Pandemie, Klimakrise, Krieg in der Ukraine – aber Türkis-Grün erweckt nicht einmal den Anschein, an Lösungen zu arbeiten. Wir können es uns nicht leisten, in dieser Zeit der Krisen eine politische Führung zu haben, die sich um nichts mehr kümmert.
Tempo – Kolumne von Mati Randow
Mati Randow ist Schulsprecher in Wien und organisiert unter Schüler:innen Widerstand gegen die türkis-grüne Corona-Politik.
„So viele in so einem kleinen Raum heißt auch: So viele Viren. Aber jetzt kümmert es uns nicht mehr! Schön, dass ihr da seid!“ – Die Worte, mit denen Karl Nehammer den ÖVP-Parteitag eröffnete, gingen tagelang durch die Medien. Was bei den vielen Kommentaren zum mehr als misslungenen Sager fast konsequent ausgelassen wurde, war das große Ganze, das „bigger Picture“.
Schon wenn man Nehammers Aussage nur auf die Pandemie bezieht, ist sie unangebracht genug. Inzwischen sind fast 20.000 Menschen in Österreich an Covid verstorben. Das entspricht der Bevölkerung von Kufstein in Tirol. Allein am Tag des ÖVP-Parteitags kamen ein Dutzend Tote dazu. Schon bisher hat das den Kanzler wenig gekümmert. Seine fahrlässige Corona-Politik ließ er aber, um zumindest so zu tun, als ob, meist von der Anmerkung begleiten: „Die Pandemie ist noch nicht vorbei“. Nun ist selbst das vorbei und man kann zweifellos behaupten: Die ÖVP ist wieder im Sommer 2021 angekommen.
Die Bildungspolitik von Martin Polaschek ist geradezu anspruchslos
Aber das ausgerufene „Jetzt kümmert es uns nicht mehr“-Mantra steht für weit mehr als eine pandemische Fehleinschätzung. Man denke an die Klimakrise, die die türkis-grüne Regierung bekämpfen wollte. „Man kann auch die Grenzen und das Klima schützen“ sagte Alt-Kanzler Sebastian Kurz bei der Vorstellung der Koalition. Abgesehen von den Wiener Grünen, die gegen Lobautunnel und Stadtstraße mobil machen, blieb es bisher bei einer noch weniger ökologisch als sozialen Steuerreform, deren einzig relevanter klimapolitischer Punkt – eine CO2-Steuer – inzwischen offen in Frage gestellt wird. Wen kümmert das noch?
Ähnlich sieht es an den Schulen und Universitäten aus. Von Bildungsminister Martin Polaschek wissen bis heute die wenigsten, wieso er nicht bei seinem Grazer Rektoren-Posten geblieben ist. So versucht er gar nicht erst, den Anschein zu erwecken, er hätte große inhaltliche Ambitionen. Vor genau 100 Jahren wurde in Wien die große Wiener Schulreform vorangetrieben, eine einzigartige Blaupause für mögliche Veränderungen im Bildungssystem. Vor diesem historischen Hintergrund wirken Polascheks Akzente – eine unbefriedigende Neuregelung der Studienbeihilfe, die nicht nur die ÖH erzürnt, sowie tägliche Bewegungseinheiten für Schüler:innen in ausgewählten „Pilotregionen“ – geradezu anspruchslos. Auch das Covid-Management an Schulen ist anscheinend irrelevant geworden. Hatte es letzten Sommer zumindest die Idee gegeben, das Infektionsrisiko in den Klassenzimmern mit Luftfiltern zu senken, vermisst man heute jede Vorbereitung für den nächsten Herbst. Wen kümmert das noch?
„Neben seltsamen Besuchen in Katar und Moskau ist nicht mehr viel Platz für verantwortungsvolle Reaktionen auf den Krieg geblieben“
Nicht zuletzt ist auch die politische Solidarität mit den Kriegsbetroffenen in der Ukraine inzwischen einer zutiefst egoistischen Haltung gewichen. Wo zu Beginn des Krieges noch ohne Wimpernzucken diverse Sanktionen gegen Russland beschlossen wurden, wird nun seit Wochen um ein Öl-Embargo mäandert. Neben seltsam anmutenden Besuchen in Katar und Moskau ist nicht mehr viel Platz für verantwortungsvolle Reaktionen auf den wütenden Krieg geblieben.
Auch die anfängliche Zurückhaltung fremdenfeindlicher Parolen hat bereits ein Ende gefunden. Die einen wollen zwar Ukrainer aufnehmen, eigentlich dann aber doch nur Ukrainerinnen mit Kindern, idealerweise Christen. Die anderen beschweren sich, dass die Geflüchteten ihnen ihre Innenstadt-Parkplätze wegnehmen würden. Wieder andere finden es in dieser Zeit am wichtigsten, über die „Entwertung“ der österreichischen Staatsbürgerschaft zu sprechen. Die vielen aus der Zivilbevölkerung, die weiterhin versuchen, ankommenden Menschen bestmöglich zu helfen, werden währenddessen allein gelassen. Wen kümmert das noch?
Wir können es uns nicht leisten, in dieser Zeit der Krisen eine politische Führung zu haben, die sich um nichts mehr kümmert. Die Frage, die sich stellt, ist: Wen kümmert`s dann?