Aufgrund der gestiegenen Preise können sich die Menschen in Österreich immer weniger von ihrem Geld leisten. Damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht dauerhaft ärmer werden, fordern die Gewerkschaften höhere Löhne. Wirtschaftsliberale warnen schon jetzt vor zu hohen Lohnabschlüssen – das würde die Teuerung nur weiter anheizen. Eine sogenannte „Lohn-Preis-Spirale“ drohe. Die Praxis aber zeigt: Nicht die Löhne, sondern die Gewinne der Energiekonzerne treiben die Preise nach oben.
Wegen der Teuerung bleibt den Menschen in Österreich immer weniger zum Leben übrig. Denn Teuerung bedeutet nichts anderes, als dass die „Reallöhne“ sinken. Also das, was sich die Menschen „real“ mit ihrem Lohn kaufen können. Bereits 91 Prozent der Menschen schränken sich in ihrem Alltag ein. Damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht dauerhaft ärmer werden, fordern die Gewerkschaften höhere Löhne. Bei den Lohnverhandlungen im Herbst wird sich zeigen, ob die Menschen für die hohen Preise entschädigt werden, oder ob sie auf den Kosten sitzen bleiben.
Die Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS rechnen mit Letzterem. Sie glauben, dass die Löhne nicht so stark steigen werden, wie die Preise. „Um die Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung nicht zu gefährden”, wie es in der Prognose des Wifo heißt. Die Ökonomen rechnen also nur mit geringen Lohnerhöhungen, weil zu hohe Löhne die Wirtschaft belasten würden. Dieses Argument – zu hohe Löhne gefährden die Wirtschaft – kennt man vor allem von Arbeitgebervertretern und Wirtschaftsliberalen. Aber stimmt das?
Mythos “Lohn-Preis-Spirale“
Dahinter steckt die Idee einer sogenannten “Lohn-Preis-Spirale“. Das heißt: Wenn die Löhne steigen, steigen auch die Preise. Und weil die Preise gestiegen sind, fordern die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wiederum höhere Löhne und so weiter. Auf diese Weise kommt eine Spirale in Gang, die die Teuerung immer weiter anheizt – so die Theorie. Die Praxis zeigt aber, dass nicht die Löhne die Teuerung antreiben, sondern andere Faktoren.
Aktuell sind es die gestiegenen Kosten für Öl und Gas, die auch die Preise anderer Güter in die Höhe treiben. Denn diese müssen schließlich mit Energie produziert bzw. transportiert werden. Die Löhne spielen bei der aktuellen Teuerung hingegen keine Rolle. Im Gegenteil: Schon die Lohnabschlüsse der diesjährigen Frühjahrslohnrunde blieben unter der Teuerungsrate. Die Löhne von 130.000 Beschäftigten stiegen um durchschnittlich 5 Prozent. Die Teuerung lag aber damals schon bei 7,2 Prozent. Also ein deutlicher Reallohnverlust.
Unternehmen könnten ihre Gewinnspanne verringern, um die Preise zu senken
Die Theorie der Lohn-Preis-Spirale ist unter Ökonominnen und Ökonomen überhaupt umstritten. Viele behaupten, eine solche Spirale hat es in der Geschichte noch nie gegeben. Denn was sich auf den ersten Blick schlüssig anhört – höhere Löhne führen zu höheren Preisen – ist alles andere als logisch.
Lea Steininger, Ökonomin am Institut für Internationale Wirtschaft, hält fest, dass die Preise immer von den Unternehmen bestimmt werden. Hinter der Lohn-Preis-Spirale steckt jedoch die Idee, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihren Lohnforderungen die Preise bestimmen. Dieser Idee erteilt Steininger im ÖGB-Podcast “Nachgehört, Vorgedacht” eine Absage:
“Auch wenn sich die Kosten für ein Unternehmen etwa durch die Kosten für den Faktor Arbeit erhöhen, ist es immer eine unternehmerische Entscheidung, die Preise anzuheben. Man könnte auch einfach die Gewinnspanne verringern.”
Lohnentwicklung eher zu schwach als zu hoch
Ähnlich sieht das der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Die Lohn-Preis-Spirale sei ein “falscher Mythos”. Fratzscher gibt zu bedenken, dass sinkende Reallöhne nicht nur den Menschen schaden, sondern auch der Gesamtwirtschaft. Denn wer weniger hat, kauft weniger ein. “Ordentliche Lohnerhöhungen sind in der derzeitigen Krise nicht nur möglich. Sie sind sogar nötig, um die Wirtschaft zu stabilisieren”, schreibt er in der Wochenzeitung „Die Zeit“. Die derzeitige Lohnentwicklung sei eher zu schwach als zu hoch.
Höhere Löhne kommen also im Endeffekt allen zugute. Anstatt von einer Lohn-Preis-Spirale zu sprechen, schlägt Ökonomin Steininger vor, den Sozialstaat zu stärken. Denn während den meisten Menschen immer weniger zum Leben bleibt, profitieren einige Wenige von der aktuellen Teuerung. Große Energiekonzerne etwa vervielfachen mit den hohen Strompreisen ihren Profit. Einige Länder, wie zum Beispiel Italien, besteuern diese sogenannten “Übergewinne” bereits und finanzieren damit Hilfen für die Bevölkerung.