Österreich

Eine Arbeitslosengeld-Erhöhung auf 70% würde 40.000 Menschen aus der Armutsgefährdung holen

Eine Arbeitslosengeld-Erhöhung in Österreich von derzeit 55% auf 70% des letzten Netto-Verdienstes würde fast 40.000 Menschen aus der Armutsgefährdung holen. Das zeigt eine neue Studie der Arbeiterkammer Oberösterreich. ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher hat währenddessen ganz andere Pläne: Er will das Arbeitslosengeld kürzen, je länger man auf Jobsuche ist.

402.000 Österreicherinnen und Österreicher waren im vergangenen Jahr im Schnitt arbeitslos gemeldet. Fast 40% von ihnen waren länger als ein Jahr auf Jobsuche, sie gelten als sogenannte Langzeitarbeitslose. Jobsuchende bekommen in der Regel 55% ihres letzten Netto-Verdienstes als Arbeitslosengeld ausbezahlt – aber das reicht oft hinten und vorne nicht zum Leben.

Acht von zehn Arbeitslosen und sogar neun von zehn Langzeitarbeitslosen geben an, dass ihr Einkommen nicht oder nur gerade so reicht, um ihre täglichen Bedürfnisse zu decken. 2019 waren laut Statistik Austria 72% der Langzeitarbeitslosen armuts- oder ausgrenzungsgefährdet.

Schon länger kursiert ein einfacher Vorschlag, um Betroffene aus der Armut zu holen: eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes. Die Arbeiterkammer (AK) Oberösterreich hat jetzt in einer Studie berechnen lassen, welche Auswirkungen die Maßnahme hätte.

AK Studie: Arbeitslosengeld-Erhöhung in Österreich belebt Wirtschaft & verringert Armut

Ergebnis der AK-Studie: Ein höheres Arbeitslosengeld belebt den Konsum, schafft neue Jobs und verringert das Armutsrisiko. Mit einem Arbeitslosengeld von 70% des letzten Netto-Lohns wären 2020 fast 40.000 Menschen weniger armutsgefährdet gewesen, darunter 6.500 Kinder und Jugendliche.

Seit Beginn der Corona-Pandemie fordern SPÖ, FPÖ, Arbeiterkammer und Gewerkschaften eine solche Erhöhung des Arbeitslosengeldes, aber Türkis-Grün blockiert den Vorschlag bis heute. Die Schlussfolgerung der AK Oberösterreich: Die Regierung habe mir ihrer Weigerung die Armut der Betroffenen bewusst in Kauf genommen.

14.000 neue Jobs durch Erhöhung des Arbeitslosengeldes

Da arbeitslose Menschen beinahe ihr gesamtes Einkommen für Dinge des täglichen Bedarfs ausgeben (müssen), würde von einem höheren Arbeitslosengeld die gesamte Wirtschaft profitieren. Denn die Erhöhung würde zum Großteil in Konsum wandern und so heimische Betriebe stärken. In vier Jahren, berechnet die AK Oberösterreich, könnten dadurch 10.000 und im Lauf von zehn Jahren sogar bis zu 14.000 neue Jobs entstehen.

Und auch die Ungleichheit würde abnehmen, denn untere Einkommensgruppen profitieren besonders stark von einer Reform.

„Aus all diesen Gründen muss die Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld sofort auf mindestens 70 Prozent angehoben werden. Und es darf keinesfalls mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit gekürzt werden. Das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe müssen auch jährlich an die Inflation angepasst werden, damit die Kaufkraft der Betroffenen erhalten bleibt“, fordert AK Oberösterreich Präsident Andreas Stangl.

ÖVP-Arbeitsminister will weniger Arbeitslosengeld auszahlen, je länger man auf Jobsuche ist

Haushalte, die Notstandshilfe beziehen – also mit Personen, die länger arbeitslos sind – bekämen mit höherem Arbeitslosengeld bis zu 112 Euro pro Monat mehr, berechnet die AK-Studie. Familien, in denen mindestens eine Person Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezieht, würden im Schnitt monatlich 85 Euro mehr an Einkommen zur Verfügung haben. Alleinerziehende würden mit einem Plus von 46 Euro aussteigen.

Die Kosten für ein Arbeitslosengeld in Höhe von 70% des letzten Verdienstes schätzt die Studie der Arbeiterkammer auf 650 Millionen Euro pro Jahr. Ein Großteil davon dürfte durch höheren Konsum wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückfließen.

Zum Vergleich: ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner will die Steuern auf Aktiengewinne abschaffen – das würde die öffentliche Hand jährlich 300 Millionen Euro kosten und vor allem Reiche mit vielen Aktien begünstigen.

Die türkis-grüne Regierung hat mit dem Arbeitslosengeld jedenfalls ohnehin andere Pläne. Arbeitsminister Martin Kocher schwebt ein sogenanntes „degressives“ Modell vor: Je länger man auf Jobsuche ist, desto weniger Arbeitslosengeld soll man bekommen. Was Kocher nicht dazu sagt, alle Betroffenen aber wissen: Je länger man vergeblich auf Jobsuche ist, desto schwieriger wird auch der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Ein Teufelskreis, den die Regierung mit einer Kürzung des Arbeitslosengeldes noch verschärfen würde.

Kocher will noch im ersten Halbjahr 2022 Details zu seiner geplanten Reform vorlegen.

NeueZeit Redaktion

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