Bildcredits: Daniel Novotny
Wenn man Menschen aus Favoriten kennenlernt, sind die meisten stolz auf ihren Heimatbezirk. Wenn man mit Menschen redet, die nicht aus Favoriten kommen, wird eher abfällig über den 10. gesprochen. Über Gegensätze, das soziale Miteinander, leistbaren Wohnraum und Inklusion in Bildungsstätten ist Bezirksvorsteher Marcus Franz der NeueZeit.at bei einem Treff am Würstelstand Rede und Antwort gestanden.
NeueZeit: Viele Menschen, die im 10. leben, sind stolz auf “ihr” Favoriten. Hört man sich bei Menschen, die nicht in Favoriten wohnen, um, wird eher abfällig über den südlichen Bezirk gesprochen. Wie erklären Sie sich als Bezirksvorsteher diesen Gegensatz, Herr Franz?
Marcus Franz: Den 10. muss man „spüren“, damit man weiß, warum die Menschen hier stolz auf ihre Heimat sind. Favoriten ist ein lebenswerter und vor allem ein geschichtsträchtiger Bezirk. Historisch gesehen hat Favoriten immer schon viele verschiedene Leute angezogen – einerseits weil er etwa durch die Wienerberger Ziegelfabrik oder die Ankerbrotfabrik ein klassischer Arbeiterbezirk war. Andererseits weil hier die Mieten für viele Menschen vergleichsweise gut leistbar waren und es großteils nach wie vor sind.
Diese Kombi kann man einerseits positiv auffassen – viel Vielfalt sorgt auch für vielfältige kulinarische Angebote, nicht nur den Würstelstand, an dem wir uns heute für dieses Gespräch treffen. Aber Spaß beiseite: natürlich entstehen auch ab und an zwischenmenschliche Reibereien, wenn viele Kulturen an einem Fleck leben. Die Medien greifen das dann schnell auf und dort gilt natürlich immer „bad news is good news“. Darüber wird dann berichtet.
Als waschechte Favoritner:innen wissen die Menschen hier aber ganz genau, warum sie zurecht stolz auf unseren Bezirk sind. Eine junge Dame vom Jugendmagazin „Biber“ hat das mal schön auf den Punkt gebracht: „Du kannst aus Favoriten hinaus gehen, aber Favoriten kriegst du aus dir nicht raus.“ Deshalb sollten alle, die schlecht über unseren Bezirk reden, einmal zu uns vorbeikommen und sich selbst ein Bild machen.
Der 10. ist über die Bezirksgrenzen hinaus bekannt für den Traditions-Eissalon Tichy, das Amalienbad im Art-déco-Stil, das Austria-Stadion oder Freizeit- und Naturparadiesen wie dem Kurpark Oberlaa oder dem Wienerberg. Der 10. ist aber auch – wie schon angesprochen – für zwischenmenschliche Reibungen bekannt. Wie viel ist vom alten Glanz heute noch erhalten und was tut der Bezirk, damit sich alle, die hier leben, wohl fühlen?
Für mich ist es wichtig, dass wir hier alle miteinander auf Augenhöhe umgehen und uns gegenseitig Luft zum Atmen geben. Wir haben hier im 10. neben den genannten Orten auch viele schöne Rückzugsorte in der Natur, um unsere Akkus aufzutanken und Ruhe zu finden. Für mich persönlich ist das zum Beispiel der Goldberg. Dort komm’ ich vom Stress runter. Trotzdem merkt man, dass seit Corona viele Menschen – vor allem jüngere – auf den öffentlichen Orten ihr „erweitertes Wohnzimmer“ eingerichtet haben. Favoriten ist von der Einwohnerzahl her der zweitgrößte Bezirk. Nicht immer ist es leicht, alle Bewohner zufrieden zu stellen und ihre verschiedenen Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen.
Neben kulturellen Veranstaltungen, Bezirksverschönerungen aber auch schwerpunktmäßigen Polizeikontrollen versuchen wir im Bezirk vieles, um ein möglichst reibungsloses Miteinander zu ermöglichen.
Viele Favoritnerinnen und Favoritner meinen aber, dass die Menschen vor 20, 30 Jahren noch mehr aufeinander zugegangen sind, heute würde man eher aneinander vorbei leben. Tut der Bezirk wirklich genug – sowohl für Jung, als auch für Alt – um ein gutes Miteinander zu ermöglichen?
Bei uns spielt das kulturelle Leben eine große Rolle. Damit die Gesellschaft wieder zueinander findet, statt noch weiter auseinander zu driften, wollen wir im Bezirk das soziale Miteinander weiterhin stärken. Die Digitalisierung ist hier nicht immer ein Helfer. Mir persönlich ist es lieber, wenn sich die Menschen nicht im digitalen Raum treffen und dort schlecht übereinander reden, sondern wenn die Leut sich im öffentlichen Raum begegnen.
Für die ältere Generation – um nur zwei Beispiele zu nennen – gibt’s beim Senioren-Jazz oder beim wöchentlichen Aquagymnastik im Amalienbad die Möglichkeiten für Austausch und gemeinsame Bewegung. Nicht zu vergessen ist auch unser Projekt „ReuMädchenplatz“, bei dem wir jungen Mädels die Möglichkeit geben, ihren Platz im öffentlichen Raum zu finden. Sei es auf unserer „Reumädchenbühne“, oder bei anderen Kultur- und Sportangeboten. Eines gilt immer: Was man in Favoriten gemeinsam macht, das verbindet auch alle unsere Generationen, Geschlechter und Nationalitäten.
Außerdem wollen wir, dass die Menschen, die hier leben auch mitbestimmen können. Mit Jugendparlamenten, dem neuen Bildungscampus am Neuen Landgut und fünf Schulen, die wir gerade sanieren, tragen wir sicherlich schon in frühen Jahren zu einem guten Austausch und Miteinander bei.
Ob es der nächste Nahversorger ist, der schließen muss oder Negativschlagzeilen punkto Gewalt oder Lärm wie etwa beim illegalen Autotuning-Treffen in der Filmteichstraße – nicht alles ist so rosig im 10. Bezirk, wie Sie es gerade erzählen. Wie begegnen Sie als Bezirksvorsteher diesen vielfältigen Problemen?
Zu den Nahversorgern: der klassische „Greißler“, ist wie in anderen Bezirken Wiens und im Rest Österreichs, sicher ein seltenes Phänomen geworden – das betrifft aber nicht nur Favoriten. Großkonzerne wie Rewe verdrängen seit Jahren die kleinen Läden – und welches Geschäft sich wo im Bezirk ansiedelt, liegt öfter in der Hand privater Verkaufsflächen-Besitzer, als in der des Bezirksvorstehers, leider!
Zu den illegalen Autotuning-Treffs: Mit Schwerpunktaktionen kann man hier schon etwas verbessern und das haben wir auch in der Vergangenheit getan. Trotzdem muss man erkennen: für die Jüngeren gibt’s seit der Pandemie weniger Ausweich-Orte: sie „chillen“ an der Tankstelle, vorm Supermarkt, an den Bahnhöfen, beim McDonalds oder manchmal auch in Wohnsiedlungen wie der Filmteichstraße. Das machen sie, weil viele andere Orte zu teuer geworden sind. Wichtig ist es für mich weiterhin das Gespräch mit allen zu suchen und zu schauen, dass die Menschen im 10. Bezirk zufrieden zusammenleben können. Mit gegenseitiger Rücksicht, die wir in der Vergangenheit eingefordert haben, ließen und lassen sich Unstimmigkeiten immer lösen. Dass das Innenministerium in unserem zweitgrößten Bezirk längst mehr Polizei hätte installieren sollen, ist aber eine andere Geschichte.
Nun zu einem Themenschwenk: Was kann Bildung leisten, um Schieflagen im Bezirk wieder auszugleichen? Und aus der Sicht von Pädagog:innen gefragt: Warum sollte man im 10. Bezirk arbeiten wollen? Wie kann der Bezirk engagierte Pädagog:innen anziehen?
Als Kindergarten-Pädagogin oder als Lehrer ist das Praktische im 10., dass du erst einmal ganz sicher kurze und gut ausgebaute Anfahrtswege mit den Öffis zu deiner Arbeitsstätte hast. Außerdem kannst du vielen Kindern und Jugendlichen als Pädagog:in im 10. sicher mehr Wissen vermitteln und ihnen mehr lehren, als in bildungsbürgerlichen Bezirken, in denen das Wissensniveau bereits sehr hoch ist.
Nun zum Eingemachten: Wir haben das administrative Personal aufgestockt, um so unsere Lehrerinnen und Lehrer von „bürokratischen“ Tätigkeiten freizuspielen und zu entlasten. Auch die Schulpsychologen haben wir in ganz Wien verdoppelt. Und: auch wenn es manche nicht gern hören – ich könnte mir sogar ein Handyverbot an Volksschulen vorstellen. Denn gerade die Digitalisierung kann bei der sprachlichen Förderung ein Hemmschuh sein. Besser ist es, die Kids sprechen in den Pausen miteinander und üben ihre verschiedenen Sprachkenntnisse, als sie schauen in ihre „Smart“phones. Entscheiden müssen das aber die Bildungseinrichtungen selbst. Da kann ich als Bezirksvorsteher nur die Ideen dazu liefern.
Apropos sprachliche Förderung: Dass Favoriten ein vielfältiger Bezirk ist, zeigen die vielen Sprachen, die die Menschen hier sprechen. Wie kann man Ihrer Meinung nach einerseits die Sprachenvielfalt von Kindern und auch Erwachsenen fördern, aber andererseits Deutsch als gemeinsamen Nenner etablieren?
Das Projekt „Mama lernt Deutsch“ lässt sich hier sicherlich als Leuchtturmprojekt anführen. Parallel zum Kindergarten- und Schulbetrieb lernen die teilnehmenden Frauen Deutsch und erwerben Grundkompetenzen, um auch ihre Kinder besser unterstützen zu können. Schade ist allerdings, dass der Bund hier die Mittel gekürzt hat. Gerade dort wo die Menschen einen einfachen Zugang zum Sprachenlernen haben, sollte man meiner Meinung nach keine Einschnitte machen.
Wichtig ist für mich, dass eine gemeinsame Sprache – deutsch bzw. wienerisch 😉 – unsere Basis ist. Das steht außer Zweifel. Wer aber mehr Sprachen kann und erlernen will, hat natürlich auch im Arbeitsleben Vorteile. Viele Unternehmen haben die Sprachenvielfalt des 10. Bezirks viel früher positiv aufgefasst, als es manche Politikerinnen und Politiker wahr haben wollen. Wenn beide Seiten Interesse an Verständigung und gutem Zusammenleben haben, dann passiert der Spracherwerb bei gutem Angebot fast automatisch.
Die Vielfalt des Bezirks spiegelt sich auch an der Gestaltung des neu errichteten Willi-Resetarits-Hof auf der Laxenburgerstraße wieder. An den Mauern des Gemeindebaus steht das Wort “Mensch” in 27 Sprachen geschrieben. Der Mensch braucht guten und leistbaren Wohnraum, aber auch Natur zum Atmen. Ist immer mehr Wohnbau (und Bodenversiegelung) nicht ein unlösbarer Widerspruch zur ehemaligen Naturnähe des 10.?
Am Anfang des Gesprächs hab ich viel über Rückzugsorte in der Natur gesprochen und wie wir Grünflächen zum Leben brauchen. Das soll auch weiterhin so sein. Die Menschen können sich aber gleichzeitig sicher sein, dass wir auch die Nachfrage nach ausreichend Wohnraum regeln. Denn irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo die Nachfrage nach leistbaren Wohnungen größer ist, als das Angebot. Dann müssen wir gegensteuern.
Wir versuchen immer zuerst bereits versiegelte Flächen mit neuen Wohnungen zu bebauen. Gleichzeitig haben wir gemeinsam mit der Stadt Wien sogenannte „Potenzialflächen“ auserkoren. Das sind Orte, wo wir noch „Platz“ für neuen Wohnraum haben und wo die ein oder andere Grünfläche zugunsten eines neuen Zuhauses weichen muss. In einer Stadt ist das normal – solange es nicht ausartet.
Dass das bei uns nicht der Fall ist, zeigen ein überplatteter Autobahnabschnitt, auf dem Wohnungen existieren und neue Wohnbauprojekte die auf bereits versiegelten Flächen entstanden sind. Grundsätzlich gilt: in die Höhe bauen ist immer eine Option. Das möchten dann zwar wieder andere Bezirksbewohner nicht, aber für mich gilt die Devise: man kann es nicht immer allen recht machen, aber als Bezirksvorsteher bemühe ich mich trotzdem, gemeinsam mit meinem Team es den meisten Menschen hier recht zu machen. Damit sie auch weiterhin stolz auf unser gemeinsames Favoriten sein können.
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