In den USA gibt es mehr als fünfmal so viele leerstehende Häuser wie Obdachlose. Der Bundesstaat Utah hat deshalb das Programm „Housing First“ eingeführt und begonnen, allen Bedürftigen eine Unterkunft zu ermöglichen: Obdachlose erhalten ohne Bedingungen eine Wohnung. Dank dem „Housing First“ Programm konnte die Zahl der chronisch Obdachlosen innerhalb von zehn Jahren um 91% gesenkt werden.
Die Vereinten Nationen schätzen, dass weltweit etwa 100 Millionen Menschen obdachlos sind. Etwa 3,5 Millionen von ihnen leben in den USA. Währenddessen stehen in Amerika 18,9 Millionen Immobilien leer. Damit gibt es in den USA fünfmal so viele leerstehende Wohnungen wie Obdachlose. In Europa stehen 4 Millionen Obdachlose 11 Millionen leeren Wohnungen gegenüber.
Aus diesem Grund hat der US-Bundesstaat Utah 2005 das Programm „Housing First“ ins Leben gerufen. Oft wird von wohnungslosen Menschen erwartet, dass sie sich nach einer Arbeitsstelle umsehen oder ihre psychischen Leiden ablegen, bevor sie Hilfe erhalten. Das „Housing First“ – Programm in Utah geht den umgekehrten Weg. Obdachlose Menschen bekommen hier zuallererst eine Wohnung. Sie erhalten ohne jede Vorbedingung einen Platz zum Schlafen und Leben. Die Idee dahinter: Mit einem Dach über dem Kopf ist es einfacher, Arbeit zu finden oder psychische Krankheiten in den Griff zu bekommen.
Utah startete das „Housing First“ Programm in seiner Hauptstadt Salt Lake City. Der Staat wählte 17 der herausfordernsten Fälle von chronischer Obdachlosigkeit aus – Menschen, die durchschnittlich 25 Jahre auf der Straße verbracht hatten. Diesen 17 Personen stellte der US-Bundesstaat eine Unterkunft zur Verfügung, ohne Bedingungen oder Einschränkungen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Programm erhielten lediglich das Angebot, von Sozialarbeitern unterstützt zu werden.
22 Monate später waren immer noch alle 17 ehemals Obdachlosen in ihren Wohnungen untergebracht. Auch Keta. Sie hatte mehr als 20 Jahre lang auf der Straße gelebt und war Alkoholikerin.
Lloyd Pendleton, Direktor der Obdachlosen-Taskforce von Utah, sagt, dass Vertrauen entscheidend ist. Er berichtet über Keta, eine der ersten Teilnehmerinnen von „Housing First“:
„In der ersten Nacht in ihrer Wohnung legte sie ihre Sachen auf das Bett und schlief auf dem Boden. Die nächsten drei Nächte schlief sie draußen beim Müllcontainer in der Nähe des Wohnhauses. Mit Hilfe ihres Sozialarbeiters zog sie wieder in ihre Wohnung zurück, schlief aber noch mehrere Nächte lang auf dem Boden. Es dauerte über zwei Wochen, bis sie genug Vertrauen entwickelt hatte, dass diese Wohnung ihr gehörte und ihr nicht weggenommen wird“.
Mit Vertrauen und einem sicheren Zuhause finden die Menschen die Kraft, ihre Probleme zu lösen. Heute schläft Keta immer noch in ihrem eigenen Bett – und sie ist nüchtern.
Neben Keta half das Programm landesweit mehr als 2.000 weiteren Menschen aus der Obdachlosigkeit. Innerhalb von zehn Jahren konnte die Zahl der chronisch obdachlosen Menschen in Utah um 91% gesenkt werden. Im Nachbarstaat Wyoming hingegen stieg die Obdachlosigkeit im gleichen Zeitraum um 213%.
„Housing First“ funktioniert auch in anderen Ländern. Finnland setzt das „Housing-First“-Konzept seit 2008 um und ist das einzige Land in der Europäischen Union, in dem die Zahl der Obdachlosen sinkt. Die finnische NGO „Y-Foundation“ kauft Wohnungen auf dem privaten Wohnungsmarkt und renoviert bestehende Klein-Wohnungen. Dann stellt sie die Wohnungen bedürftigen Menschen zur Verfügung. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die Büros in den Wohnhäusern haben, bieten Unterstützung im Alltag an. 4 von 5 ehemaligen Obdachlosen finden durch das finnische Programm den Weg zurück in ein stabiles Leben.
Nebenbei hat „Housing First“ auch wirtschaftliche Vorteile. Utah gibt jährlich durchschnittlich 14.000 Euro für jeden chronisch Obdachlosen aus. Darin enthalten sind etwa Kosten für Notdienste, Gefängnisaufenthalte oder Rechtskosten. Die Kosten für die Unterbringung von obdachlosen Menschen belaufen sich im Gegensatz dazu auf nur 9.000 Euro pro Person.
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