ÖVP und Grüne haben Änderungen im Sozialhilfe-Gesetz beschlossen. Das ist erfreulich, reicht aber nicht aus, um Armut unter Sozialhilfebezieher:innen effektiv zu bekämpfen. Dazu kommt, dass es sich bei den Sozialhilfe-Leistungen um Höchstgrenzen handelt, die die Bundesländer nicht überschreiten dürfen.
Schnell erklärt
Die Kolumne des Marie Jahoda – Otto Bauer Instituts
Autorin: Nora Waldhör
Die kürzlich von ÖVP Klubchef Wöginger und dem Grünen Sozialminister Rauch präsentierten Änderungen der Sozialhilfe NEU meinen es diesmal vergleichsweise gut mit den Bezieher:innen – zumindest mit einem Teil davon. Positiv ist, dass in Zukunft Personen, die in betreuten Wohneinrichtungen leben – etwa Menschen mit Beeinträchtigungen, Frauen in Frauenhäusern, Personen in Obdachloseneinrichtungen oder Jugendliche in betreuten Wohngemeinschaften – nun nicht mehr als ein Haushalt gezählt werden. Diese Bezieher:innengruppe haben künftig Anspruch auf den vollen Bezug und nicht mehr nur auf einen Teilbezug in der Höhe von maximal 70% der Sozialhilfe, so wie das bisher der Fall war.
Positiv ist auch, dass erwerbstätigen Personen mit einem Gehalt unter 978 Euro das 13. und 14. Monatsgehalt zukünftig nicht mehr von der Sozialhilfe abgezogen wird. Für diese Gruppe der „Aufstocker:innen“, die aufgrund des niedrigen Lohns zusätzlich Sozialhilfe bezieht, ist das eine wichtige Verbesserung. Ihr Gesamteinkommen erhöht sich so um bis zu 18%.
Ebenso positiv zu bewerten: Krisenzuwendungen wie etwa Covid-Hilfen werden genauso nicht mehr von der Sozialhilfe abgezogen wie das Pflegegeld.
Diese Änderungen waren längst überfällig, wie die kürzlich von der Armutskonferenz veröffentlichte Studie „Die im Dunkeln sieht man nicht…“ zeigt. Für die Studie wurden Personen identifiziert und online befragt, die in unterschiedlichen Funktionen Sozialhilfebezieher:innen – etwa als Sozialarbeiter:innen – unterstützen. Durchgeführt wurde die Befragung in jenen Bundesländern, in denen das 2019 eingeführte Sozialhilfe-Gesetz bereits umgesetzt wurde – das sind Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und Vorarlberg.
Insgesamt stellten die Praktiker:innen der Sozialhilfe NEU – die seit 2019 die Bedarfsorientierte Mindestsicherung ersetzt – ein sehr schlechtes Zeugnis aus. Die Aussage „Die Sozialhilfe ist ein geeignetes Mittel, um Armut zu bekämpfen“ bewerten mehr als die Hälfte (54,25%) der Befragten mit „trifft nicht zu“ oder „trifft überhaupt nicht zu“. Noch schlechter wurde die Aussage „Die Einführung der Sozialhilfe hat die Situation für armutsbetroffene Menschen verbessert“ bewertet. Mehr als zwei Drittel der Befragten (68,21%) antworteten auf diese Aussage mit „trifft nicht zu“ oder „trifft überhaupt nicht zu“. Umgekehrt ist nur 1 von 10 Personen (10,6%) der Meinung, dass das neue Sozialhilfe-Gesetz die Situation armutsbetroffener Menschen verbessert hat. Besonders in Oberösterreich und Vorarlberg werden Verschlechterungen durch die Sozialhilfe NEU wahrgenommen.
Die Erhebung zeigt außerdem, dass das Verfahren sehr kompliziert ist. So stimmten nur knapp 7% der Aussage zu, dass durch die Einführung der Sozialhilfe das Verfahren vereinfacht wurde. Umgekehrt sind 84% der Meinung, dass dies überhaupt nicht (54,17%) oder nicht (29,86%) zutrifft. Das wiederum führt dazu, dass weniger Menschen Leistungen der Sozialhilfe tatsächlich in Anspruch nehmen, obwohl ihnen Leistungen zustehen würden.
Trotz der kürzlichen Änderungen bleiben zentrale Problemfelder bestehen, auf die Expert:innen und Interessensvertretungen von armutsgefährdeten Menschen seit der Einführung der Sozialhilfe aufmerksam gemacht haben. Beispielsweise wird die Wohnbeihilfe nach wie vor von der Sozialhilfe abgezogen. Das trifft Sozialhilfebezieher:innen besonders hart, denn insbesondere Wohnkosten machen sehr oft den größten Teil der gesamten Ausgaben aus. Außerdem sind Wohnkosten in den letzten Jahren überall in Österreich stark angestiegen, ganz abgesehen von den kürzlichen Energiepreissteigerungen.
Wir sollten auch nicht vergessen, dass die Umsetzung der Sozialhilfe in der Verantwortung der Bundesländer liegt und im neuen Sozialhilfe-Gesetz nur Höchstgrenzen geregelt sind. Das macht einen großen Unterschied, denn bis zur Einführung der Sozialhilfe wurden bundesweit Mindeststandards vorgegeben, die von den Bundesländern zumindest erfüllt werden mussten – und teilweise, etwa in Wien, auch überschritten wurden. Das ist durch die Höchstgrenzen im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz nicht mehr möglich. Diese dürfen nicht überschritten werden, auch wenn einzelne Bundesländer das gerne würden. Damit hat sich die Bundesregierung noch einen Schritt von dem ursprünglichen Ziel der bundesweiten Standards entfernt. Durch die neuen Höchstgrenzen wurde das Tor zum Sozialdumping-Wettbewerb nach unten zwischen den Bundesländern erst recht geöffnet. An diesen Höchstgrenzen hält die Bundesregierung auch in den aktuellen Änderungen fest.
Aus der Armutskonferenz-Studie geht ebenso hervor, dass sich durch das neue Sozialhilfe-Grundsatzgesetz die Situation von Menschen, die von Wohnungsverlust betroffen sind, sowie von Kindern und Jugendlichen besonders verschlechtert hat. Während die jüngsten Änderungen die Situation von wohnungslosen Menschen zwar teilweise verbessern, enthalten die Änderungen keinerlei Maßnahmen, um armutsbetroffenen Kindern aus der Armut zu helfen. Das ist insofern skandalös, weil Kinder von 0 bis 14 Jahren unter allen Sozialhilfebezieher:innen die größte Personengruppe sind.
Um Armut in einem reichen Land wie Österreich endlich abzuschaffen, reicht es nicht, nur punktuelle Verbesserungen vorzunehmen. Wie auch Caritas-Chef Michael Landau fordert, gilt es die Sozialhilfe als Ganzes zu reformieren und armutsfest zu machen. Dazu müssen die Höchstgrenzen zumindest auf das Niveau der Armutsgrenze angehoben werden, aber auch vorgelagerte Sicherungsleistungen wie das Arbeitslosengeld müssen endlich erhöht werden. Um sicherzustellen, dass kein Kind in Armut leben muss, braucht es außerdem endlich eine Kindergrundsicherung, die allen Kindern ein Leben ohne Armut garantiert.
Die Armutskonferenz (2022): Die im dunklen sieht man nicht… Eine Erhebung zur „Sozialhilfe aus Sicht von Expert*innen der sozialen Praxis, online hier.
Die Armutskonferenz (2022): Sozialhilfe: Von zehn Giftzähnen, drei gezogen. Tut noch immer sehr weh, online hier.
Buxbaum, A. & Soukup, N. (2022): Den Sozialstaat 2022 progressiv weiterentwickeln: 7 Wegweiser für eine Sozialpolitik des gesellschaftlichen Fortschritts, online hier.
Arbeiterkammer Wien & Marie Jahoda – Otto Bauer Institut: Ungerechte Verteilung: Wie Ungleichheit unser Leben prägt, online hier.
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