„Wir sind kein Beiwagen, der einfach zugesperrt werden kann. Wir sind eine ganze Generation, die Ihren vollen Einsatz einfordert!“ 70 Schulsprecherinnen und Schulsprecher aus der Steiermark schreiben einen offenen Brief an Kanzler, Vizekanzler und Bildungsminister. Sie fordern von der Regierungsspitze endlich klare Konzepte für einen sicheren Präsenzunterricht in den Schulen. Von den Politikern kam bisher keine Antwort.
70 steirische Schülervertreter unterzeichnen den offenen Brief an die Regierungsspitze
Den steirischen Schülerinnen und Schülern reichts: Sie wollen endlich wieder in die Schule und fordern klare Konzepte, die den Unterricht möglich machen. Deshalb haben 70 Schulsprecherinnen und Schulsprecher aus 31 Schulen in der Steiermark einen offenen Brief verfasst. Sie wenden sich an Bundeskanzler Sebastian Kurz, Bildungsminister Heinz Faßmann (beide ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne).
„Wir haben unser Bestes gegeben auch von zuhause aus unsere schulischen Aufgaben zu erfüllen“, schreiben die Schüler an die Regierungsspitze. Engagierte Lehrpersonen und Zusammenhalt in den Klassen habe das möglich gemacht. Von der Regierung fühlen sich die Jugendlichen im Stich gelassen: „Wir verstehen Ihre Untätigkeit nicht! Seit dem Beginn der Pandemie lassen Sie uns im Regen stehen!“
Die Schüler verlangen von Kanzler und Bildungsminister: „Erledigen Sie Ihre Hausaufgaben und schaffen Sie sinnvolle Konzepte, die den Unterricht möglich machen!“
Nur rund 40 Tage Präsenzunterricht seit Schulbeginn
Seit Beginn des Schuljahres im Herbst fanden nur etwa 40 Schultage im Präsenzunterricht statt. Erst kürzlich musste die steirische Landespolitik die Semesterferien vorverlegen. Der Unterricht in den Klassen soll am 15. Februar wieder starten – sofern der Regierungsplan hält.
Die Ungewissheit und die hohe Belastung im Home Schooling habe sie dazu veranlasst, den offenen Brief zu initiieren, sagt Hannah Arnfelser. Sie ist Vorsitzende der Schülerorganisation Progress und Mitglied der gesetzlichen Landesschülervertretung (LSV) in der Steiermark.
„Wir verstehen die epidemiologische Lage“, sagt Arnfelser. Aber die Untätigkeit der Regierung sei unverständlich. Die verantwortlichen Politiker hätten verschlafen, an sicheren Möglichkeiten für den Präsenzunterricht in den Schulen zu arbeiten. „Der Herbst kam für die Politik anscheinend völlig überraschen.“ Die Schülerinnen und Schüler hätten immer ihren Beitrag geleistet, meint die Interessensvertreterin. Jetzt fordere man mit dem offenen Brief eine faire Chance auf Bildung.
Jedes 10. Kind hat Schwierigkeiten, dem Lernstoff von zu Hause aus zu folgen
Statt Konzepten gab es im Herbst nur Frieren bei geöffneten Fenstern, regelmäßige Verdachtsfälle und Chaos, beklagen die Schüler. Sie schreiben in Ihrem Brief: „Homeschooling kann den normalen Schulalltag nicht einmal ansatzweise ersetzen“.
Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie der Arbeiterkammer. Laut AK tut sich jedes 10. Kind aktuell schwer, dem Lernstoff von zu Hause aus zu folgen. Kinder aus Haushalten, in denen die Eltern keinen Studienabschluss haben, sind noch stärker betroffen.
Insgesamt 70 Schulsprecherinnen und Schulsprecher aus der Steiermark haben den offenen Brief an Kanzler, Vizekanzler und Bildungsminister unterzeichnet. Neben dem Öffnen der Schulen fordern sie zusätzliche Förderprogramme, um die verlorene Zeit und den verlorenen Stoff aufzuholen. Bisher hat den Schülern niemand von der Regierungsspitze geantwortet.
Der offene Brief der Schülervertretungen im Wortlaut
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
Sehr geehrter Herr Vizekanzler,
Sehr geehrter Herr Bildungsminister,
die Corona-Pandemie stellt Österreich seit mittlerweile fast einem Jahr vor riesige Herausforderungen. Historische Herausforderungen, die niemand erwarten konnte und die uns allen viel abverlangt haben. Natürlich verstehen wir, dass gerade am Anfang der Pandemie drastische Einschnitte notwendig waren, um diese kontrollieren zu können.
Wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger auch, haben wir die beschlossenen Maßnahmen mitgetragen und haben so solidarisch unseren Beitrag geleistet. Wir haben unser Bestes gegeben auch von zuhause aus unsere schulischen Aufgaben zu erfüllen. Und das unter schwierigsten Bedingungen, da unser Schulsystem – wie sie als verantwortliche Politiker sicherlich am besten wissen – nicht auf das digitale Lernen ausgelegt und oft heillos überfordert ist. Gemeinsam haben wir das aber durchgestanden. Engagierte Lehrerinnen und Lehrer und unser Zusammenhalt als Klassen haben das möglich gemacht.
Nach dem Sommer kam – welch Überraschung – der Schulbeginn. Und im Gegensatz zu uns haben Sie ihre Hausaufgaben nicht erledigt. Auf funktionierende Konzepte haben wir vergeblich gewartet. Stattdessen gab es Frieren bei geöffneten Fenstern, regelmäßige Verdachtsfälle und Chaos und im Endeffekt erst wieder geschlossene Schulen.
Das ist fatal. Es ist unmöglich, dem Lehrplan gerecht zu werden und unsere Lernziele zu erreichen. Gerade in Fächern, die nicht zu den persönlichen Stärken zählen, verlieren wir jeden Tag mehr und mehr den Anschluss. Homeschooling kann den normalen Schulalltag nicht einmal ansatzweise ersetzen!
Wir sind ratlos, wie wir den Schulabschluss und die Matura schaffen sollen. Aber nicht nur das: Wir wissen nicht, wie wir das verlorene Wissen für unser weiteres Leben aufholen sollen!
Als Schüler*innenvertreterinnen und Vertreter sehen wir uns gezwungen nun an die Öffentlichkeit zu treten! Wir verstehen, wie angespannt die epidemiologische Situation ist, wir verstehen, dass es Maßnahmen geben muss, aber wir verstehen Ihre Untätigkeit nicht! Seit dem Beginn der Pandemie lassen Sie uns Schülerinnen und Schüler im Regen stehen!
Anscheinend sind Ihnen Schipisten wichtiger als unsere Bildung!
Wir wollen keine verlorene Generation sein! Deswegen fordern wir Sie auf:
- Erledigen Sie Ihre Hausaufgaben und schaffen Sie sinnvolle Konzepte, die den Unterricht möglich machen!
- Die Schulen dürfen nicht erneut geschlossen werden!
- Holen sie die Schule ins 21. Jahrhundert und schaffen Sie endlich zeitgemäße Rahmenbedingungen!
- Sie müssen Förderprogramme starten, die uns helfen die verlorene Zeit aufzuholen!
Am Beginn der Pandemie haben Sie gesagt: „Koste es was es wolle“. Dieser Leitsatz muss auch für die Bildung gelten! Wir sind kein Beiwagen, der einfach zugesperrt werden kann, wir sind eine ganze Generation, die Ihren vollen Einsatz einfordert!