Gesellschaft

Sensationshunger statt Sorgfalt: Der Amoklauf in Graz und seine mediale Begleitkatastrophe

Noch während Polizei und Rettungskräfte um Leben kämpften, kursierten bereits die ersten Videos der Tat im Netz. Medien überschlugen sich mit Pushmeldungen, Ticker-Updates und unreflektierten Einschätzungen auf Social Media. Der Umgang mit dem Amoklauf in Graz zeigt: Nicht nur unseriöse und rechte Medien sowie Boulevardblätter haben ein Empathieproblem – auch die sogenannte Qualitätspresse enttäuscht. Wie weiter tun?

Wer derzeit „Amoklauf Graz“ in Suchmaschinen oder auf Social Media-Plattformen eingibt, landet schnell bei verstörenden Headlines, Bildern oder Videos. Dabei wissen reflektierte Medienschaffende und Medienkonsument:innen, dass in solchen Momenten der Fokus auf die Betroffenen gerichtet sein sollte. Viele von ihnen sagen „Es ist zu früh, um darüber zu sprechen.”

Und dennoch teilt die Krone Videos von flüchtenden Schüler:innen und Fotos vom Täter. Und dennoch rückt der Standard den Amokläufer in einem Postingtext auf Instagram in den Mittelpunkt (was nachweislich zu Nachahmungstaten führen kann). Und dennoch fährt das Wochenmagazin Profil wenige Stunden nach der der Tat in die Wohnsiedlung um Nachbarn und Mutter zu interviewen – „vielleicht hätte sie was sagen wollen“, rechtfertigt Profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer später das Vorgehen.

Von gewissen Kanälen wie AUF1 erwarte ich mir keine Berichterstattung mit gesellschaftlichem Mehrwert. Von Medien, die wir mit Steuergeldern finanzieren, allerdings schon. Wenn Sensationslust statt Empathie mit den Betroffenen im Vordergrund steht, dann sind wir als Medienschaffende und als Medienkonsument:innen falsch abgebogen.

In Krisen wird Sensibilität zur Stärke 

Die Auseinandersetzung, die wir als Gesellschaft führen müssen, muss sich gegen unsere eigene Unsensibilität richten. Ob auf der Seite der Medienschaffenden oder jener, die die Inhalte konsumieren: Respekt gegenüber den Betroffenen statt die eigene Sensationslust zu füttern, wäre ratsam. Deshalb drei Vorschläge, wie wir es besser machen können:

  1. Wo es möglich ist: Innehalten. Die Autorin und Journalistin Ingrid Brodnig war im Netz eine der Ersten, die zu Zurückhaltung aufgerufen hat. Wir sind nicht die Polizei, wir sind keine Einsatzkräfte. Wir müssen nicht auf jedes Ereignis sofort mit einem Social Media Post oder einer Headline reagieren, vor allem dann, wenn die Einsatzkräfte darum bitten, keine Beiträge zur Tat zu verbreiten.
  2. Es ist okay, keine Worte zu haben. Was ist mit unserer Welt passiert, dass wir als Medienschaffende jedes Ereignis live-tickern müssen? Und was ist mit uns Medienkonsument:innen los, dass wir so abgestumpft sind und das auch noch verfolgen wollen? Man muss die aktuelle Nachrichtenlage nicht ignorieren, aber man kann – nachdem man einen Überblick über die Situation hat und nicht direkt betroffen ist – auch wieder Abstand nehmen und leise sein.
  3. Reflexion, wie wir als Gesellschaft weitermachen wollen: Neben einer Diskussion über ein strengeres Waffengesetz, müssen wir auch die Medienlandschaft und die Funktionsweise während Krisensituationen kritisch beleuchten. Ergibt es Sinn, dass Redaktionen in solchen Momenten sich einen Wettstreit mit der Zeit liefern „müssen“. Ergibt es Sinn, dass man als Erstes mit der Schocknachricht und triggernden Bildern online gehen „muss“? Und wie wollen wir als Gesellschaft mit jenen Medien umgehen, die sich nicht an Grundregeln ethischer Berichterstattung halten?

Wenn drei Tage Staatstrauer herrschen, dann dürfen wir als Gesellschaft diese drei Tage inne halten, den betroffenen Familien, Geschwistern und Freunden den Raum für ihre Trauer geben und erst danach Analysen aus dem Geschehenen ziehen.

Wie schnell die Welt sich weiterdreht, können wir als Medienschaffende und Medienkonsumenten mehr beeinflussen, als wir meinen. In solchen Schockmomenten wäre es ratsam das Tempo runterzudrehen. Aus Respekt gegenüber jenen, die nicht mehr unter uns sind.

Romana Greiner

Romana recherchiert am liebsten über die großen Ungerechtigkeiten unserer Gesellschaft: Warum bekommt eine Mitarbeiterin 200 Mal weniger Gehalt als der Konzernchef? Wieso sind die Volksschullehrerin oder der Briefträger immer noch so schlecht entlohnt? Als Chefredakteurin leitet sie seit 2023 die NeueZeit und ihr engagiertes Team. Um vom Redaktionsalltag den Kopf frei zu bekommen, ist sie gern in der Natur sporteln oder auf Konzerten.

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