Graz wählt am 26. September einen neuen Gemeinderat. Die Grazer Stadtpolitik ist einzigartig in Österreich – und eine politische Wundertüte.
Eine Quizfrage zum Einstieg: Wenn ein konservativer Spitzenpolitiker nach einer Wahl sarkastisch anmerkt „bin ich halt auch ein Kommunist“, wo befinden wir uns dann? Wer auf Graz getippt hat, liegt richtig. Das Zitat stammt vom kürzlich gestorbenen Ex-ÖVP-Landesrat Gerhard Hirschmann anlässlich der Grazer Gemeinderatswahl 2003, als die Kommunisten ihre Sitze im Gemeinderat verdreifachten.
Grazer Politik ist einzigartig in Österreich. Stadt der Volkserhebung und Menschenrechtsstadt. Aufsteirern und Kulturhauptstadt. Studentenhochburg und Pensionionopolis. Sozialdemokraten, Nationalisten und christlich Konservative als Bürgermeister in Koalitionen Jeder mit Jedem. Graz ist eine politische Wundertüte.
Und dennoch gibt es eine Konstante, die mich als bekennenden Sozialisten und SPÖ-Mitglied schmerzt. Die SPÖ Graz hat innerhalb von 30 Jahren ihren Wähleranteil von 42,5 auf 10 Prozent marginalisiert. Wahl für Wahl ziemlich konstant minus fünf Prozentpunkte, von einer klaren Mehrheit zu einer Kleinpartei, die nicht einmal mehr im Stadtsenat vertreten ist. Woran mag das liegen?
Die Erklärung, dass die Grazer Wählerschaft deutlich nach rechts gerückt wäre, ist falsch. Im Jahr 1993 wählten 46 Prozent links (SPÖ, KPÖ und Grüne), bei der letzten Kommunalwahl waren es immer noch 41 Prozent, davon aber weniger als ein Viertel sozialdemokratisch.
Es muss also andere Gründe für die Talfahrt der Grazer SPÖ geben. Ein Erkärungsversuch, der unvollständig bleiben muss:
Erstens die Personalentscheidungen an der Parteispitze. Nachdem sich der unumstritten verdienstvolle Bürgermeister und Vorsitzende Alfred Stingl zu keiner geordneten Staffelübergabe während seiner Amtszeit durchringen konnte, brachte es die Grazer SPÖ innerhalb von 18 Jahren auf neun Personen als Vorsitzende, von denen sechs nicht einmal zu einer Gemeinderatswahl antreten konnten.
Zweitens wird die Klammer zwischen intellektuellem und proletarischem Sozialismus, die die SPÖ über mehr als ein Jahrhundert zusammengehalten hat, lose. „Bobos“ wählten zunehmend Grün, vereinzelt Schwarz und zuletzt sogar Pink, „Schöpfer“ wanderten scharenweise zu den Kommunisten oder den Nationalisten ab.
Drittens eine strategische Ausrichtung, die eigentlich keine ist. Es wird versucht, es allen recht zu machen. Am Beispiel Verkehr dokumentiert: Klares Bekenntnis für Öffis bei gleichzeitiger uneingeschränkter Auto-Zufahrt in die Innenstadt samt Billig-Kurzparkzonen, Ausbau der Radwege und Vorrang für Fußgeher ist die Quadratur des Kreises. Wenn man jemandem von einem begrenzten Gut wie Verkehrsfläche mehr geben will (etwa den Öffis), muss man es anderen wegnehmen (etwa den Autos). Allein vor dieser Logik schreckt die Grazer SPÖ bisher zurück. Das Ergebnis ist nicht, dass sich alle vertreten fühlen, sondern dass sich keiner mehr verstanden fühlt.
Jede Diagnose ist sinnlos, folgt ihr nicht eine Therapie. In weniger als drei Monaten wird der Grazer Gemeinderat neu gewählt. Was also tun, um die Talfahrt der Grazer SPÖ zu stoppen und sie wieder, wenn schon nicht in eine steile Bergfahrt, zumindest hügelan zu führen?
Personell steht mit Michael Ehmann seit mehr als fünf Jahren ein Vorsitzender an der Spitze, dessen Zustimmungswerte höher sind als die seiner Partei.
Programmatisch und ideologisch bräuchte sich die SPÖ nicht verbiegen. Freiheit, Gleichheit, Solidarität und Gerechtigkeit sind in der Präambel jedes Parteiprogramms seit mehr als 100 Jahren festgeschriebene Werte. Die Gemeinschaft der Starken hat dafür zu sorgen, dass die Schwachen nicht untergehen. Gilt dieser sozialdemokratische Konsens, muss sich auch jedes politische Handeln der SPÖ klar für die Benachteiligten in der Gesellschaft positionieren.
Ein sympathischer Spitzenkandidat, eine klare gesellschaftspolitische Positionierung und ein pointierter Wahlkampf für Öffis und gegen Autos in der Schadstoff-Hochburg, für leistbare Mieten mit Obergrenze gegen Anlegerwohnungen und spekulativen Leerstand, für ganztägige Gesamtschule bis 14 gegen das Millionengeschäft Nachhilfeunterricht könnten die Grazer SPÖ aus dem Tal der Tränen zumindest wieder in den Stadtsenat führen.
Ein weiser Genosse hat im Laufe der SPÖ-Talfahrt einmal gesagt: „Für 20 Prozent brauchen wir uns nicht verbiegen, da können wir auch prinzipientreu bleiben!“ Diese Erkenntnis sollte für den derzeitigen Wähleranteil von zehn Prozent erst recht gelten.
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