Kommentar

Wie viel wir über Ungleichheit wissen (dürfen) – und wie wir das ändern können

Daten zur ungleichen Vermögensverteilung in Österreich sind Mangelware. Die Intransparenz ist bewusst herbeigeführt und nicht nur aus demokratischer Sicht problematisch – sie erschwert auch den wirtschafts- und steuerpolitischen Diskurs. Die Diskretion gilt aber nur für große Vermögen, am unteren Ende der Vermögensverteilung muss der Besitz offengelegt werden. In der Krise wird besonders deutlich: Wer hat, dem wird noch mehr gegeben. Dabei gibt es einfache Möglichkeiten, den Nebel an der Vermögens-Spitze in Österreich zu lichten.

Transparenz unten, Diskretion oben

Am unteren Ende der Vermögensverteilung ist von „notwendiger Transparenz“ die Rede. Gerät man in eine finanzielle Notlage und ist auf Mindestsicherung angewiesen, so muss man sein Vermögen nicht nur offenlegen, sondern dieses auch zuerst auf einen geringen Rest – aktuell 4.586,76 Euro in Wien – aufbrauchen. Ausgenommen ist der Hauptwohnsitz im Eigentum sowie die Wohnungseinrichtung. Wer ein Auto besitzt und dieses nicht für berufliche Zwecke benötigt, muss es verkaufen.

Dabei stellt das Volumen der Mindestsicherung nur einen Bruchteil der staatlichen Hilfen, Subventionen und Zuschüsse dar, von denen große Unternehmen und ihre Eigentümerinnen und Eigentümer in guten wie in schlechten Zeiten maßgeblich profitieren. In diesem Fall wird jedoch keineswegs Transparenz hinsichtlich des Privatvermögens der Profiteure vorausgesetzt. An der Spitze ist von „notwendiger Diskretion“ die Rede. Vorschläge zu Vermögensteuern werden in Hinblick auf die damit einhergehende Transparenz beispielsweise gerne als „Schnüffelsteuern“ kritisiert.

Covid-19 und der sogenannte Matthäus-Effekt

Während der aktuellen Corona-Krise erhielten Unternehmen Milliarden an öffentlichen Mitteln, in Form von Krediten, Staatshaftungen, Zuschüssen oder im Rahmen von Kurzarbeit. Viele der mit Staatshilfen bedachten Unternehmen befinden sich im Besitz millionen- bzw. milliardenschwerer Eigentümerfamilien. Im Gegensatz zum Bezug von Mindestsicherung müssen diese jedoch nicht zuerst die Privatvermögen heranziehen, bevor ihre Unternehmen mit staatlichen Hilfen gestützt werden. Es müssen noch nicht einmal die Vermögensverhältnisse offengelegt werden.

Ganz im Gegenteil war es in vielen Fällen möglich, völlig unbehelligt und trotz der erhaltenen Staatshilfen hohe Boni und Dividenden auszuschütten und damit finanzielle Mittel aus den Unternehmen ins Privatvermögen zu übertragen. Es konnten somit zeitgleich Risiken sozialisiert und frühere Gewinne privatisiert werden.

Das bedeutet: Am unteren Ende der Verteilung muss das Vermögen zunächst bis auf einen geringen Rest aufgebraucht werden. An der Spitze hingegen erhält man staatliche Hilfe, damit man das Privatvermögen unangetastet lassen oder noch weiter steigern kann. Wer hat, dem wird gegeben. Der sogenannte Matthäus-Effekt wurde in der Covid-Krise deutlich: Viele der größten Vermögen sind in der Krise rasant gewachsen, während Zehntausende in Kurzarbeit geschickt wurden oder ihren Arbeitsplatz verloren haben.

Der Mangel an Datentransparenz ist gewollt

Das Wissen über die Vermögensverteilung in Österreich basiert großteils auf einer freiwilligen Haushaltsbefragung von einigen Tausend Haushalten, welche nicht in der Lage ist, die Spitze der Vermögensverteilung abzubilden. Dies ist vor allem auf den freiwilligen Charakter der Erhebung zurückzuführen, denn Vermögende verweigern die Teilnahme besonders häufig und Falschangaben werden nicht sanktioniert.

Um die Spitze der Vermögensverteilung zu schätzen, ist die Wissenschaft deshalb auf statistische Modelle angewiesen. Meist sind zudem Reichenlisten privater Magazine die einzige Möglichkeit, um die Haushaltsbefragungen um individuelle Vermögensdaten der reichsten Haushalte zu ergänzen. Die Schätzungen dieser Magazine, die sich häufig im Besitz der Reichen selbst befinden, unterschätzen die Höhe der Vermögen vermutlich deutlich – insbesondere, wenn es sich um stark diversifizierte Portfolien handelt. Auch zeigt sich die Tendenz, dass vor allem jene Personen in den Listen aufscheinen, die dies auch möchten, während Familien, die lieber unerwähnt bleiben, oftmals exkludiert werden.

Warum die Vermögensungleichheit unterschätzt wird

Basierend auf aktuellen Schätzungen für Österreich besitzt das reichste Prozent der Haushalte mehr als 40 Prozent des gesamten Nettovermögens. Die ärmere Hälfte der Bevölkerung hat relativ betrachtet praktisch nichts mehr (2,5 Prozent).

Kritikerinnen und Kritiker halten diesen Zahlen häufig entgegen, dass bei Berücksichtigung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen wie staatlichen Pensionen die Ungleichheit sinken würde. Abgesehen davon, dass dieselben Personen meist zeitgleich den Abbau eben jenes Wohlfahrtsstaates proklamieren, bleiben wesentliche andere Faktoren, die das Maß der Ungleichheit weiter erhöhen würden, unberücksichtigt.

Zunächst einmal wirken die Verschleierungsmöglichkeiten mittels Steueroasen und juristischen Konstrukten bei hohen Vermögen verzerrend. Schätzungen für Westeuropa zeigen, dass rund 10 Prozent der gesamten Finanzanlagen in Schattenfinanzzentren versteckt sind. Auch das Vermögen in Privatstiftungen kann häufig nicht dem eigentlichen wirtschaftlichen Eigentümer bzw. Begünstigten zugeordnet werden, obwohl in den rund 3.000 Privatstiftungen in Österreich über 70 Milliarden Euro schlummern, welche die Macht einiger Familien auf möglichst lange Zeit absichern sollen.

Eine weitere wichtige Verzerrung an der Spitze betrifft den sogenannten intermediären Konsum. Dabei handelt es sich um wirtschaftlich privaten, jedoch buchhalterisch dem Unternehmen zugeordneten Konsum und Besitz, was zu einer Unterschätzung des Privatvermögens führt. Der Ökonom Thomas Piketty schlussfolgert, dass alleine durch diesen Faktor die Ungleichheit erheblich unterschätzt werden könnte.

Die Bedeutung von kulturellem und sozialem Kapital

Weiters nicht berücksichtig werden immaterielle Vermögensbestandteile, insbesondere kulturelles und soziales Kapital. Der deutsche Elitenforscher Michael Hartmann betont, dass es sich dabei um einen wichtigen Faktor zur Absicherung und Abschottung der kleinen Wirtschafts- und Vermögenseliten handelt.

Kulturelles Kapital betrifft gesellschaftliche „Codes“ innerhalb der Eliten und reicht von Hobbies und dem generellen Habitus bis hin zu kulturellen Vorlieben. Michael Hartmann sieht darin einen entscheidenden Grund, weshalb etwa die Wirtschaftseliten in westlichen Industrienationen besonders abgeschottet sind. Für die großen deutschen Unternehmen konnte er zeigen, dass weit über 80 Prozent der Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden aus den oberen 4 Prozent der Bevölkerung stammen.

Auch das soziale Kapital ist elementar. Familiäre Kontakte und soziale Netzwerke, die Zugang zu begehrten Positionen eröffnen und ein finanzielles Sicherheitsnetz bieten, erlauben es, höhere Risiken einzugehen und unternehmerische Wagnisse auf sich zu nehmen. Wer weich fällt, kann es riskieren, hoch zu klettern.

Aufgrund des immateriellen Charakters von kulturellem und sozialem Kapital und der Schwierigkeit, einen exakten Wert dafür festzulegen, bleiben auch diese wesentlichen Vermögensbestandteile bei Schätzungen zur Vermögenskonzentration unberücksichtigt.

Der Wohlfahrtsstaat schützt auch die Vermögenden

Zuletzt nehmen Vermögende öffentliche Dienstleistungen und staatliche Infrastruktur meist stärker in Anspruch und auch das kulturelle Angebot orientiert sich laut Studien eher an deren Freizeitverhalten. Ein gut ausgebauter Wohlfahrtsstaat reduziert weiter das Risiko, Opfer von sozialen Unruhen, Raub oder gesellschaftlichen Umwälzungen zu werden. Vermögende ersparen sich Kosten zur Sicherung ihres Eigentums und ihrer selbst. In Staaten mit schwach ausgeprägtem Sozialstaat und höherer Armut nehmen diese Kosten mitunter signifikante Ausmaße an.

Zusammenfassend zeigt sich, dass bei Berücksichtigung all dieser Faktoren ein Niveau an Ungleichheit zu Tage treten könnte, das selbst die pessimistischsten Schätzungen zu übertreffen vermag.

Was wäre nötig, um Transparenz herzustellen?

Ein rasch umzusetzender und notwendiger erster Schritt wäre ein Reichtumsbericht, der parlamentarisch begutachtet und öffentlich diskutiert wird, wie dies in Deutschland der Fall ist. Anzustreben wäre zudem eine umfassende staatliche Erhebung der Privatvermögen als Grundlage für steuer- und wirtschaftspolitische Diskussionen.

Selbstverständlich sollte betont werden, dass für die Bewertung der Vermögen eine gut durchdachte und konsistente Vorgehensweise nötig ist. Bei Immobilien ist die Heranführung der Einheitswerte an die Marktwerte wichtig, im Bereich des Finanzvermögens wäre das Bankgeheimnis kritisch zu hinterfragen.

Da aktuell nicht einmal Daten zu den Einkommen aus diesen Vermögen vorliegen, wäre es elementar, Transparenz bezüglich der Kapitalerträge herzustellen. Diese sind noch ungleicher verteilt als die Vermögen selbst – auf 10 Prozent der österreichischen Haushalte entfallen rund 90 Prozent der Kapitaleinkommen.

Am effektivsten wäre eine Vermögensteuer. Dabei könnte zunächst lediglich ein symbolischer Steuersatz von beispielsweise 0,1 oder 0,2 Prozent erhoben werden – mit dem primären Ziel, eine fundierte Datenbasis zur Vermögenverteilung in Österreich aufzubauen.

Abschließend sei noch erwähnt, dass selbst dieser symbolische Steuersatz von nur 0,2 Prozent – angewandt lediglich auf das vermögendste Prozent der Bevölkerung – eine Summe von über einer Milliarde Euro ergeben und damit mehr als die bundesweiten Kosten für die Mindestsicherung ausmachen würde.

Es ist an der Zeit, die Nebeldecke an den Gipfeln zu lichten!

NeueZeit Redaktion

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