ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel tut es leid, dass sich Österreich weiter verschulden muss, um die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zu bewältigen. Bei seiner Budget-Rede im Parlament entschuldigte er sich beinahe für das Loch im Budet und beeilte sich zu betonen: „Langfristig hat natürlich Hayek recht!“ Der neoliberale Ökonom Friedrich August Hayek propagierte Privatisierungen, war demokratiefeindlich und bezeichnete soziale Ungleichheit als „höchst erfreulich“. Womit also könnte Hayek auf lange Sicht recht haben, wie Gernot Blümel behauptet?
Der Ökonom Friedrich August Hayek (1899-1992) gilt als Ikone des Neoliberalismus und ist neben Milton Friedman wichtigster Ideengeber von marktradikalen Reformern wie Ronald Reagan und Margaret Thatcher. Diese haben im Zuge der „konservativen Revolution“ der 1980er Jahre innerhalb kürzester Zeit die Steuern für die Reichsten massiv gesenkt, den Finanzsektor dereguliert und Privatisierungen in bis dahin unbekanntem Ausmaß voran getrieben.
Die sozialen Verwüstungen und gesellschaftlichen Verwerfungen, die durch diese libertäre Politik angerichtet wurden, werden uns noch lange verfolgen, zumal keine ideologische Trendwende absehbar ist – im Gegenteil, wie man anhand von Aussagen wie jener des ÖVP-Finanzministers feststellen muss!
Nachträglich betrachtet ist das Resultat der unter anderem von Hayek angestoßenen Politik verheerend: Das Wirtschaftswachstum brach ein und die Ungleichheit nimmt unaufhörlich zu. Für die untere Hälfte der Bevölkerung ist das doppelt bitter, denn vom geringeren Wachstum kommt seitdem noch weniger bei ihnen an. Die Deregulierung des Finanzmarktes führte dazu, dass eine Krise die nächste jagt, doch ganz entgegen der marktradikalen Ideologie muss jedes Mal der Staat zur Investorenrettung einspringen. Die Liberalisierung des Kapitalverkehrs zwang die Staaten in einen selbstzerstörerischen Konkurrenzkampf um Steuern. Privatisierungen gingen stets mit enormen Skandalen einher, welche die Gerichte noch heute beschäftigen. Die fragile Mittelschicht, die sich nach dem zweiten Weltkrieg bilden konnte, schmilzt seit der „großen Ungleichheitswende“ der 1980er Jahre wieder. Die Produktivität ist gesunken und der Sozialstaat wird sukzessive abgebaut. Zu behaupten, Hayek hätte auf lange Sicht recht gehabt, ist jedenfalls „gewagt“.
Den „Segen“ des Neoliberalismus wollte Hayek allen Völkern vermitteln: „(…) so kann ich doch der Versuchung nicht widerstehen, an dieser Stelle ein weiteres Zitat zu bringen (…): Möge England nie sein Vorrecht vergessen, die Völker zu lehren, wie man leben soll.“ (Hayek, 1944)
Für den Ökonomen Hayek war völlig klar: „Ungleichheit ist nicht bedauerlich, sondern höchst erfreulich.“ (Hayek, 1981) Soziale Ungleichheiten entzückten Hayek Zeit seines Lebens, schließlich sind sie die zentrale Voraussetzung für Leistungsbereitschaft. Denn, so erklärte er, „zum mindesten ein sehr großer Prozentsatz der Menschen hat einen äußeren Druck nötig, wenn sie alle ihre Kräfte anspannen sollen.“ (Hayek, 1944) Dies ist eine zentrale neoliberale Grundüberzeugung: Die Reichen müssen reich bleiben, damit sie investieren! Die Armen müssen arm bleiben, damit sie nicht faul werden!
Wenn man wie Hayek aus großbürgerlich-akademischen und adeligen Verhältnissen stammt, der Vater Arzt und Professor ist und die Mutter aus einer begüterten Familie stammt, dann ist Ungleichheit vermutlich tatsächlich „höchst erfreulich“. Für all jene, die keine Sprösslinge elitärer Adelshäuser oder reicher Akademikerhaushalte sind, ist das leider nicht der Fall.
Soziale Gerechtigkeit war Hayek ein Dorn im Auge, da Gerechtigkeit ausschließlich aus Marktprozessen resultieren solle. Für Hayek war soziale Gerechtigkeit ein „quasi-religiöser Aberglaube“ und „in einer marktwirtschaftlichen Ordnung mit freier Berufswahl völlig sinnlos.“ (Hayek, 1981) Verteilungsgerechtigkeit war für ihn eine „Fata Morgana“ (Hayek, 1960), die „zur Zerstörung des Rechtsstaates führen muß.“ (Hayek, 1944) Die Geschichte hat uns eines Besseren belehrt.
Hayek schwärmte zwar stets vom „segensreichen Leistungswettbewerb“, (Hayek, 1944) doch von Leistungsgerechtigkeit und dem finanziellen Erfolg gesellschaftlicher Aufsteiger hielt er wenig. Vielmehr bewunderte er reiche Erben, welche „die gröberen Genüsse, denen sich die Neureichen oft hingeben“ (Hayek, 1960) gewöhnlich nicht anziehen. All jene, die den Leistungsanforderungen der Wirtschaft nicht entsprechen, können laut Hayek „Spezialabmachungen mit Unternehmern“ treffen. Am Beispiel eines „etwas unansehnlichen Mädchens, das gern Verkäuferin werden möchte“ erklärt Hayek, dass dieses ja, wenn ihr nur „genügend an der Stellung liegt durch bescheidene Ansprüche in den Beruf hineinkommen“ könne. (Hayek, 1944) Wie diese „Spezialabmachungen“ aussehen können, kann man heutzutage gut bei prekären Arbeitsverhältnissen beobachten.
Dass ärmere Menschen weit geringere Chancen im Leben haben, erkennt auch Hayek. Doch ein Problem ist die mangelnde Chancengleichheit für ihn nicht, da „der Arme in einer solchen Gesellschaft viel freier ist als ein Reicher unter einem anderen Gesellschaftstypus“. (Hayek, 1944) Hayek trieb diese Argumentation auf die Spitze und behauptete, „daß das System des Privateigentums die wichtigste Garantie für die Freiheit ist, und zwar nicht nur für diejenigen, die Eigentum besitzen, sondern auch fast ebenso sehr für die, die keines haben.“ (Hayek, 1944) Aus heutiger Sicht zeigt sich jedoch, dass der Neoliberalismus zu einer laufenden Enteignung großer Teile der Bevölkerung führt und sich Eigentum immer mehr konzentriert. Das System des unbeschränkten Privateigentums der Wenigen beschränkt die Freiheit der Vielen.
Eine geeignete Gegenmaßnahme wären progressive Steuern, doch diese empörten Hayek ganz besonders. Er sprach sich deshalb 1960 dafür aus, ein unantastbares Verbot der progressiven Besteuerung in alle Verfassungen aufzunehmen. (Hayek, 1960)
Hayek war stets der Meinung, dass europäische Verträge und Institutionen so auszugestalten sind, dass Konzerne völlig unabhängig von nationalen Interessen und Wahlergebnissen agieren können. Er schrieb unmissverständlich: „Die Abschaffung souveräner Nationalstaaten und die Schaffung einer wirksamen internationalen Rechtsordnung sind die notwendige Ergänzung und logische Vollziehung des liberalen Programms. Denn alles in allem ist es wahrscheinlich, dass in einem europäischen Bundesstaat die Macht des Einzelstaates über die Wirtschaft allmählich viel weitgehender geschwächt würde und auch sollte, als es zunächst offenbar sein wird!“ (Hayek, 1976)
Kein Staat darf einem Konzern Vorschriften machen. Eine transnationale Währung bei gleichzeitiger Handels- und Kapitalverkehrsfreiheit würde schließlich Demokratie unmöglich machen. Freudig und hoffnungsvoll merkte Hayek an, dass die Staaten letzten Endes nicht einmal mehr in der Lage sein werden, „Gesetze wie das der Beschränkung der Kinderarbeit oder der Arbeitszeit allein durchzuführen.“ (Hayek, 1976)
Seine Vorliebe für wirtschaftsliberale Autorität zeigte sich schließlich in den 1970er und 1980er Jahren, als Hayek aktiv die brutale Militärdiktatur von Augusto Pinochet in Chile unterstützte. Für Hayek war es ein Fehler, demokratischen Versammlungen Macht zu übertragen, da dadurch in der Vergangenheit erworbene Eigentumsrechte hinterfragt werden könnten. In seinen Schriften schwärmte Hayek von der „kulturellen und geistigen Freiheit“, die es unter einem „autokratischen Regiment“ oft gegeben habe. (Hayek, 1944) Es war der Weg in eine wirtschaftsautoritäre Knechtschaft, von der Hayek träumte.
Mit dem aktuellen Zustand der EU wäre Hayek sehr zufrieden, denn er entspricht ziemlich genau seiner marktradikalen Utopie: Die Mitgliedsstaaten sind in einem erbitterten und destruktiven Steuerwettbewerb gefangen und misstrauen sich gegenseitig. Wachsende Ungleichheit wird resignierend hingenommen, globale Konzerne spielen Staaten gegeneinander aus und beeinflussen durch Lobbying Politik und Gesetzgebung. Die Entdemokratisierung Europas schreitet also ganz nach den Vorstellungen von Hayek voran, der davor warnte „aus der Demokratie einen Fetisch zu machen“, denn „es kann sehr wohl sein, daß unsere Generation die Demokratie zu viel im Munde führt“. (Hayek, 1944)
Hayek vermied zwar den Ausdruck des Zensuswahlrechts, forderte aber im letzten Band von Recht, Gesetz und Freiheit, dass das allgemeine Wahlrecht nur im Rahmen einer „regierenden Versammlung“ mit beschränkten Kompetenzen möglich sein sollte. Auszuschließen von der Wahl sind jedenfalls Staatsangestellte, Pensionisten, Arbeitslose und generell all jene, die öffentliche Leistungen beziehen. (Hayek, 1979) Für Hayek war es nämlich stets eine „wichtige Frage, ob diejenigen, die sich auf die Weise von der Gesellschaft erhalten lassen, alle unbeschränkt die gleichen Freiheiten genießen sollen wie die anderen.“ (Hayek, 1944) Die viel gepriesene Freiheit hört bei Hayek also spätestens dann auf, wenn man auf staatliche Unterstützung angewiesen ist.
Auf Bundesebene sollte es eine „gesetzgebende Versammlung“ geben, bestehend aus Personen mit einem Mindestalter von 45 Jahren, die „sich im täglichen Leben bereits bewährt haben“ und „aufgrund ihrer Redlichkeit und Weisheit geachtet sind“. (Hayek, 1979) Diese sollten im Rahmen von „Klubs“ ausgewählt werden. Damit wollte Hayek vor allem die Jugend mit ihren sozialistischen Anwandlungen zum Schweigen bringen, über die er sich empörte und davor warnte, dass „unter der Jugend die alten Ideen des Sozialismus wieder auferstanden“ sind. (Hayek, 1944)
Mit einem derart offenen Bekenntnis zu Hayek und seinen antidemokratischen, elitären und antisozialen Vorstellungen gibt ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel ungewohnt deutlich zu verstehen, welcher Ideologie er anhängt. Ist die autoritäre Plutokratie wirklich das Gesellschaftsmodell, welches er anstrebt?
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