die Spitze des Eisbergs“.
NeueZeit: Lesen Sie die österreichischen Medien derzeit gerne?
Fritz Hausjell: Ja, ich denke, dass ich einen ganz passablen Überblick habe. Manchmal muss man aber auch Psychohygiene betreiben, man hält auch nicht immer alles aus.
Sie beobachten die heimische Medienlandschaft nicht erst seit gestern, sondern seit mehreren Jahrzehnten. Wie hat sie sich in den letzten Jahren verändert?
Es gibt gute und es gibt weniger gute Entwicklungen. Die Redaktionen sind durch die Bank ausgedünnt worden, das sieht man auch den journalistischen Produkten an. Bedingt ist das alles durch einen enormen Strukturwandel bei den Werbegeldern. In den 70er, 80er und auch 90er Jahren waren sie noch die primäre Finanzierungsquelle für journalistische Medienprodukte. Heute ist das anders.
Was ist passiert?
Die Werbegelder haben sich einerseits durch die Digitalisierung in neu geschaffene Digitalmedien verschoben. Wir denken heute ja schon gar nicht mehr an die vielen Kleininserate, von denen viele Medien gut gelebt haben. Die sind als erstes weg gewesen. Gleichzeitig haben viele Medien den Fehler gemacht, mit wenigen Ausnahmen nichts hinter die Bezahlschranke zu geben im Internet, sondern die Inhalte zu verschenken. Journalismus gibt es aber nur dort, wo Menschen bezahlt werden für ihre Recherche und ihre Schreibtätigkeit.
Dann ist es für viele journalistische Medien als letzte Phase noch viel härter gekommen mit dem Aufstieg der sogenannten „Social Media“ Kanäle, die weder „social“ noch „media“ sind. Es ist ein kluges Wording, das aber allen sehr viel Sand in die Augen streut. Diese Kanäle ziehen mittlerweile den allergrößten Teil des Werbekuchens ab.
Hier stehen wir also im Moment?
In dieser Situation sind Regierungen hergegangen und haben großzügig, aber nicht frei von eigenen politischen Interessen, öffentliche Inserate eingesetzt, um diese Finanzierungsproblematik der Medien ein Stück zu entschärfen. Die türkise Seite der Regierung hat das jetzt zu einer neuen Dimension entwickelt, was die Größenordnung anbelangt und was die Deals angeht, die offensichtlich im Hintergrund eingefädelt wurden.
Und das ist gerade einmal die Spitze des Eisbergs. Die Staatsanwaltschaft hat bis jetzt nur die Chatverläufe einer überschaubaren Gruppe ausgewertet – und nicht einmal das komplett. Da kommt einem das demokratiepolitische Grauen.
Sebastian Kurz und seine ÖVP sollen mit Inseraten wohlwollende Berichterstattung gekauft haben, so lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Das ist vielleicht kein Einzelfall. Wer ist für diese Praxis verantwortlich: die Regierung oder die Medien?
Beide. Die Stärke der Verantwortung liegt aber bei der Politik, weil sie dafür verantwortlich ist, dass die entsprechenden medien- und demokratiepolitischen Rahmenbedingungen nicht gestaltet worden sind. Ganz im Gegenteil. Die Kurz-Regierungen haben alle Inserate freihändig, oder nach „Gutsherrenart“, vergeben. Und offensichtlich in Kombination mit Deals. Der „News“-Verlag hat das gerade zu spüren bekommen. Aufgrund einer kritischen Geschichte zu den Türkisen hat das Finanzministerium dann gleich sämtliche Produkte des Verlags mit einem Inseraten-Boykott belegt.
Wie sollte die Regierung die Medienpolitik denn gestalten?
Eine Bundesregierung hat gegenüber allen Medien mit den gleichen Regeln zu arbeiten. Und diese Regeln gehören definiert. Inserate dürfen nicht als Förderinstrument missverstanden werden. Sie sind ein Instrument, um Regierungsziele zu optimieren. Wenn ich in verschiedenen Bereichen Bewusstsein schaffen will, dann kann eine Werbekampagne dazu Sinn machen.
Regierungsinserate sind also nicht grundsätzlich schlecht?
Keine Inserate braucht es, wenn eine Bundesregierung das macht, was sie sowieso machen muss, nämlich eine ordentliche Steuerpolitik. Jetzt herzugehen und zu einer Zeit Inserate zu schalten, zu der die Steuerreform noch nicht einmal im Parlament beschlossen war und das als größte Steuerentlastung lob zu preisen – dafür sind öffentliche Inserate definitiv nicht vorgesehen. Auch nicht im Gesetz. Das ist keine „zweckdienliche Information zu Regierungszielen“, sondern ausschließlich dafür geeignet, dass sich die Regierung selbst belobigt.
Im Übrigen: Der türkise Parlamentsklub hat die Steuerreform in Inseraten mit dem gleichen Slogan beworben wie die Regierung. Das ist sehr grenzwertig. Ich hätte gerne, dass sich Juristen das genauer anschauen.
Momentan sagen alle, die Sache mit den Inseraten muss künftig besser gemacht werden.
In Zukunft braucht es völlig neue Regeln. Es reicht nicht, dass laut dem Medientransparenzgesetz vierteljährlich Zahlen zu den Inseraten veröffentlicht werden. Damit ist nicht zu beurteilen, ob die Inseratenpolitik effektiv, effizient und nicht für andere Zwecke herangezogen wird als die, für die sie gedacht ist.
Nicht gedacht sind öffentliche Inserate zur Beeinflussung der Medien. Definitiv nicht.
Wie kann gesetzlich sichergestellt werden, dass Inserate korrekt eingesetzt werden?
Es braucht künftig für jede Werbekampagne der Bundesregierung klar formulierte Kommunikationsziele. Und darauf aufbauend einen Plan, der festlegt, wie diese und jene Zielgruppen erreicht werden können, um über Thema so und so zu informieren. Dieser Mediaplan muss vor der Kampagne dem Parlament gemeldet werden. Die größeren Kampagnen sind dann auch zwingend einer Evaluierung zu unterziehen. Die muss von außen stattfinden und entsprechend publiziert werden.
Die Umsetzung eines solchen Prozesses für die Inseratenvergabe dürfte dauern.
Wir brauchen auch eine Sofortmaßnahme: Die Regierung muss das beschlossene Paket von 180 Millionen Euro Werbeausgaben für die nächsten vier Jahre sofort rückgängig machen. Der Deckel für Inseratenausgaben kann nicht bei 40 Millionen Euro pro Jahr liegen. Ich schlage maximal 10 Millionen pro Jahr für Regierungsinserate vor. Und das krasse Missverhältnis zwischen Inseraten und der Medienförderung gehört umgedreht.