Steiermark

70% statt 55% Arbeitslosengeld: Steiermark machts vor und hilft ATB-Beschäftigten

Beim steirischen Elektromotoren-Hersteller ATB verlieren 360 Beschäftigte ihren Job. Das Land Steiermark fängt die Mitarbeiter in einer eigens geschaffenen ATB-Arbeitsstiftung auf. Dort erhalten die Gekündigten nicht nur Weiterbildungs-Möglichkeiten, sondern auch 70% Arbeitslosengeld. Österreichweit erhalten Arbeitslose trotz Job-Krise in der Corona-Pandemie nur 55% des letzten Netto-Einkommens. Während sich die Regierung weiter weigert, das Arbeitslosengeld zu erhöhen, setzt man das in der Steiermark einfach um.

Nach langem Ringen um ihre Arbeitsplätze haben die Beschäftigten des Elektromotoren-Herstellers ATB seit einigen Wochen Gewissheit: 360 von 400 Mitarbeitern verlieren am Standort in Spielberg ihren Job. Nur 40 ATB-Beschäftigte verbleiben in der Steiermark.

Die Schließung des Werks in Spielberg kommt zustande, weil das Unternehmen eine Lücke im österreichischen Insolvenzrecht ausnutzt. So kann der Konzern – seit 2011 im Besitz der chinesischen Wolong-Gruppe – die Produktionsmaschinen aus der Steiermark ins billigere Ausland verlegen. Der internationale Mutterkonzern schreibt weiter Millionen-Gewinne, aber der Standort in Spielberg wird in Insolvenz geschickt. Die Leidtragenden sind jene 360 Beschäftigten, die deshalb ihren Arbeitsplatz verlieren.

70% Arbeitslosengeld für alle, die bei der ATB ihren Job verlieren

Während die Bundesregierung die Hilferufe der ATB-Mitarbeiter monatelang ignorierte, handelt man in der Steiermark jetzt kurzerhand selbst. Das Arbeitsmarktservice (AMS) und das Land Steiermark starten ab 1. Dezember 2020 eine Arbeitsstiftung für die 360 gekündigten ATB-Beschäftigten. Die Stiftung ist eine Art Auffangnetz für alle, die ihren Job verloren haben. Sie erhalten durch das Projekt Aus- und Weiterbildungen, um so möglichst rasch wieder einen neuen Arbeitsplatz zu finden.

Gleichzeitig stockt die Stiftung den ehemaligen ATB-Mitarbeitern ihr Arbeitslosengeld von den gesetzlich vorgesehenen 55% des letzten Einkommens auf insgesamt 70% des Letzt-Verdienstes auf. Für diese sogenannte Stiftungsprämie stellen AMS und Land zwei Millionen Euro zur Verfügung. „In der Steiermark halten wir auch in schwierigen Zeiten zusammen“, sagt Soziallandesrätin Doris Kampus von der SPÖ. „Mit der ATB-Stiftung werden die 360 gekündigten ATB Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgefangen und bekommen eine neue Chance, am Arbeitsmarkt wieder fußzufassen.“

Soziallandesrätin Doris Kampus (SPÖ) kündigt eine ATB-Arbeitsstiftung ab 1. Dezember an. Alle 360 Gekündigten sollen aufgefangen werden. // Bild: FB/DorisKampus

Regierung will weiter nur 55% Arbeitslosengeld bezahlen

In der Steiermark schafft man mit der Arbeitsstiftung damit das, was sich die Bundesregierung seit Monaten umzusetzen weigert: Eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70% des letzten Einkommens. Bisher erhalten arbeitslose Menschen weiter nur 55% ihres letzten Netto-Lohns. SPÖ, FPÖ, Gewerkschaft sowie Arbeitsmarkt-Experten fordern seit Ausbruch der Corona-Pandemie eine Erhöhung, weil die Krise zu einer Rekord-Arbeitslosigkeit führt.

Mehr als 400.000 Menschen haben in Österreich derzeit keinen Job. Im April waren sogar fast 600.000 Personen von Arbeitslosigkeit betroffen. Viele verlieren als Folge der Corona-Krise ihre Arbeit. Während den Unternehmen großzügig geholfen wird, beträgt das durchschnittliche Arbeitslosengeld nur 980 Euro – das ist weniger als die Armuts-Gefährdungsschwelle von 1.286 Euro.

ATB-Arbeitsstiftung könnte Vorbild für ganz Österreich sein

Die Steiermark setzt die Forderung nach einem höheren Arbeitslosengeld jetzt erstmals in Österreich selbst um. Alle 360 gekündigten ATB-Mitarbeiter erhalten durch Unterstützung der Arbeitsstiftung 70% ihres letzten Netto-Lohns. Damit wird der der Einkommensverlust durch die Arbeitslosigkeit gemindert. „Das ist fair gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die jetzt unschuldig in die Arbeitslosigkeit gerutscht sind und die jahrzehntelang hart gearbeitet und in unser Sozialsystem eingezahlt haben“, sagt SPÖ-Landtagsabgeordneter Wolfgang Moitzi in einem Video-Statement.

Die ATB-Arbeitsstiftung ist ein gemeinsamer steirischer Kraftakt. Neben der Landesregierung und dem AMS waren auch die Arbeiterkammer Steiermark, die Gewerkschaft sowie der ATB-Betriebsrat in die Gespräche eingebunden. Von den Weiterbildungsangeboten der Stiftung sollen nicht nur die arbeitslos gewordenen Menschen profitieren, sondern auch die ganze Region. Die Betriebe in der Umgebung können schließlich auf weiterqualifiziertes Personal zurückgreifen, so die Idee. Das steirische Modell könnte in der coronabedingten Job-Krise Vorbild für ganz Österreich sein.

Philipp Stadler

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