Am Sonntag wählt Graz einen neuen Gemeinderat. Im Wahlkampf dominierten die Themen Verbauung, Wohnungs-Not und Verkehrs-Chaos. Das hat vor allem der ÖVP massiv geschadet. Ein Ende der 18-jährigen Ära von Bürgermeister Siegfried Nagl scheint möglich. Ob Mehrheiten gegen die türkis-blaue Rathauskoalition zustande kommen, hängt vor allem vom Abschneiden der SPÖ ab.
Ende Juni überraschte Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) die Öffentlichkeit mit einer Ankündigung. Es ging diesmal nicht um U-Bahn, Olympia oder ein anderes Luftschloss. Der Langzeitbürgermeister bestimmte, dass Graz am 26. September vorzeitig wählen sollte. Laut Statut der steirischen Landeshauptstadt durfte er das, ohne vorher den Gemeinderat zu konsultieren. Offiziell begründete Nagl diesen Schritt mit einer potentiellen vierten Corona-Welle im Winter und damit, dass er der Grazer Bevölkerung einen langen und teuren Wahlkampf ersparen wolle.
Zumindest die zweite Begründung stellte sich schnell als falsch heraus. Die Grazer ÖVP kündigte bereits Mitte Juli an, sich nicht an die vom Gemeinderat beschlossene, nicht bindende Wahlkampfkosten-Obergrenze von 400.000 Euro halten zu wollen. Sie wird Schätzungen zufolge wohl deutlich tiefer in die Taschen greifen. Von bis zu einer Million Euro Wahlkampfkosten ist die Rede.
Der finanzielle Vorteil half den Türkisen bislang jedoch nur bedingt. Obwohl Nagl die Stadt mit Plakaten, fragwürdigen persönlichen Briefen und Inseraten in Zeitungen überflutet, läuft der ÖVP-Wahlkampf schlecht. Das hat vor allem mit der Themenlage zu tun. Seit Jahren leidet Graz unter einer massiven Verbauung. Immer mehr Grünraum fällt der Bauwut privater Immobilien-Konzerne zum Opfer. Alleine seit 2012 sind ganze 68 Hektar verbaut worden. Das ist eine Fläche, die größer ist als die Vatikanstadt. Da die Immobilien-Konzerne Wohnanlagen primär als Spekulationsobjekt sehen, bauen sie oftmals an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei. Daher stehen bis zu 38.000 Wohnungen leer. Ein massiver Anstieg der Mietpreise ist die Folge. Wohnen ist in Graz jetzt schon teurer als in Wien. Die Verbauung ist darüber hinaus im Bezug auf Umwelt und Lebensqualität ein Problem. Die massiven Überschwemmungen Ende Juli haben das gezeigt.
Es ist daher nicht besonders verwunderlich, dass mittlerweile 70 Prozent der Grazer Bevölkerung eine Leerstandsabgabe befürworten.
Gleichzeitig nimmt das Verkehrs-Chaos zu. Obwohl Graz ständig wächst, wurde der öffentliche Verkehr weder ausreichend ausgebaut noch attraktiviert. Die Preise haben sich seit dem Amtsantritt von Nagl vor 18 Jahren beinahe verdoppelt.
In letzter Minute versuchte der Bürgermeister die missliche Situation durch eine politische Wendung zu ändern. Er sprach sich plötzlich für eine Bau-Bremse aus und konnte sich sogar eine Leerstandsabgabe vorstellen. Im Gemeinderat stellten SPÖ und KPÖ seine Ankündigungen auf die Probe. Die ÖVP lehnte jedoch sowohl einen Baustopp als auch die Einführung einer Leerstandsabgabe ab. Dabei erlitt sie bei der Abstimmung über ein Ende des Bauwahns eine Niederlage.
Unterdessen läuft der Wahlkampf für die meisten anderen Parteien gut. Lediglich die FPÖ hat Probleme. SPÖ, KPÖ und Grüne können die vorherrschende Themenlage hingegen zu ihrem Vorteil nutzen. Die Forderungen nach dem Ausbau des öffentlichen Verkehrs, dem Ende der Verbauung und der Einführung einer Leerstandsabgabe stoßen auf breite Zustimmung in der Bevölkerung. Laut Umfragen könnte sich eine linke Mehrheit ausgehen.
Aufgrund des Proporzsystems wäre eine Mandatsmehrheit im Gemeinderat jedoch keine Garantie für eine Mehrheit im Stadtsenat. Dort halten ÖVP und FPÖ zusammen vier von sieben Sitzen. Die KPÖ ist mit zwei und die Grünen mit einem Sitz vertreten. Es kommt jetzt darauf an, ob die SPÖ, welche 2017 denkbar knapp am Einzug scheiterte, ÖVP oder FPÖ einen Sitz abnehmen kann. Laut Umfragen dürfte das knapp werden. Sollte der SPÖ der Einzug in den Stadtsenat gelingen, könnte Nagls Ära enden.
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