Die ÖVP ist unter Druck: Die Korruptions-Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Finanzminister Gernot Blümel. Nicht zum ersten Mal gibt es gegen die Volkspartei Vorwürfe wegen dubiosen Spenden. Bereits 2012 musste die ÖVP nach öffentlichem Druck einen „Verhaltenskodex“ für die eigenen Funktionäre erstellen. Seitdem hat sich wenig geändert. Spenden von Superreichen und Freunderlwirtschaft für Großunternehmen gehören zum System der ÖVP. 2018 und 2019 stammten 98% der Spenden an die Volkspartei von Milliardären und Unternehmen.
2012 fühlt sich der damalige ÖVP-Parteichef Michael Spindelegger veranlasst, das Image seiner Partei klarzustellen: „Die ÖVP ist eine saubere Partei“. Zuvor ist die Volkspartei wegen undurchsichtigen Spenden und Geschenkannahmen von Unternehmen in die Defensive geraten. Gegen den damaligen ÖVP-Abgeordneten Werner Amon liefen sogar Ermittlungen wegen des Verdachts auf Geldwäsche (sie sind mittlerweile eingestellt). Also rückt Spindelegger aus und lässt einen ganzen „Verhaltenskodex“ für Funktionäre der ÖVP erstellen: Drin stehen Werte wie Anstand, Transparenz und Sauberkeit. Wer sich nicht daran hält, sagt Spindelegger 2012, „der hat in dieser Partei keine Zukunft“. Naja.
Neun Jahre später steckt die ÖVP wieder – oder noch immer? – im Spendensumpf und mitten in Korruptions-Vorwürfen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den amtierenden ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel. Eine Recherche der NeueZeit zeigt: Spenden von Superreichen und Freunderlwirtschaft für Großunternehmen ziehen sich durch die Geschichte der Volkspartei.
Vom Konzern in die Parteizentrale und wieder zurück: Die personellen Verhaberungen der ÖVP
Verbindungen zwischen Parteien und Wirtschaft sind nicht ungewöhnlich. Alle Parlamentsparteien pflegen mehr oder weniger regen Austausch mit Wirtschaftsvertretern. Aber keine andere Partei hat derart krasse Verhaberungen zu Konzernen und Superreichen wie die selbst ernannte „Wirtschaftspartei“ ÖVP – finanziell und personell.
Für den personellen Austausch zwischen Politik und Wirtschaft gibt es einen eigenen Begriff: den sogenannten „Drehtür-Effekt“. Manager verlassen ihr Unternehmen und spazieren, kaum sind sie bei der Konzern-Türe raus, bei der Parteizentrale wieder rein. Und umgekehrt.
Ex-Finanzminister Hartwig Löger wechselte 2017 direkt vom Vorstand des Versicherungskonzerns Uniqua für die ÖVP ins Finanzministerium. Als die ÖVP-FPÖ-Koalition 2017 wegen Ibiza platzte und Sebastian Kurz als Kanzler abgewählt wurde, war Löger sogar für wenige Tag Bundeskanzler der Republik Österreich. Dann übernahm die Expertenregierung unter Brigitte Bierlein und Hartwig Löger wechselte zurück in die Wirtschaft. Seit Jänner ist er im Vorstand der Vienna Insurance Group.
Wolfgang Schüssel war zwischen 2000 und 2007 ÖVP-Bundeskanzler der ersten schwarz-blauen Regierungen. Drei Jahre nachdem Schüssel das Bundeskanzleramt verließ, wechselte er in den Aufsichtsrat des deutschen Energieriesen RWE. Seit 2018 sitzt er außerdem im Aufsichtsrat des russischen Mobilfunkanbieters MTS, seit 2019 im „Board of Directors“ des russischen Mineralölkonzerns Lukoil.
Die aktuelle ÖVP-Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck war vor ihrer politische Karriere Managerin in IT- und Kommunikationsunternehmen. Bis 2017 war Schramböck CEO der A1 Telekom Austria AG, danach holte sie Kurz in seine Regierung.
Die ÖVP hat reiche Gönner: 98% der Spenden an die Volkspartei stammen von Milliardären & Unternehmen
Auch finanziell ist die ÖVP eng mit Reichen verstrickt. Für die Jahre 2018 und 2019 gelangten Informationen zu Spenderinnen und Spendern an die Öffentlichkeit. Die ÖVP erhielt in eineinhalb Jahren über 2,7 Millionen Euro an Spenden – 98% der Summe stammen von Milliardären und Unternehmen. Nur 2% kommen von „Kleinspenden“ unter 3.500 Euro.
Die ÖVP-Spender sind nicht immer „sauber“. Der ehemalige Wirecard-Chef Markus Braun spendete 70.000 Euro an die ÖVP. Mittlerweise sitzt er wegen illegaler Finanzgeschäfte in Haft. Ihm wird vorgeworfen, die Bilanzen seiner Firma frisiert und den Markt manipuliert zu haben.
Der oberösterreichische Unternehmer Stefan Pierer spendete 436.563 Euro an die ÖVP. Später wurde bekannt, dass Pierer seine Gewinne zunächst steuerschonend im Ausland parkte. Erst als Steuerabkommen mit der Schweiz und Lichtenstein drohten, holte er sein Geld zurück nach Österreich.
Freunderlwirtschaft? Die ÖVP versorgt nahestehende Unternehmen mit Aufträgen
Die ÖVP hält bei Reichen und Konzernen die Spender-Hand auf, aber sie verteilt auch kräftig an die eigenen Freunde. Der ÖVP-nahe Konzern Accenture etwa erhielt die Millionen-Aufträge für das „Kaufhaus Österreich“ oder die „Stopp-Corona-App“. Außerdem hat das Beratungsunternehmen einen laufenden Auftrag mit der Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen (SVS). Diese ist Teil der türkis-blauen Kassen-Reform. Der Sitz von Accenture liegt in Irland – dort sind die Unternehmens-Steuern wesentlich niedriger. Im Jubiläumsheft zum 30. Geburtstag des Konzerns finden sich Vorworte von Sebastian Kurz und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck.
Gelegentlich läuft die Auftragsvergabe an die ÖVP-Freunde auch recht ungeschickt ab. Etwa in Oberösterreich: Im Sommer 2020 kaufte das ÖVP-geführte Bundesland um 4,5 Millionen Euro Corona-Schutzausrüstung ein und bezahlte dafür den bis zu 6-fachen Marktpreis. Die Firma, die den überteuerten Auftrag erhielt, gehört dem ehemaligen Wahlkampfmanager und Kommunikationsberater der ÖVP Oberösterreich, Walter Schnauder. Sein Unternehmen, das den Deal abwickelte, hatte Schnauder erst wenige Monate zuvor gegründet.
Auch Bundeskanzler und Parteichef Sebastian Kurz pflegt persönliche Freundschaften zu Superreichen – etwa dem Wiener Edel-Gastronomen Martin Ho. Der erfuhr offensichtlich mehrmals vor allen anderen von geplanten Corona-Maßnahmen. Schon bevor die türkis-grüne Bundesregierung im Juni 2020 die Mehrwertsteuer senkte, verrechnete Ho in seinen Lokalen den reduzierten Steuersatz. Und schon bevor die Regierung im Herbst 2020 einen weiteren Gastro-Lockdown verkündete, gab Martin Ho versehentlich das Schließen seiner Lokale bekannt.
Gesetze für Freunde: Von vielen Beschlüssen der Kurz-Regierungen profitieren Großunternehmen
Die ÖVP und reiche Unternehmer – das passt also offenbar zusammen. Da verwundert es wenig, dass Kurz und Co in den letzten Jahren Gesetze beschlossen, von denen vor allem Konzerne profitieren:
- Von der Regierung Kurz I beschlossen: 12-Stunden-Tag. Die Möglichkeit zum längeren Arbeitstag hilft Arbeitgebern. Sie können ihre Arbeiter und Angestellten jetzt flexibler und länger schuften lassen.
- Von der Regierung Kurz I beschlossen: Senkung der AUVA-Beiträge. Die Beiträge zur Unfallversicherung wurden um rund 500 Millionen Euro gesenkt. Weil fast ausschließlich Dienstgeber in die Unfallversichungs-Anstalt AUVA einzahlen, profitieren davon insbesondere große Unternehmen.
- Von der Regierung Kurz I beschlossen: Umbau der österreichischen Sozialversicherung. Die Zusammenlegung der Krankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskassa (ÖGK) hatte, so vermuten viele Beobachter, vor allem einen Zweck: Die Mehrheitsverhältnisse in der Sozialversicherung zu ändern. Vor dem Umbau hatten die Beschäftigten die Mehrheit in den Gremien, jetzt herrscht Stimmengleichheit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebner.
- Von der Regierung Kurz II beschlossen: Milliarden-Hilfen für Unternehmen. Unternehmen erhielten im Herbst 2020 bis zu 80% ihres letztjährigen Umsatzes als Corona-Hilfen. Für Menschen, die wegen der Krise ihren Job verloren haben, gibt es als Arbeitslosengeld aber weiter nur 55% des letzten Netto-Lohns.
- Von der Regierung Kurz II geplant: Steuersenkung für Konzerne. Türkis-Grün plant laut Regierungsprogramm weitere Begünstigungen für Konzerne: Die Gewinnsteuer für Unternehmen – die Körperschaftssteuer – soll von 25% auf 21% sinken. Das Vorhaben liegt derzeit nur wegen der Corona-Krise auf Eis.
- Von keiner Kurz-Regierung geplant: Reichensteuern. Die reichen Kurz-Spender müssen sich wohl auch weiter keine Sorgen um ihre Steuern machen: Die ÖVP lehnt eine Reichensteuer vehement ab. Obwohl das reichste Prozent der Österreicher 40,5% des gesamten Vermögens besitzt.
ÖVP 2012: Verhaltenskodex für die eigenen Funktionäre
Unternehmer spenden an die ÖVP und die ÖVP macht Politik für Unternehmer. Das ist nicht verboten, jede Partei betreibt Politik für ihre Klientel. Strafbar wird es dort, wo Gesetze gegen Parteispenden versprochen werden. Einen solchen Fall prüft gerade die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA): Hat Finanzminister Gernot Blümel mitgeholfen, eine Novomatic-Spende an die ÖVP einzufädeln und im Gegenzug staatliche Hilfe für den Glücksspiel-Konzern versprochen? Es gilt die Unschuldsvermutung.
Schon 2012 geriet die ÖVP wegen dubiosen Spenden unter Druck. Die Reaktion damals: Die Ausarbeitung eines „Verhaltenskodex“ für Parteifunktionärinnen und Funktionäre. Zu den Punkten „Sponsoring“ und „Parteispenden“ vermerkte die Volkspartei eigene Leitlinien.
Die Verhaltensregeln waren wohl nicht mehr als eine Publicity-Aktion. Den dazugehörigen, parteiinternen „Ethikrat“, der die Einhaltung des Kodex überwachen sollte, gibt es schon lange nicht mehr.
ÖVP 2021: Offene Angriffe auf die unabhängige Justiz
2021 ist die ÖVP wieder wegen Spenden und Korruptionsermittlungen unter Druck. Die Reaktion heute: Attacken auf die Justiz. Mehrere ÖVP-Politiker vom Bundeskanzler abwärts rücken aus, um die Staatsanwaltschaft herunter zu machen. So sollen die Ermittlungen gegen die Parteifreunde wohl in ein schiefes Licht gerückt werden.
Vom Verhaltenskodex für die eigenen Mitglieder zu den offenen Angriffen auf die unabhängige Justiz – nichts symbolisiert den Wandel zum „neuen Stil“ der ÖVP besser. Hinter dem schicken türkisen Mantel steckt aber immer noch dieselbe ÖVP: Spenden von Superreichen und Freunderlwirtschaft für Großunternehmen gehören in dieser Partei zum System.