Neuseeland will als erster Staat das Rauchen völlig verbieten. Dabei leben wir ohnehin schon in einer langweiligen Zeit. Früher waren das Feierabend-Bier oder die gemeinsame Zigarette noch feierliche Rituale, heute sind sie meist als ungesund verschrien. Die soziale Ungleichheit steigt, aber neoliberale Staaten regulieren lieber „Marotten“ wie das Rauchen. Große Investoren dürfen hingegen weiter unreguliert mit Milliarden spekulieren.
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Zuletzt war es Neuseeland, das einen äußerst radikalen Schritt angekündigt hat, um möglichst viele Menschen im Land vom Rauchen abzuhalten. Das Mindesterwerbsalter für Tabakprodukte soll mit jedem Jahr steigen. Wer heute 14 ist, wird demnach nie legal Zigaretten kaufen können. Auch in Österreich gab es bis zur Einführung des Rauchverbotes in der Gastronomie im November 2019 eine Diskussion darüber, wie man den Menschen das Rauchen in der Öffentlichkeit erschweren könnte. Bekannte Maßnahmen gibt es ja bereits: Neben dem bereits erwähnten Rauchverbot in Lokalen, sind seit Mai 2016 auch Schockbilder von Langzeitfolgen des Rauchens auf Zigarettenschachteln abgedruckt. Das soll mögliche Raucherinnen und Raucher abzuschrecken.
Angesichts dieser Entwicklungen ist es leicht vorstellbar, dass uns der Staat in Zukunft weitere Verbote bezüglich ungesunder Substanzen oder schädlichem Verhalten auferlegt. Gut möglich, dass man bald auch Warnhinweise auf Alkoholflaschen findet oder man ein Mindesterwerbsalter von zuckerhaltigen Soft-Drinks vorschreibt. Hinter dieser politischen Verbotskultur steht ein bestimmtes Denken: Die Menschen wissen nicht, was schädlich für sie ist und müssen daher beschützt werden. Dabei ist wohl jeder und jedem klar, dass beispielsweise Rauchen sehr ungesund ist und zu Lungenkrebs führen kann. Der Verdacht liegt sogar nahe, dass Zigaretten und Alkohol so gerne konsumiert werden, gerade weil die Substanzen schädlich sind. Doch warum neigen wir Menschen zu einem solchen Verhalten?
Der österreichische Philosoph Robert Pfaller hat sich mit der Frage beschäftigt, warum Rauchen früher als elegant angesehen wurde, heute aber eher als schmutzig gilt. Seine Erkenntnis: Früher wurden die kleinen, ungesunden Dinge in gewisser Weise als etwas „heiliges“ betrachtet. Etwa das von „After-Work-Beer“ mit Kolleginnen und Kollegen hat die Kraft eines kleinen Rituals. Es reißt uns aus unserem vielleicht sonst eher langweiligen Alltag raus und festigt die Gemeinschaft. Oder ein gemeinsames Glas Sekt im Büro, wenn ein Kollege oder eine Kollegin Geburtstag feiert. Normalerweise würden wenige Menschen auf die Idee kommen, in der Früh gemeinsam Alkohol zu trinken. Doch der Anlass verlangt es in unserer Kultur beinahe, deswegen trinken wir ohne schlechtes Gewissen.
Solche Momente, in denen getrunken oder geraucht wird, haben eine soziale und damit verbindende Funktion. In hochindividualisierten Gesellschaften gelten solche „heiligen Rituale“ jedoch zunehmend als verpönt. Das führt zu einem gesamtgesellschaftlichen Verlust an gemeinsamer Lustfähigkeit und treibt die Menschen zusehend in die Einsamkeit.
Jetzt mag der ein oder andere einwenden, dass solche kleinen Momente des Genusses wenig mit Süchten zu tun haben, die Alkohol und Zigaretten verursachen. Und gegen die müsse sich gute Gesundheitspolitik richten. Das mag natürlich sein, dennoch ist es bemerkenswert, mit welcher Härte gegen solche Substanzen vorgegangen wird. Anstatt die Suchtaufklärung in großangelegten, durchdachten Kampagnen voranzutreiben, werden Alkohol- und vor allem Zigarettenkonsum vollkommen tabuisiert. Interessant ist dabei, dass Liberale sich gerne wohlwollend gegenüber Tabakverboten zeigen und gleichzeitig für die völlige Legalisierung von Cannabis eintreten, eine Substanz, die gerade bei jungen Menschen weitaus gefährlicher sein kann, als sie gerne von einigen Twitter-Bubbles dargestellt wird. (Auch wenn eine Entkriminalisierung sicherlich wünschenswert ist.)
Natürlich: Viel zu viele Menschen sind alkoholkrank oder nikotinsüchtig. Doch wer raucht oder trinkt, ist deshalb nicht automatisch süchtig. Ein Bier oder eine Zigarette können Offenheit und Geselligkeit signalisieren und eine gemeinsame Genussfähigkeit unterstreichen. Deshalb ist es notwendig von den Gebräuchen als Genuss- oder Suchtmittel zu unterscheiden, gerade gesundheitspolitisch.
Die grundsätzliche Frage, die sich progressive Politik schon immer gestellt hat, ist die Frage nach der Möglichkeit des guten Lebens für alle Menschen. Das Erstreben des „gute Lebens“, zudem auch der gemeinsame Genuss gehört, ist in der Politik jedoch massiv unterrepräsentiert. Während Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch eine deregulierte Marktwirtschaft immer mehr unter Druck stehen, verbietet die Politik ihnen auch noch mit erhobenen Zeigefinger ihre Genussmittel. Es ist bezeichnend: Die SPÖ zerbricht sich seit Jahren den Kopf darüber, wie sie Arbeiterinnen und Arbeiter wieder für die Sozialdemokratie zurückgewinnen kann. Gleichzeitig setzt sie Bevormundungspolitik wie das Rauchverbot in Lokalen durch. Sie wäre definitiv besser aufgehoben, wenn sie sich wieder mehr mit der Frage nach dem guten Leben auseinandersetzen würde.
Im Übrigen: Es ist auch gesundheitspolitisch viel zielführender, der sozialen Ungleichheit politisch entgegenzuwirken. Denn Menschen werden bekannterweise süchtig, wenn sie sich mit Rauschmitteln betäuben müssen, um ihre Lebensrealität zu ertragen. Eine Arbeitszeitverkürzung kann dabei beispielsweise viel mehr bewirken, als plumpe Verbotspolitik. Wir sehen: Nach fast dreißig Jahren neoliberaler Pseudopolitik gibt es in vielen Bereichen Nachholbedarf. Verbote von Genussgütern gehören nicht dazu.
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