Kurz hat gelernt, groß zu denken. Grenzen zu überschreiten, wegzuwischen und dafür auch noch gefeiert zu werden. Der Ex-Kanzler ist in den Medien präsent, als wäre er nie weg gewesen: Nicht zwei, sondern gleich drei Filme über ihn laufen aktuell im Kino. In seinem Gastkommentar fragt sich Ibiza-Aufdecker Julian Hessenthaler, ob der „Kurzschluss“ vielleicht gar keiner war.
Gastkommentar von Julian Hessenthaler
Julian Hessenthaler war für die Produktion und Veröffentlichung des Ibiza-Videos verantwortlich
Kurz war kurz mal weg, wenn es nach Kurz geht. Angeblich nicht, wenn man Kurz glaubt, nur wer tut das noch? Man muss schon reichlich naiv sein, die momentane Welle an Auftritten, Filmen und Interviews nicht als das zu verstehen, was sie allzu offensichtlich ist: Eine Kampagne.
Ein erfolgreicher Manager in der internationalen Wirtschaft braucht keine Kampagnen, schon gar nicht in den Geschäftsfeldern, in denen Kurz behauptet so erfolgreich tätig zu sein. Ein Beschuldigter, dem wahrscheinlich mindestens zwei Prozesse bevorstehen, die, wenn man den Insidern glauben mag, zumindest teilweise durchaus heikel sein könnten. So jemand kann eine Kampagne gut gebrauchen. Das nennt sich dann Litigation PR.
Kurz hat gelernt, groß zu denken. Grenzen zu überschreiten, wegzuwischen und dafür auch noch gefeiert zu werden. Kurz hat sich in seiner Zeit auch das ein oder andere Vorbild gefunden. Ganz vorne mit dabei Benjamin “Bibi” Netanyahu. Dieser ist seit Jahren von Korruptionsvorwürfen verfolgt, dennoch mehrfach Ministerpräsident Israels. Und der beschloss für sich einfach die Justiz zu ändern, um nicht weiter behelligt zu werden.
Ähnliche Tendenzen konnte man bereits in den Attacken von Kurz erkennen, in denen er sich zum Opfer einer politischen Verfolgung erklärte. Könnte das Vorbild Netanyahu nicht nur als Ideengeber dienen, sondern auch noch darüber hinaus für die politische Praxis?
Nun schreibe ich all das als einer, der selbst von sich behauptet, zu Unrecht von einer politisch gelenkten Justiz verfolgt und eingesperrt worden zu sein. Kaum jemand versteht besser, wie es sich anfühlt, zu Unrecht von einem rechtsblinden Staatsanwalt verfolgt zu werden.
Auch Kurz mag Unrecht widerfahren. Die Fakten sprechen nicht gerade dafür, aber man kann es nie wissen, ohne alle Details zu kennen. Aber Sebastian Kurz wird nicht in Haft genommen, obwohl die Bestrebungen aus seinem Umfeld die Ermittlungen zu erschweren medial mehrfach aufgezeigt wurden. Er reist um den Globus. Und seine Familie und Freunde sind auch nicht von polizeilichen Schikanen betroffen.
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