Graz wächst – und das lockt Investoren an. Neue Luxus-Wohnungen mit Quadratmeterpreisen von bis zu 9.000 Euro haben aber eine Kehrseite: Bewohner ehemaliger Arbeiterviertel könnten aus ihren Stadtteilen verdrängt werden. Die Profitgier privater Immobilien-Investoren steht leistbaren Mieten gegenüber. Die Grazer Stadtentwicklung ist an einem Scheidepunkt.
Grazer Wachstum lockt Investoren an
Alles begann 2013: Der Grazer Gemeinderat beschließt das sogenannte Stadtentwicklungskonzept STEK 4.0. Die Idee hinter dem Konzept: Graz soll attraktiver für Immobilien-Investoren werden. Durch das schnelle Bevölkerungswachstum (+20% von 2015 bis 2034) sind neue Bauten notwendig, dafür will die Stadt private Geldgeber gewinnen. Am stärksten wachsen traditionelle Arbeiterbezirke wie Puntigam und Eggenberg. Das schnelle Wachstum und die privaten Investoren bringen aber auch Probleme mit sich. Die werden besonders am Beispiel des sogenannten Annenviertels sichtbar – ein Stadteilprojekt, das als Kultur-Konzept geschaffen wurde und das sich in den Arbeiterbezirken Gries und Lend um das Grazer Kunsthaus herum erstreckt.
Das Annenviertel zwischen Arbeiterbezirken
Seit der Eröffnung des Grazer Kunsthauses 2003 hat sich dieses Annenviertel zu einem kreativen und jungen Viertel entwickelt. Das schlägt sich auch in den Mieten nieder: Investoren nutzen die Entwicklung, um ihre Immobilien teurer vermieten zu können. Die „Raiffeisen Evolution“ – eine Immobiliengruppe aus Raiffeisen, Projektentwicklung Österreich, STRABAG AG und UNIQA – errichtete etwa 63 neue Eigentumswohnungen im Annenviertel. Beworben wurden die Wohnungen mit den Slogans „Wohnen mit Kultur“ und „aussichtsreiche Wertanlage“.
Die Raiffeisen Evolution ist nicht der einzige Investor im Viertel. Auf ehemaligen Gewerbeflächen und Industrieanlagen der Marienmühle steht heute das RONDO, welches „exklusive Wohnungen“ und „extravagante Büroflächen“ bietet.
Wohnungen in Graz kosten bis zu 9.000€ pro Quadratmeter
Damit wird auch die Geschichte der Grazer Viertel verdreht: Die Stadtteile auf der rechten Murseite sind eng mit der Geschichte der Arbeiterbewegung verbunden, Viertel wie Gries und Lend sind traditionelle Arbeiterbezirke. Das neue Image des Kunstbezirks Annenviertel passt nicht so recht ins Bild.
Auch wenn Kunst und Kultur ein wichtiger Teil jeder Stadt sind, bringt diese Veränderung Probleme für die Bewohnerinnen und Bewohner. Durch neue Luxusapartments und trendige Gastronomiebetriebe steigen die Mieten im Viertel. Wo früher der Sitz des Gewerkschaftsbundes war, ist heute mit „The Elephant“ ein Luxuswohnbauprojekt. Im kostspieligsten Objekt des „Elephant“ liegt der Quadratmeterpreis bei 9.060 Euro.
Anrainer, die sich die neuen Mieten nicht mehr leisten können, werden aus ihren Heimatbezirken verdrängt. Die Geschichte der Arbeiterviertel muss modernem Kunstflair weichen. Bei all dem geht es schlussendlich auch darum, wer das Stadtbild mitgestalten darf. Aktuell wird das am Beispiel des direkt an der Mur gelegenen Augartenparks sichtbar.
Stadtentwicklung im Grazer Augartenpark
Der Grazer Augartenpark wird umgestaltet: Eine Augartenbucht, wird angelegt, der Park soll in Zukunft mehr Komfort zum Entspannen an der Mur bieten.
Laut Grazer Stadtregierung erfolgt der Umbau als Zeichen der Bürgerbeteiligung. Das sehen aber nicht alle so. Die Holding Graz, das stadteigene Dienstleistungs-Unternehmen, bewirbt ein Gastronomiekonzept, das mehr Konsum in den Augartenpark bringen soll:
„Ziel ist die Schaffung einer attraktiven, nachhaltigen und dennoch zeitgemäßen Gastronomie im Augarten, die den multikulturell-kulinarischen Ansprüchen seiner Besucher gerecht wird und langfristig zusätzlichen Anreiz für einen Parkbesuch schaffen soll.“
Die Bürgerinitiative „Hände weg vom Augarten“ befürchtet, dass der Kommerz überhandnimmt und finanziell schlechter gestellte Gruppen vertrieben werden, die den Augarten bisher als kostenlose Freizeitfläche nutzten.
Stadt für alle braucht Interessenausgleich
Die Beispiele Augarten und Annenviertel zeigen, wer sich in der Grazer Stadtentwicklung oft durchsetzt: Private Investoren, die mit Mieten und Gastronomie Profit machen wollen. Um die Stadt lebenswert und leistbar zu gestalten, braucht es aber einen Interessenausgleich. Der Grazer Historiker und Aktivist Leo Kühberger schlägt vor, den Wohnbau von reinen Profitinteressen zu befreien. Gleichzeitig brauche es einen Ausbau von öffentlichen Flächen im Stadtbild, die auch ohne Konsum genutzt werden können. Zudem könne ein stärkerer kommunaler Wohnbau für leistbare Mietpreise für alle Grazerinnen und Grazer sorgen.