Die Zusammenlegung der Krankenkassen durch ÖVP und FPÖ, Angriffe auf den Sozialstaat und nicht zuletzt die Pandemie haben unsere Gesundheitsversorgung ausgehöhlt. Für Kassenpatient:innen bedeutet das Spitalsbetten auf den Gängen, lange Wartezeiten für dringende Operationen und zu wenige Ärzt:innen. Gleichzeitig boomen teure private Zusatzversicherungen und Wahlarztpraxen. Wie können wir unser Gesundheitssystem noch retten?
Zahlen oder warten. Diese Frage müssen sich immer mehr Patientinnen und Patienten stellen. Wer dringend einen Termin für eine Untersuchung oder gar eine Operation braucht, hat im österreichischen Gesundheitssystem schon lange das Nachsehen. Gesundheitsforscher:innen sprechen mittlerweile von einem System, in dem Menschen privates Geld in die Hand nehmen müssen, um schneller eine medizinische Versorgung zu bekommen. Die sogenannte „Zwei-Klassen-Medizin“ ist kein plötzliches Schicksal. Vielmehr ist sie ein Trend, der sich jahrelang angebahnt hat.
Diese Entwicklung haben ÖVP und FPÖ mit der Zusammenlegung der Krankenkassen zu einer österreichweiten Gesundheitskasse (ÖGK) zusätzlich verstärkt. Eigentlich hat Österreich eines der besten Gesundheitssysteme weltweit. 99,6 Prozent der Menschen hierzulande haben eine Gesundheitsversicherung. Trotzdem warnen Gesundheitsxpert:innen vor einem Total-Kollaps des Sozialstaats. Medizinische Basisleistungen werden weiterhin für alle abgedeckt. Für alle, die sich keine private Zusatzversicherung leisten können, wird es allerdings immer längere Wartezeiten geben. Und viele Behandlungen könnten bald ein Privileg von Wohlhabenden mit Zusatzversicherung sein.
Die Zusammenlegung zur ÖGK und die damit einhergehende „Patientenmilliarde“ war eines der zentralen Versprechen der türkis-blauen Regierung unter Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Gebracht hat sie 214,9 Millionen Euro Mehrkosten für die Steuerzahler:innen und keine Lösungen für fehlende Kassen- sowie Fachärzt:innen. 2020 setzten die damalige Sozialministerin Beate Hartinger-Klein und der damalige und jetzige ÖVP-Klubobmann August Wöginger die Zusammenlegung der neun Gebietskrankenkasse zur jetzigen Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) durch.
Arbeiterkammervertreter:innen, Gewerkschaft und auch die SPÖ protestierten heftig. Ein Bericht des Rechnungshofs gab ihnen schließlich Recht. Er bestätigt, dass die erhofften Einsparungen – nämlich eine Milliarde Euro – nicht zustande kamen. Im Gegenteil: Die versprochene „Patientenmilliarde“ kostete den Steuerzahler:innen sogar noch Geld. Durch den Umbau entstanden Mehrkosten in der Höhe von 214,9 Millionen Euro. Verantwortlich waren vor allem deutlich höhere Kosten für Verwaltung und IT.
Dennoch gibt es Unterschiede zwischen den erhalten gebliebenen Versicherungsträgern: In den einzelnen Bundesländern ist man in der allgemeinen Gesundheitskasse (ÖGK) versichert, dann gibt es noch die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, die mit den Eisenbahnern und Bergbau (BVAEB) zusammengewürfelt wurde und die Sozialversicherung der Selbständigen (SVS). Letztere übernimmt zum Beispiel bei Zahnbehandlungen mehr Leistungen und bietet höhere Zuschüsse zu psychotherapeutischen Behandlungen.
Die Sinnhaftigkeit der Zusammenlegung verteidigt ÖGK-Chef Bernhard Wurzer vehement. Er bezeichnet die Reform als „Erfolg“. Die Ärztekammer ortete schon 2020 eine „sündteure Medienaktion“, die NEOS sprachen von „einer riesengroßen Lüge“ und auch die SPÖ ortete einen „Pfusch“. Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil meinte gar die ÖGK wäre nur ein großer Apparat, der Geld verteile.
Anfang 2023 gab es 300 unbesetzte Kassenstellen, davon 176 Stellen für Allgemeinmedizin. Die Gesamtzahl der Kassenärztinnen und Ärzte stagniert seit etwa zehn Jahren bei knapp über 8000. Die Bevölkerung ist in derselben Zeit um sechs Prozent gestiegen. In den nächsten zehn Jahren soll jede:r dritte Ärzt:in pensionsreif sein. Der Personalmangel zeigt sich aber nicht nur in verwaisten Landarzt-Praxen. Vor allem im Spital, speziell in der der Pflege, zunehmend aber auch beim ärztlichen Personal ist man am Limit. Es drohen Stationsschließungen, Verschiebungen von OPs, schlechtere Betreuung von Patient:innen und eine seit Corona massiv erhöhte Arbeitslast beim bestehenden Personal.
Dabei handelt es sich laut Gesundheitsforscher:innen aber um ein hausgemachtes Problem: Die öffentliche Versorgung durch Ärzt:innen könne nicht sichergestellt werden, solange es die attraktivere und lukrativere „Option” gibt, im wahlärztlichen Bereich tätig zu sein. Mehr Einschränkungen oder auch Verpflichtungen für Wahlärzt:innen einen gewissen Stundensatz im allgemeinen Gesundheitssystem zu arbeiten, könnten die Versorungsnot lösen. Aktuell ist eine Kassenstelle für viele gut ausgebildete Ärzt:innen aber unattraktiv. Fix vorgeschriebene Arbeitszeiten, weniger Gehalt als als Wahlarzt und Bürokratie sprechen nicht für den öffentlichen Sektor.
Dass die Privatmedizin wieder in ihre Schranken gewiesen wird, fordern auch die sozialdemokratischen Tiroler Gewerkschaftsvertreter. Deren Vorsitzender, Bernhard Höfler meint: „Der Zugang zum Gesundheitssystem darf nicht an materielle oder sonstige Voraussetzungen gebunden sein. Unser öffentliches Gesundheitswesen muss ausreichend und fair finanziert werden und vor allem für alle da sein.“
In manchen Regionen können Kassenarztpraxen nicht mehr nachbesetzt werden. Unzählige Ärztinnen und Ärzte schieben ihren Ruhestand auf, weil sie keine Nachfolge finden können. Einheitliche Tarifgestaltung über die Bundesländer hinweg und eine deutlich bessere Abgeltung der einzelnen Leistungen für Kassenärzte würden helfen. Höhere Aufschläge für Landärzt:innen, Zuschüsse bei der Neu-Anschaffung von Arztpraxis-Utensilien und ein erleichterter Zugang zur medizinischen Ausbildung wären ebenfalls Möglichkeiten. Viele Mediziner:innen verlassen nach dem Abschluss das Land. Eine Verpflichtung, nach dem Studium eine gewissen Zeit in Österreich zu arbeiten, könnte helfen.
Die „stille Privatisierung“ der allgemeinen medizinischen Basisversorung ist mittlerweile nicht nur dem Gesundheitspersonal oder Expert:innen aufgefallen. In Kärnten und auch im Burgenland hat deswegen auch die Politik Versuche zur Rettung des Gesundheitssystems gestartet: Kärnten beispielsweise zahlt seinen Medizinstudierenden im verpflichtenden klinisch praktischen Jahr in Zukunft eine höhere Aufwandsentschädigung. Statt 650 Euro erhalten die Studentinnen und Studenten in Zukunft 900 pro Monat – also beinahe 40 Prozent mehr. So will die Landesregierung anstrebende Jungmediziner:innen im Bundesland halten.
Die Lösungsvorschläge lägen auf dem Tisch. Nun bleibt abzuwarten, wie Politik, Ärztekammer und Expert:innen weitermachen wollen, damit Gesundheit vor allem eines nicht wird: Ein Luxusgut.
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