Gastbeiträge

ÖSV-Präsident Schröcksnadel dankt nach 31 Jahren ab. Oder auch nicht.

Der mächtige österreichische Schiverband ÖSV bekommt einen neuen Präsidenten: den ÖVP-Nationalratsabgeordneten Karl Schmidhofer. Noch-Präsident Peter Schröcksnadel legt sein Amt zurück. Oder auch nicht.

Gastkommentar von Gerd Millmann.

„Hat die ÖVP jetzt den ÖSV übernommen?“, fragte ZiB2-Moderator Armin Wolf den designierten Präsidenten des Österreichischen Schiverbands ÖSV, Karl Schmidhofer, am Abend des 19. Mai. „Herr Wolf, da gebe ich Ihnen Recht. Die ÖVP hat eben mit fast 40 Prozent sehr sehr viele Funktionärinnen und Funktionäre“, war die Antwort des steirischen ÖVP-Nationalratsabgeordneten und neuen ÖSV-Präsidenten.

Man muss dem Mann dankbar sein für seine Offenheit. Denn seine Worte gewähren Einblick in das Selbstverständnis der Türkisen, wonach sämtliche Lebensbereiche, von der Wirtschaft über die Religion bis zum Sport, von der Politik – sprich ÖVP – bestimmt sein müssen.

Alt-Präsident Peter Schröcksnadel ist Geschäftsführer in 4 von 6 ÖSV-Tochterfirmen

Der neue ÖSV-Chef übernimmt einen ÖSV, der 31 Jahre lang von einem „Alpenkaiser“ geführt worden ist: Der Tiroler Peter Schröcksnadel ist Eigentümer einer Reihe von Bergbahnen und Schigebieten und Geschäftsführer in vier von sechs ÖSV-Tochterfirmen. Der 79-Jährige gehört zum ÖSV wie die lila Kuh zu Milka-Schokolade.

Oder besser umgekehrt: Der ÖSV gehört zu Peter Schröcksnadel.

Durch geschickte Wahl der Geschäftspartner hat sich der streitbare Tiroler eine überdimensionale Berichterstattung gesichert. So sind der ORF und die Kronenzeitung Kooperationspartner des ÖSV. Eine gefällige Berichterstattung samt Home-Stories, Krankenhausbesuchen und Trainingsberichten „unserer“ Schistars garantiert Aufmerksamkeit und dadurch wieder Sponsorenverträge für den ÖSV. Und das für Sportarten, die ernsthaft und professionell nur in einer Handvoll Staaten ausgeübt werden.

Noch ist Peter Schröcksnadel ÖSV-Präsident. // Foto: Wikimedia/Manfred Werner (CC by-sa 4.0, Link: https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Tsui)

Schröcksnadel hat den ÖSV zu einer Marke gemacht, das muss man ihm lassen. Die Kosten dafür werden weniger beleuchtet. Ein guter Teil der ÖSV-Talente wird am Weg zum Erfolg verschlissen und steht mit kaputten Knien letztlich allein da, Vorwürfe der sexuellen Übergriffe im Schisport in der Vergangenheit wurden über Jahrzehnte verschwiegen. Selbständige Sportlerinnen und Sportler, die mit Sponsoren für die paar Jahre, in denen sie aktiv sind, ihr eigenes Geld verdienen wollten, wurden öffentlich gemaßregelt – so wie Olympiasiegerin Anna Fenninger im Jahr 2015.

„Austria is a too small country to make good Doping“

Und da ist noch das Thema Doping. „Austria is a too small country to make good Doping“, sprach ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel bei den Olympischen Winterspielen 2006 in die internationalen Mikrophone, nachdem bei einer Razzia der italienischen Carabinieri unzählige Dopingmaterialien bei ÖSV-Sportlern und Betreuern gefunden worden waren.

Wie Lutziprack im Wurstelprater tauchten im ÖSV des Dopings überführte Athleten auf. Und wie aufs Neue überrascht wiederholt Peter Schröcksnadel den Satz vom „Einzelfall“, von dem er nichts geahnt hat. Ein kurzer Rückblick auf die bekanntesten „Einzelfälle“.

2002 wurde der Trainer der sehr erfolgreichen ÖSV-Langläufer, Walter Mayer, aus Dopinggründen für Olympia 2006 in Turin gesperrt. Trotz dieser Sperre tauchte er dort samt Akkreditierung auf, was die oben angeführte Razzia ausgelöst und Schröcksnadels unsterblichen Satz vom „good Doping“ in die Welt gesetzt hat.

2008 wurde bekannt, dass auch einige ÖSV-Sportler in einem Blutlabor in Wien Eigenblutdoping durchführen ließen. Die „Humanplasma“-Story schlug weltweit Wellen. 2014 wurde Langläufer und Mitfavorit Johannes Dürr knapp vor dem Start des 30km-Rennens wegen Dopings gesperrt. Und vor zwei Jahren wurden bei einer Razzia in Seefeld ein ÖSVler beim Blutdoping in flagranti ertappt.

Dass Strukturen und überbordender Leistungsdruck hinter diesen „Einzelfällen“ stehen könnte, war für Schröcksnadel nie ein Thema. Er hält beständig das Bild der kerngesunden älplerischen Naturburschen und –mädeln aufrecht, die sich und die Nation durch ehrliche und saubere Zielstrebigkeit mit Bestzeiten belohnen.

Austria is a too small Country to make good Abgang

Peter Schröcksnadel tut sich mit dem Ab- und Übergeben schwer. Und wie so viele seines Schlags hat er es verabsäumt, rechtzeitig seine Nachfolge zu regeln. So kam es in den letzten Wochen zu einer ungeregelten Schlammschlacht zwischen Olympiasieger Michael Walchhofer und „Speed Queen“ Renate Götschl, die von Schröcksnadel als Alternative ins Spiel gebracht wurde.

Nach einer verkrachten Sitzung der Schi-Landeschefs wurde letztlich der oben genannte Karl Schmidhofer als Kompromisskandidat gekürt. Ende Juni soll der neue Präsident in sein Amt gewählt werden. „Wenn ich gewählt werde, lege ich mein Nationalratsmandat zurück. Dann werde ich die Tür zur Politik zu machen. Das Amt wird unpolitisch und nur zum Wohle des Sports geführt“, verspricht der 59-jährige Schmidhofer.

Wer‘s angesichts seines Sagers in der ZiB2 über die ÖVP und den Sport glaubt, der glaubt wohl auch an Sebastian Kurzens „ich habe ein reines Gewissen“.

Ob und wann Schröcksnadel seine Vorsitze in den ÖSV-Tochterfirmen und seine Mitgliedschaften in den Gremien des internationalen Schiverbands FIS abgeben wird, ist ungewiss. Wissende würden keinen Cent auf „bald“ setzen. Bis dahin wird es zwei Präsidenten geben. Einen gewählten und einen faktischen.

Mehr Sport auf NeueZeit.at: 80 Geschichte über die Fußball-Trainerlegende Ivica Osim

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Tags: Karl Schmidhofer ÖSV Peter Schröcksnadel Sport

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