Die Corona Pandemie katapultierte die Wirtschaft in eine Rezession, von Wachstum kann keine Rede sein. Und doch hat diese Entwicklung nichts mit dem Konzept des sogenannten „Degrowth“ (deutsch: Postwachstum) zu tun: Statt die Krise als Anlass für ein Umdenken zum endlosen Wirtschaftswachstum zu sehen, wird bereits heute durch Milliardenhilfen versucht, nach Corona mit „business as usual“ weiterzumachen. So ist die Pandemie letztlich eine vertane Chance, die Zukunft nachhaltiger zu gestalten. Dabei hätte die Degrowth Bewegung konkrete Vorschläge für eine grundlegende Änderung unseres Wirtschaftssystems.
Was will die „Degrowth“ Bewegung?
Der Begriff „Degrowth“, der sich im deutschen mit Postwachstum übersetzen lässt, ist sowohl eine internationale Bewegung als auch ein aufkeimendes akademisches Forschungsfeld. Beides beschäftigt sich mit einem Gesellschaftsentwurf, der räumliche, lokale und kulturelle Gegebenheiten berücksichtigt und ökologische Grenzen ernst nimmt. Statt einer konkreten Strategie, gibt es vielmehr spezifische Forderungen, die zu einer wachstumsunabhängigen sowie sozial- und ökologisch gerechten Gesellschaft führen sollen.
Darunter fallen beispielsweise die Schrumpfung ausgewählter Sektoren (wie die Rüstungsindustrie, die Fossilindustrie und Werbeindustrie), die Einführung einer universellen Grundversorgung sowie die Demokratisierung von Arbeit und Unternehmen. Außerdem soll die Pflege- und Sorgearbeit ins Zentrum gerückt werden. Auf diese Weise sollen unter anderem soziale Ungleichheiten verringert, politische Teilhabe am Produktionsprozess erhöht und die Versorgung der Grundbedürfnisse für alle gesichert werden. Im Grunde soll also eine andere und gerechtere Gesellschaft entstehen, in der innerhalb der Grenzen unseres Planeten ein gutes Leben für alle möglich ist.
Die geforderte Demokratisierung bezieht sich außerdem auf eine stärkere Einbeziehung der Menschen in weitreichende Entscheidungen der Politik. Die Degrowth Bewegung ermöglicht somit Menschen Selbstbestimmung, um auf lokaler, regionaler und globaler Ebene Mechanismen herbeizuführen, die auf allgemeiner Zustimmung basieren, statt auf neoliberalen Denkmustern und kapitalistischen Systemzwängen.
Nur die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung profitieren vom endlosen Wachstum
Wachstum heißt Wohlstand. So lautet die dominante These in kapitalistischen Gesellschaften, nach der steigendes Wachstum stets auch zu mehr Wohlstand führe. Was in den letzten Jahrzehnten zum Credo erhoben wurde, fungiert zwar als Basis aller politökonomischen Entscheidungen, dient letztlich aber nur den reichsten 10 Prozent der Bevölkerung. Die Klimakatastrophe, Biodiversitätsverlust, klimawandelbedingte Zwangsmigration und die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich zeigen uns, dass „business as usual“ auf lange Sicht nicht möglich ist. Grund dafür ist die vorherrschende kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Das bedeutet, dass die Wirtschaft vor allem durch die Mechanismen des Marktes gesteuert wird und der Staat im Einklang mit der neoliberalen Weltanschauung Instrumente bewusst abgegeben hat, um diese sozial und ökologisch nachhaltig zu regulieren.
Um also im freien Wettbewerb überleben zu können, setzen die Unternehmen auf Wachstum – und das oftmals um nahezu jeden Preis. So wird beispielsweise auf Kosten der Umwelt und der Arbeiterinnen und Arbeiter im globalen Süden versucht, so günstig wie möglich zu produzieren, um den größten Profit zu generieren und somit wettbewerbsfähig zu bleiben. Die enorme Macht der großen Unternehmen und deren Lobbygruppen ist auch die Ursache für die schleppenden und meist unzureichenden Mechanismen der Politik, die Missstände für Mensch und Umwelt zu beheben.
Doch um eine lebenswerte Zukunft auch für nachfolgende Generationen zu ermöglichen, muss ein Bruch mit dieser Dynamik erfolgen: Durch eine substanzielle Reduktion des Ressourcenverbrauchs im globalen Norden, durch einen wertschätzenden Umgang mit materiellen Dingen (Reparieren statt neu kaufen), hin zu einer generellen Umgewöhnung, was unsere Alltagspraktiken angeht – ganz ohne Verzicht. Denn eine bewusstere, entschleunigte und solidarischere Lebensweise, wie sie eine Degrowth-Gesellschaft vorsieht, kann viel persönliches Wachstum bedeuten, was sich positiv auf die körperliche und psychische Gesundheit eines jeden einzelnen auswirken wird.
Wachstum in Zeiten von Corona
Nun kann natürlich argumentiert werden, dass in dieser Hinsicht die Corona Pandemie den großen Umschwung brachte: Die wirtschaftlichen Aktivitäten wurden in den vergangenen Monaten rasant zurückgefahren und die Umwelt scheint sich durch die eingeschränkte Arbeit der Fabriken und den drastisch reduzierten Flugverkehr zu erholen. Durch Corona stehen auf der ganzen Welt weite Bereiche des Lebens still. Doch was auf den ersten Blick wie Postwachstum erscheinen mag, ist genauer betrachtet nur „business as usual“ in neuem Gewand.
Dafür steht beispielsweise die Senkung der Mehrwertsteuer in Österreich und Deutschland. Ziel ist es, den Konsum wieder anzukurbeln, der Wirtschaft neuen Schub zu geben und insbesondere für große Kaufanschaffungen, wie beispielsweise ein Auto, einen zusätzlichen Anreiz zu schaffen. Außerdem sollen die vor kurzem beschlossenen milliardenschweren Corona-Hilfen der EU dazu beitragen, die Volkswirtschaften nach der Krise wiederaufzubauen. Es soll also alles so weitergehen und so weiterwachsen wie zu Beginn des Jahres. Von universellem Umdenken keine Spur.
Auch die Umwelt muss wegen Corona zurückstecken. Dies beweist beispielsweise der jüngste Bericht der Weltorganisation für Meteorologie (WMO), nach dem die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre im November dieses Jahres einen neuen Höchststand erreicht habe – trotz der Bemühungen und Verpflichtungen vieler Staaten, diese zu reduzieren. Nach Angaben der UNO seien zwar die Emissionen durch die Lockdown-Maßnahmen um weltweit bis zu 17 Prozent zurückgegangen, doch dies habe nur wenig Einfluss auf die Konzentration in der Atmosphäre. Um dem Klimawandel dauerhaft und effektiv entgegenzusteuern, muss sich also Maßgebliches ändern.
Nach der Krise ist vor der Krise: Weshalb es die Degrwoth Bewegung braucht
Schlussendlich hat die Corona Krise also keine Transformation im Sinne der Degrowth Bewegung hervorgerufen. Die sinkenden wirtschaftlichen Aktivitäten haben nichts mit einer gewollten, zielgerichteten, demokratischen und schrittweisen Umstellung der Wirtschaft zu tun. Die derzeitige Situation ist vielmehr Ausdruck einer notwendigen Transformation unserer Lebens- und Wirtschaftsweise, welcher sich die politische und wirtschaftliche Elite standhaft widersetzt. Das einzig Positive, das sich aus der Krise für Degrowth ergibt, ist das wachsende Bewusstsein für die zahlreichen Probleme, die Teil des momentanen Wirtschaftssystems sind. Wachstumsabhängige Wirtschaftssysteme sind keine Allheilmittel. Und doch sieht es zurzeit so aus, als solle nach der Krise alles wieder seinen gewohnten Gang gehen. Was muss also noch passieren, um ein Umdenken in den Köpfen der Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger und eine Umstrukturierung des Wirtschaftssystems zu erreichen?