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Weniger Pension, aber länger arbeiten: So tickt der neue „Super-Minister“ Martin Kocher

Bild: BKA/Dragan Tatic / Montage

Arbeitsminister Martin Kocher ist durch die Rochade in der Regierung künftig auch für die Wirtschaftsagenden zuständig. Arbeit und Wirtschaft in einem Ministerium vereint – damit steigt Kocher über Nacht zum vielleicht mächtigsten „Super-Minister“ auf. Ex-Kanzler Sebastian Kurz hat ihn 2021 als „unabhängigen Experten“ in die Politik geholt, aber Kocher hat klare Positionen: Er ist gegen höhere Pensionen und gegen eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes. Stattdessen will der Minister, dass Beschäftigte später in Pension gehen und im Handel auch am Sonntag arbeiten müssen.

Hinweis: Der Artikel ist eine aktualisierte Fassung einer Recherche vom Jänner 2021.

Österreich hat einen neuen „Super-Minister“. Martin Kocher, vor seinem Einstieg in die Politik Chef des Wirtschafts-Forschungsinstituts IHS, übernimmt zusätzlich zu den Arbeits- nun auch die Wirtschaftsagenden. Eine gemeinsame Recherche der NeuenZeit mit dem Online-Magazin Kontrast.at zeigt: Martin Kocher ist zwar parteilos, aber nicht unabhängig. In der Vergangenheit äußerte Kocher streitbare Positionen. Viele davon decken sich mit den wirtschaftspolitischen Ansichten der ÖVP.

Martin Kocher übernimmt zusätzlich zu den Arbeits- auch die Wirtschaftsagenden. // Foto: BKA/Dragan Tatic

Dass „Wirtschaft“ und „Arbeit“ überhaupt in einem Ministerium zusammengelegt werden, ist in Österreich ungewöhnlich. Schließlich haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf der einen Seite und Konzerne und Unternehmen auf der anderen Seite meist unterschiedliche Interessen. Viele fürchten jetzt, dass die Anliegen der Arbeitnehmer in einem großen Wirtschaftsministerium untergehen.

Das letzte solche „Super-Ministerium“ aus Arbeit und Wirtschaft führte übrigens Ex-ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel in den 2000er-Jahren ein. Die Bilanz seiner schwarz-blauen Regierungsjahre ist bekannt: Privatisierungen, Pensionskürzungen und ein Zurückdrängen der Sozialpartner.

Gerechtigkeit ist für Martin Kocher nur ein “Zielkonflikt”

Ein Wissenschaftler, der Fakten abwägt und sich nicht in heikle Diskussionen oder politische Streitfragen einmischt. So möchte Martin Kocher wahrgenommen werden. Zwischen den Zeilen klingt aber sein Weltbild durch: Er ist ein wirtschaftsliberaler Ökonom.

So kann sich Kocher in einem Interview mit der Wiener Zeitung nicht zu einem klaren Bekenntnis für ein gerechtes Wirtschaftssystem durchringen. Denn, so der neue Wirtschafts- und Arbeitsminister: „Mehr Gerechtigkeit führt zu einem Verlust an Effizienz“. Gerechtigkeit ist für ihn nicht etwa das oberste Ziel von politischen Maßnahmen, sondern bloß ein „Zielkonflikt“, den die Gesellschaft lösen müsse. Kocher sagt weiter:

„Die Gefahr ist aber, wenn etwas öffentlich und gerecht organisiert ist, dass es wenig Innovation und Dynamik gibt.“

Seine Lösung: Der freie Wettbewerb. Der freie Markt und das Wechselspiel zwischen Angebot und Nachfrage bestimme auch über den Wert der Arbeit, so Kochers Ansicht. So rechtfertigt er auch die niedrigen Löhne im Pflegebereich. „Offensichtlich wird der Wert von Pflege gering bemessen, weil sie kaum spezifische Fähigkeiten erfordert, und es zu viel Angebot am Arbeitsmarkt gibt”, sagt Kocher. Eine harte Ansage an all jene Pflegekräfte, die während der Corona-Pandemie an ihre Grenzen gehen und Menschenleben retten.

Weniger Pensionen und längeres Arbeiten

Seine Haltung, zuerst an die Wirtschaft zu denken, setzt sich auch bei den Pensionen fort. In der Corona-Krise hält Kocher die gestiegenen Staatsausgaben zwar für notwendig und richtig, doch langfristig müsse man vor allem bei den Pensionen sparen. Als ÖVP, SPÖ, FPÖ und Liste JETZT vor der Nationalratswahl 2019 Klein-Pensionen erhöhen wollten, warnte Kocher vor einer finanziellen Überlastung des Pensionssystems. Der Ökonom will lieber sparen, als den Pensionisten ihre Niedrig-Rente zu erhöhen.

Stattdessen hat Kocher ganz andere Vorschläge für die Alterssicherung. Er entwickelte mit seinem IHS-Institut Anreize, die Menschen dazu bringen sollen, länger zu arbeiten. So soll den Arbeitnehmern etwa vermittelt werden, wie viel das Weiterarbeiten bis 68 bringen würde. Auch abstruse Vorschläge sind dabei: Auf dem Auszug des Pensionskontos sollen mittels Software „gealterte“ Fotos der Arbeitnehmer abgebildet werden, um sie zu zusätzlicher Altersvorsorge zu motivieren.

Der Auftrag an Kochers Institut, Anreize für einen späteren Pensionsantritt zu entwerfen, stammt von der „Aktion Generationengerechtigkeit“. Ein Verein, der im Umfeld von ÖVP und dem ÖVP-nahen Cartellverband gegründet wurde.

Wenig überraschend begrüßte Martin Kocher auch das Ende der sogenannten Hacklerregelung. Zur Erinnerung: Die türkis-grüne Bundesregierung beschloss im Herbst 2020 das Aus der Regelung. Menschen, die 45 Jahre lang gearbeitet und eingezahlt haben, können jetzt nicht mehr ohne Abschläge in Pension gehen. Die betroffenen Hackler verlieren 240 Euro Rente pro Monat.

Weniger Arbeitslosengeld, je länger man auf Jobsuche ist

Viele Österreicherinnen und Österreicher haben während der Corona-Krise ihre Jobs verloren. Deshalb fordern SPÖ, FPÖ, Gewerkschaft sowie Arbeiterkammer seit Monaten eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes von derzeit 55% auf zumindest 70% des letzten Netto-Verdienstes.

Unter dem neuen Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher wird eine Erhöhung wohl nicht kommen. Ganz im Gegenteil: Kocher plädiert mit Verweis auf andere Länder für ein sogenanntes “degressives” Arbeitslosengeld. Nach diesem Konzept sinkt das Arbeitslosengeld, je länger man erwerbslos ist. So soll der Druck steigen, einen Job anzunehmen – auch zu schlechten Arbeitsbedingungen.

Beschäftigte im Handel sollen am Sonntag arbeiten

Auch bei den Arbeitszeiten blieb Kocher in der Vergangenheit seiner Denke treu: Zuerst die Wirtschaft, die Beschäftigten scheinen weniger wichtig. Auf der Social Media Plattform Twitter äußerte sich Kocher immer wieder positiv zu längeren Öffnungszeiten im Handel. Der Minister sprach sich etwa für die Sonntagsöffnung aus – zumindest an den Sonntagen vor Weihnachten. Damit müssten die Beschäftigten im Handel auch sonntags arbeiten. Das war bisher ein No-Go in Österreich.

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