Kommentar

Fußball-WM in Katar: Dunkle Schatten statt fröhlichem Fußballfest

Würden die Fans für jeden der verstorbenen Bauarbeiter eine Schweigeminute abhalten, müssten sie während der gesamten 64 Spiele des Turniers schweigen. Nicht nur das zeigt: Die Qualifizierung einer WM-Austragung muss künftig zwingend an die Einhaltung demokratischer und menschenrechtlicher Grundrechte geknüpft sein.

Gastkommentar von Hannes Heide.
Hannes Heide ist Abgeordneter der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament. Als Fußballfan setzt er sich für Fair Play in allen Bereichen des Sports ein.

Bald steigt das Finale der Fußballweltmeisterschaft in Katar. Kaum ein sportliches Großereignis war je so von Kritik überschattet, angefangen von Schlagzeilen um tote Arbeiter auf den Stadionbaustellen, offener Homophobie und groben Menschenrechtsverletzungen. Doch Katar ist längst nicht der einzige problematische Austragungsort in der WM-Geschichte.

Vor vier Jahren hatte der damalige Gastgeber Russland bereits völkerrechtswidrig die Krim annektiert. Bereits vergessen scheint der Tiefpunkt der FIFA mit der Vergabe an Argentinien 1978. Unvorstellbar einer Militärdiktatur, deren Verbrecherregime mehr als 30.000 Menschen in Konzentrationslagern erschoss, ertränkte und folterte, mit der Ausrichtung einer Fußballweltmeisterschaft zu betrauen. Blickt man noch weiter zurück, ist das aber kein Einzelfall. Auch Faschistenführer Benito Mussolini, der 1934 auf dem Höhepunkt seiner Macht stand, ließ sich für den Titel von Italien bei der Heim-Weltmeisterschaft feiern.

Korruption und Betrug

Offensichtlich haben die Funktionäre des internationalen Fußballverbands nichts aus der Vergangenheit gelernt. Nachdem die FIFA 2010 Katar als Gastgeber ausgewählt hatte, beschuldigte und verhaftete die US-Bundesstaatsanwaltschaft 2015 etwa zwei Dutzend Offizielle des Weltverbandes wegen Betrugs- und Korruptionsdelikten im Zusammenhang mit der Bewerbung Katars. FIFA-Präsident Sepp Blatter, damals federführend am Vergabeprozess beteiligt, gesteht mittlerweile ein, es sei ein Fehler gewesen die Austragung der Weltmeisterschaft an Katar zu vergeben.

Die jüngsten Korruptionsvorwürfe gegen die mittlerweile abgesetzte griechische Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Eva Kaili, legen den Verdacht nahe, dass sich Katar durch Bestechung von Abgeordneten Einfluss in Europa erkaufen möchte. Das Vertrauen in das Europäische Parlament ist durch kriminelle Machenschaften und Geldgier erschüttert.

Die Vorgänge um die Vergabe der WM gehören ebenso lückenlos aufgeklärt, wie die Korruptionsvorwürfe gegen die beschuldigten Abgeordneten. Die rasche Reaktion des Europäischen Parlaments zeigt, dass die Kontrollmechanismen grundsätzlich funktionieren. Es braucht jedoch mehr verbindliche Transparenzregeln, besonders im Umgang mit Drittländern und einen konsequenten Kurs im Umgang mit Korruption in den Mitgliedstaaten.

6.500 Tote auf WM-Baustellen

Die Liste an massiven Verfehlungen des katarischen Regimes ist lang. Gesellschaftlich sind die Verhältnisse verheerend. Politisch Andersdenkende haben ebenso wie Frauen und Homosexuelle praktisch keine Rechte, Menschenrechtsverletzungen sind eher die Regel denn die Ausnahme. Und eine freie Berichterstattung über die zahlreichen Defizite ist den Mächtigen völlig fremd.

Um in kürzester Zeit aus dem Wüstenstaat ein Fußballmekka zu machen, wurden südasiatische Wanderarbeiter ausgebeutet. Mindestens 6.500 Arbeiter starben beim Bau der WM-Stadionen in Katar, die meisten an Hitzschlag, während sie 12 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche arbeiteten, manchmal ohne Trinkwasser. Allein für die WM wurden 30.000 Arbeiter rekrutiert und mithilfe des inzwischen verbotenen Kafala-Systems wie Leibeigene gehalten.

„Kafala“ ist ein Bürgschaftssystem für Arbeitsimmigranten, in dem oft europäische oder amerikanische Unternehmen als Sponsoren auftreten. Häufig werden die Pässe der Arbeiter zurückhalten, um sie davon abzuhalten, vor den widrigen Arbeitsbedingungen zu fliehen.

Würden die Fans für jeden der Verstorbenen eine Schweigeminute abhalten, müssten sie während der gesamten 64 Spiele des Turniers schweigen.

Imagepolitur für Katar

Die FIFA hat das größte Sportereignis des Jahres in die Hände eines totalitären Systems gelegt, dass die völkerverbindende Kraft des Fußballs missbraucht, um finanzielle Interessen durchzusetzen und das Image eines repressiven Staates loszuwerden. Der Wüstenstaat möchte nicht nur seinen Ruf aufpolieren, sondern seine Wirtschaft diversifizieren. Noch verfügt Katar über die drittgrößten Erdgasreserven der Welt und der Westen ist mehr denn je von Öl und Gasimporten aus der Region abhängig. Doch wenn diese Quellen irgendwann versiegen, oder die westlichen Nationen sich durch alternative Energien aus der Abhängigkeit befreien können, braucht Katar Verbündete, denn die Beziehungen zu den mächtigen Nachbarländern sind zerrüttet.

Verantwortung der FIFA

Der Profisport, insbesondere Fußball, ist mittlerweile tief in geopolitische Entwicklungen involviert. Die FIFA trägt dabei eine große Verantwortung und sollte ihre mächtige Position für die gute Sache nutzen: Sich klar für die Einhaltung von Grundrechten, Demokratie und Menschlichkeit einsetzen. Um die Glaubwürdigkeit bei den Fans zurückzugewinnen muss die FIFA als gemeinnütziger Verband dringend reformiert und demokratisiert werden. Ein erster, kleiner Schritt in die richtige Richtung wurde mit dem Einsatz eines Menschenrechtsausschusses, dem Expertinnen und Experten der Vereinten Nationen angehören, bereits gesetzt.

Eines ist jedoch klar: Die Qualifizierung einer WM-Austragung muss künftig zwingend an die Einhaltung demokratischer und menschenrechtlicher Grundrechte geknüpft sein.

Hannes Heide

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