„Würden Sie mit diesen Menschen auch nur einen Tag tauschen wollen?“ Diese Frage stellen Schülerinnen und Schüler des BORG Wiener Neustadt an Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Außenminister Alexander Schallenberg. Sie wenden sich in einem offenen Brief auf Facebook an die Regierungsspitze, weil sie das menschliche Leid in den Flüchtlingslagern Moria und Kara Tepe nicht mehr ertragen. Die Schüler würden den Kindern, Frauen und Männern in Not gerne helfen und haben dabei nur einen bescheidenen Wunsch an den Bundeskanzler: Erlauben Sie uns und anderen, den Menschen aus Moria zu helfen!
Anfang September ist das griechische Flüchtlingslager Moria abgebrannt. Tausende Kinder, Eltern, Männer und Frauen sind seitdem obdachlos. Mehrere EU-Staaten haben sich bereit erklärt, die in Not geratenen Menschen aufzunehmen. Die österreichische Bundesregierung aber weigert sich nach wie vor, Menschen aus Moria ein neues Zuhause zu bieten. Viele von ihnen müssen nun im provisorischen Zeltlager Kara Tepe auf Lesbos leben.
angesichts der großen Verantwortung, mit welcher uns das österreichische Parlament durch die momentan unruhigen Zeiten führt, möchten wir unsere Anerkennung Ihnen gegenüber bekräftigen. Obgleich wir nicht jeden einzelnen Ihrer Schritte befürworten, so erwarten wir dennoch von unseren politischen Vertretern ein gewisses Maß an Anstand, anderen Meinungen als der eigenen, Gehör zu schenken: Die Ereignisse von Moria und Kara Tepe haben vielen von uns das menschliche Leid auf Europas Türschwelle vor Augen geführt. Demnach möchte sich ein Teil der österreichischen Gesellschaft engagieren und Verantwortung zur Lösung übernehmen. Sie beide haben jedoch, noch ehe wir hier zur Tat schreiten konnten, uns bereits die Türe vor der Nase zugeschlagen.
Wir, 22 Schüler*innen aus sieben verschiedenen Ländern mit sechs unterschiedlichen Muttersprachen, haben die Debatte um das Flüchtlingslager Moria nun schon seit einiger Zeit verfolgt und sind alle zum gleichen Schluss gekommen wie Sie beide: Wir haben so viele Hilfsmöglichkeiten, wie soll man da schon entscheiden, welche die richtigen sind? Wir haben so viel Platz, woher soll man denn bitte wissen, wo die Flüchtlinge wohnen sollen? Wir empfinden so viele Emotionen, doch welche soll man zeigen? – Also ja, wir verstehen Sie voll und ganz.
Vorerst lassen Sie uns Ihnen ein paar Zahlen präsentieren: 1, 2, 3, 5, 7, 22, 25 – und nein, das sind nicht die Zahlen der steigenden Corona-Fälle, sondern die Artikelnummern jener verletzten Menschenrechte aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) vom 10. Dezember 1948, die unsere geliebte Republik Österreich (seit 1955 UN-Mitglied) im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention mit 1964 in der Verfassung verankert hat. Sehen Sie sich zum Beispiel die schöne Zahl 7 an, die in diesem Fall für Gleichheit vor dem Gesetz und Schutz vor Diskriminierung sorgen soll. Ja, es sind Flüchtlinge, nur ist dieses Wort mittlerweile so versachlicht, als würde man von leblosen Dingen sprechen, die niemand haben möchte. Doch zum Glück belastet uns dieses Thema nicht sonderlich stark, da wir ja mittlerweile entemotionalisiert sind. Nur schade, dass die Republik Österreich noch bis 2021 Mitglied des UN Menschenrechtsrates ist.
Wir wagen zu behaupten, dass die Baumeister der Zweiten Österreichischen Republik, wie etwa Leopold Figl, Friedrich Eckert, Alfons Gorbach, oder Franz Olah als ehemalige Häftlinge der Konzentrationslager Dachau, Flossenbürg, Buchenwald, und Mauthausen bestimmt nicht daran gedacht hätten, dass diese im Verfassungsrang akzeptierten Menschenrechte und Grundfreiheiten dereinst von Ihnen flexibilisiert werden würden. Artikel 3 (AEMR) wird beispielsweise mit „nur ein paar kleinen Änderungen“ ja ohnehin eingehalten, schließlich können sich die Bewohner*innen der Flüchtlingslager frei bewegen, befinden sich also in Sicherheit, da sie dem unmittelbaren Krisengebiet entkommen sind. Physisch leben können sie auch, denn daran werden sie ja nicht gehindert. Fließendes Wasser, ein richtiges Dach über dem Kopf, genug zu essen und trinken sind Selbstverständlichkeiten, die doch ziemlich überbewertet werden. Außerdem haben wir mittlerweile schon so oft geholfen, das müsste doch langsam genug sein. Quantität geht ja bekanntlich vor Qualität. Sie für Ihren Teil können also ganz beruhigt schlafen.
Es muss schwer sein, sich andauernd den Kopf über jene unmenschlichen Verhältnisse zu zerbrechen, unter welchen die Leute in Moria leben. Da versteht man schon, warum Sie, Herr Außenminister, das Bedürfnis verspüren, laut über flexible Emotionsregungen nachzudenken. Ob Menschlichkeit zeigen wohl ein gefühlsduseliger Pull-Faktor sein mag? – Österreich als einer der reichsten Staaten Europas kann und soll sogar helfen. Natürlich, Sie haben doch Zelte geschickt, das ist Fakt und darf auch nicht vergessen werden. Zelte halten ja gerade im Winter wunderbar warm und isolieren auch so gut, also ist schon mal den frierenden Flughafenbediensteten in Athen geholfen. Für Lesbos ist der Heizwert dieser Hilfslieferung ja eher überschaubar, zumal sie nach wie vor nicht ausgeliefert sind.
Geschätzter Herr Bundeskanzler, werter Herr Außenminister, ist Ihnen bewusst, dass nach der AEMR Sie beide gegen den dort beschworenen Geist der Brüderlichkeit handeln, so zumindest findet sich dies in Artikel 1. Bedenken Sie, dass die unmenschliche Behandlung (Art. 5) der Flüchtlinge im Widerspruch zum Recht auf einen Lebensstandard steht, der Ihnen und Ihren Familien Gesundheit und Würde zusichern soll (Art. 25). Würden Sie mit diesen Menschen auch nur einen Tag tauschen wollen? Möchten Sie denn in einem Zelt, in einer stürmischen Herbstnacht Ihrem Kind erklären, dass es in einer Schlange vor dem DIXI-Klo warten müsste, um dem natürlichen Bedürfnis eines WC-Ganges zu folgen? Möchten Sie von Sicherheitskräften und Polizisten mit Tränengas beschossen werden, während Sie vor dem Flammeninferno mit der Familie im Schlepptau um Ihr Leben rennen? – Doch uns belasten solch trübe Gedanken ja ohnehin nicht, dem Rat des emotionsflexiblen Herren Außenministers sei Dank.
Die aktuelle Situation und Ihr reduziertes Handlungsspektrum kann man nicht mit Pandemie oder wirtschaftlichen Problemen entschuldigen. Es gibt keine plausible Ausrede dafür, untätig zu bleiben. Österreich hat noch nicht genug geholfen und wird auch im Sinne europäischer Solidarität nie genug geholfen haben, bis diese entwürdigende Situation gelöst wurde. Das Betreiben von Symbolpolitik, wie etwa das Übersenden einiger Container und in Aussicht stellen finanzieller Unterstützung, dient lediglich Ihrer eigenen Gewissensberuhigung und bleibt letztlich wertlos. Unser Stillschweigen im Angesicht dieser Situation ist ein Zustimmen zu diesen inhumanen Zuständen in Flüchtlingslagern wie Moria, Kara Tepe und allen weiteren.
Unser liebstes Steckenpferd, den Sarkasmus, abschließend beiseitegelassen, möchten wir Folgendes festgehalten wissen: Wir fühlen uns hilflos und eingeschränkt in unseren Handlungsmöglichkeiten. Wir verlangen nicht, dass Sie persönlich unseren Wunsch aktiv zu werden teilen. Sie müssen nicht die Ärmel aufkrempeln und in Ihrem Zuhause einen Flüchtling aufnehmen, aber es durch Ihre Zustimmung anderen ermöglichen zu helfen. Dann könnten wenigstens manche der Bedürftigen auf jene Gemeinden und Städte in Österreich verteilt werden, die sich intensiv um Unterstützung bemühen möchten. Dies wäre schon ein großer Schritt zur Lösung der unhaltbaren Situation in Moria und Kara Tepe.
Vielleicht sind Sie ja der Meinung, wir Schüler*innen alleine könnten nicht allzu viel ausrichten, weshalb wir hier Sie um Ihrer beider Unterstützung ersuchen, damit wir helfen können. Doch bedenken Sie, dass auch Sie unsere demokratischen Stimmen bei künftigen Wahlen benötigen werden, wenn Sie weiterhin als ausführende Organe des eigentlichen Souveräns in Österreich, nämlich uns den Wähler*‘innen, tätig sein wollen. Aber sollte Ihre politische Raison tatsächlich nur dem eigenen Machterhalt dienen? Nein, es geht doch hier primär um das Hochhalten grundlegender demokratischer Werte. Dies im Hinterkopf können wir gemeinsam in Österreich noch so einiges bewirken.
Bitte zögern Sie nicht länger, dazu reicht die Zeit nicht mehr aus.
Mit freundlichen Grüßen
die 6NIE des BORG Wr. Neustadt
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