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Corona in armen Ländern: Um 90 Milliarden Dollar könnte man das Schlimmste verhindern

Was COVID-19 in den reichsten Regionen der Welt anrichtet, erleben wir gerade erste Reihe fußfrei. Doch was geschieht, wenn Corona arme Länder in Afrika oder Asien trifft? Schon jetzt ist absehbar: Die globale Ungleichheit wird sich weiter verfestigen.

Das Corona-Virus wütet in Europa, anders lässt es sich nicht sagen: immer schärfere Maßnahmen, Massenarbeitslosigkeit, wie es sie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gab, Gesundheitssysteme an den und jenseits der Grenzen ihrer Belastbarkeit. Einige der reichsten Staaten der Welt straucheln. Wie muss die Seuche dann erst arme Länder in Afrika, Asien oder Südamerika treffen?

Afrika: Corona ist nur der Auslöser

Afrika leidet am schwersten unter den Corona-Folgen. Dabei hat die Pandemie selbst am Kontinent – zumindest bisher – weniger angerichtet, als befürchtet. Über die Ursachen dafür rätseln die Forscher weltweit. Natürlich liegen die niedrigen Infektionszahlen auch daran, dass wenig getestet wird. Zu Beginn der Pandemie konnten nur zwei Labore auf dem ganzen Kontinent auf SARS-CoV-2 (also: Corona) testen. Was sich dadurch allerdings nicht erklären lässt, ist die geringe Sterblichkeit. Denn auch eine Häufung ungeklärter Tode würde auffallen. Damit wäre auch ohne Testungen klar, was los ist.

Es muss also andere Erklärungen dafür geben. Zum einen ist Afrika ein junger Kontinent, das Durchschnittsalter liegt bei etwa 19 Jahren. Das reduziert natürlich die schweren Verläufe. Darin sind sich die Forscherinnen und Forscher einig. Als weiterer Faktor wird oft die eingeschränkte Mobilität in vielen ländlichen Gebieten genannt. Sie verlangsamt die Ausbreitung des Virus. Außerdem sind Wohlstandserkrankungen selten. So fallen einige der wichtigsten Risikofaktoren weg, die oft zu schweren und tödlichen Verläufen von COVID-19 führen. Auch da herrscht breite Einigkeit. Schon etwas umstrittener: In Afrika wurden teilweise schon vor Auftreten der ersten Fälle Grenzen dicht gemacht, Schulen geschlossen und Ausgangssperren verfügt.

Was in reichen Staaten wirkt, führt in armen zur Katastrophe

Ob wirksam gegen COVID-19 oder nicht: Die Folgen dieser schnellen Maßnahmen und die allgemein strauchelnde Weltwirtschaft treffen den Kontinent mit voller Wucht. Weltweit gingen während der Corona-Krise bisher wohl umgerechnet über 330 Millionen Vollzeit-Jobs verloren. Welche Auswirkungen das hat, muss man niemandem in Österreich mehr erzählen. Allerdings: Auch für die, die ihre Jobs verloren haben, gibt es hierzulande wenigstens ein notdürftiges soziales Auffangnetz.

Ganz anders die Situation in den armen Ländern der Welt. 60% der Jobs sind dort „informell“. Ein Großteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Afrika sind also Tagelöhner ohne jede soziale Absicherung. Lockdown bedeutet für sie, vom einem Tag auf den anderen ohne Job dazustehen. Deshalb ist es brandgefährlich, Maßnahmen, die in Europa oder anderen reichen Regionen der Welt wirken, 1:1 zu kopieren. Indien musste diese Erfahrung besonders schmerzlich machen. Der rechtsextreme und eigenwillige Premier Narendra Modi forderte die Bevölkerung zunächst auf, zu Hause zu bleiben. Wenig später schickte er das Land mit nur vier Stunden Vorlaufzeit in den Lockdown. Wirtschaft, öffentlicher Verkehr, Grenzen zwischen den Verwaltungsdistrikten: Alles dicht.

In den Slums von Bombay bis Dehli brach Panik aus: Ohne Arbeit und soziales Netz fürchteten die Bewohnerinnen und Bewohner (mit Recht) zu verhungern. Denn Dutzende Millionen Menschen waren von einem Moment auf den anderen arbeitslos. So machten sie sich zu Fuß auf zurück in die Dörfer, aus denen sie stammen – und nahmen Corona-Viren mit. Modi hatte es geschafft, binnen weniger Tage COVID-19 in die entlegensten Winkel Indiens zu bringen.

Arme Länder: Die Narben werden bleiben

Um fast 25% gab das indische BIP seit Beginn der Corona-Pandemie nach. In Afrika wird das Wirtschaftswachstum um 190 Milliarden Dollar geringer ausfallen, rechnet die Afrikanische Entwicklungsbank vor. Die wirtschaftlichen Folgen für die ärmsten Länder sind überall auf der Welt fatal. Und nachhaltig: Denn von den gesammelten Folgen der Krise werden sie sich nur schwer erholen. Die Weltbank geht davon aus, dass extreme Armut heuer erstmal seit 1998 wieder steigen wird.

Und das wird kein kurzer Knick in der Entwicklung der ärmsten Regionen der Welt. Denn die Narben werden bleiben. „Scarring“ nennen Forscher des Internationalen Währungsfonds (IWF) diese Entwicklung. Höhere Sterblichkeit, überlastete Gesundheitssysteme, verschlechterte Bildungsmöglichkeiten, die zu geringeren Einkommen führen, Firmenpleiten und aufgebrauchte Vermögen (soweit sie jemals vorhanden waren) verschmelzen zu einem giftigen Cocktail. Die Auswirkungen der Pandemie werden noch Generationen zu spüren kriegen, die heute nicht einmal geboren sind. Vor allem in den ärmsten Regionen der Welt.

Weniger Bildung, mehr Kinderehen und Gewalt gegen Frauen

Schulschließungen führen dieser Tage zu heftigen Debatten in Österreich. Egal, wie man zu ihnen steht und die Folgen abschätzt: Sie sind nichts gegen das, was durch Corona auf arme Länder in Afrika und Asien zukommt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das UNO-Kinderhilfswerk UNICEF warnen, dass voraussichtlich viele Kinder nie wieder den Weg zurück in die Schulen finden. Sie werden viel zu früh in viel zu schlechten Jobs landen, oder Kinderehen schließen müssen. Damit steigt auch das Risiko häuslicher Gewalt. In Summe fürchten die Hilfsorganisationen, dass die Spätfolgen der Pandemie bis 2030 ein Drittel der Fortschritte bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen in Afrika zunichtemachen könnten. Im kommenden Jahrzehnt wird sich die Zahl der Kinderehen laut Schätzungen der UNO um 13 Millionen erhöhen.

Doch all das ist nicht unvermeidbar, schreibt der UN-Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten Mark Lowcock. Die ärmsten 10 Prozent der Bevölkerung vor den schlimmsten Auswirkungen der Corona-Krise zu bewahren, würde insgesamt 90 Milliarden Dollar kosten. Das ist weniger als ein Prozent der Summe, die die reichen Länder für ihre gesamten Hilfsprogramme  ausgeben.

NeueZeit Redaktion

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