Auf den ersten Blick gehört der Gürtel nicht zu den schönsten Orten Wiens. Er ist die am stärksten befahrene Landesstraße in Österreich und eine der meistfrequentierten in ganz Europa. Doch die Stadtbahnbögen, die Gürtellokale, die typischen architektonischen Elemente von Otto Wagner, die das Stadtbild und die Geschichte Wiens stark prägen – all das macht den Reiz des Gürtel aus.
Geschichte des Gürtels: Verteidigungswall, Rotlichtviertel, Partyszene
Die Geschichte des Gürtel beginnt schon früh: Bereits im Jahr 1704 wurde in Wien zur Verteidigung ein sogenannter Linienwall angelegt. Der Verlauf des Walles entspricht dem heutigen Gürtel in Wien. 1890 wurde die Stadt politisch und administrativ mit seinen Vororten vereinigt. Dabei beschloss man, das Gebiet um den Linienwall für den Bau einer Stadtbahn zu nutzen. Die Gestaltung übernahm Architekt Otto Wagner.
Insgesamt plante er 30 Stationsgebäude und konzipierte den Gürtel als Boulevard mit Alleen nach dem Vorbild der Wiener Ringstraße. Dabei entwickelte sich der Gürtel zu einer beliebten Wohngegend. Als das Auto sich als Verkehrsmittel durchsetzte, nahm der Verkehr am Gürtel massiv zu. Dabei wurde er zu einer der am stärksten befahrenen Straßen Europas. Die Gegend verfiel und der Gürtel entwickelte sich zum Rotlichtviertel Wiens.
Das änderte sich in den 1990er-Jahren aber erneut: Um die Gegend aufzuwerten, begann die Stadt Wien die Stadtbahnbögen und die Ubahn-Stationen zu restaurieren. Außerdem siedelten sich die sogenannten Stadtbahnlokale an.
Wie die Gürtellokale entstanden
An 218 Stadtbahnbögen begannen sich in den 1990er-Jahren unter den Viadukten der Ubahn zahlreiche Lokale anzusiedeln. Für sie war der starke Verkehrslärm von Vorteil, da deshalb dort kaum Lärmgrenzen gelten. Essen, Trinken, Konzerte: Die “Gürtelszene” ist mittlerweile fester Bestandteil des Wiener Nachtlebens. Begonnen hat der Gürtelboom in den Stadbahnbögen 29 bis 32: im Lokal „Chelsea“. Dieses unterscheidet sich sogar von seinen zahlreichen Nachbarn: Es hat keine Glasfassade, wie es bei den anderen Lokalen „rhiz“, „Kramladen“ oder „b72“ der Fall ist.
Typisch Wien: Das Otto-Wagner-Grün
Dass sich seine Stadtbahnbögenzu einer Fortgehmeile entwickeln, hat sich Architekt Otto Wagner bei der Planung sicherlich nicht so vorgestellt. Doch der Wiener prägte die Stadt mit seiner Architektur auf eine einzigartige Art und Weise. Die charakteristischen Merkmale der Wiener Stadtbahnbögen und U-Bahnstationen wie die Sonnenblumengitter und das Stadtbahngrün – auch Otto-Wagner-Grün genannt – werden ihm zugesprochen. Sie bilden eine Art “corporate identity” der Stadt. 2015 jedoch ergab eine Untersuchung: Die Metallteile erhielten erst nach dem Zweiten Weltkrieg das heute so bekannte Grün.