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Zweifelhafte Angaben & nicht ausgewiesene Spenden: Das steht im Rechnungshof-Bericht zu den ÖVP-Finanzen

2019 war Karl Nehammer ÖVP-Generalsekretär, Sebastian Kurz Parteichef. // Bild: BKA/Arno Melicharek

Der Rechnungshof übt in seinem Bericht zum ÖVP-Finanzjahr 2019 vernichtende Kritik an der Volkspartei. Die obersten Rechnungsprüfer glauben den Angaben von Nehammer und Co nicht und schicken zum ersten Mal Prüfer direkt in die ÖVP-Parteizentrale, um die Einhaltung der Wahlkampfkosten-Obergrenze 2019 zu kontrollieren. In mehreren anderen Fällen geht der Rechnungshof außerdem von möglicherweise unzulässigen Parteispenden aus, etwa über Inserate für den Wirtschaftsbund oder den Seniorenbund. Kurz gesagt: Der Bericht ist eine Katastrophe für die ÖVP.

Erst mit 21 Monaten Verspätung hat die ÖVP dem Rechnungshof ihre Bilanz für das Jahr 2019 vorgelegt. Jetzt scheint klar, wieso sich die Volkspartei derart lange Zeit ließ: Die Angaben der ÖVP zu ihren Finanzen, Spenden und Wahlkampfausgaben passen hinten und vorne nicht zusammen. Zu diesem vernichtenden Urteil kommt der Rechnungshof nach seiner Prüfung.

Eine Folge davon: Zum ersten Mal schickt der Rechnungshof Prüferinnen und Prüfer direkt in die ÖVP-Parteizentrale, um deren finanzielle Angaben nach zu kontrollieren. Das hat es noch nie gegeben.

Der Rechnungshof zweifelt etwa an der ÖVP-Darstellung, die Wahlkampfkosten-Obergrenze bei den Nationalratswahlen 2019 eingehalten zu haben. Außerdem gebe es mehrere Fälle von möglicherweise unzulässigen Parteispenden: Bei zwei Umfragen vor der EU-Wahl 2019, bei Seniorenbund und Wirtschaftsbund sowie bei einer von der ÖVP Niederösterreich herausgegebenen Zeitung.

Die ÖVP behauptet, für die EU-Wahl mehr ausgegeben zu haben als für die Nationalratswahl

Jede Partei muss jährlich einen Bericht an den Rechnungshof abliefern. Die ÖVP hat den ihren für das Jahr 2019 erst im April 2022 nach mehrmaligen Aufforderungen nachgereicht. Jetzt hat der Rechnungshof seinen sogenannten „Rechenschaftsbericht“ dazu veröffentlicht. Und in dem hagelt es nur so an Kritik für die Volkspartei.

Etwa zur Einhaltung der Wahlkampfkosten-Obergrenze. Für einen Wahlkampf in Österreich dürfen Parteien nicht mehr als sieben Millionen Euro ausgeben. Die Idee dahinter: Nicht reiche Spender und Millionen an Wahlwerbung, sondern die Wählerinnen und Wähler sollen die Wahl entscheiden.

Für die Nationalratswahlen 2017 hat die ÖVP unter Sebastian Kurz fast doppelt so viel ausgegeben als erlaubt und musste dafür auch bereits 800.000 Euro Strafe zahlen. Bei den Parlamentswahlen 2019, beteuert die ÖVP in ihrem Bericht an den Rechnungshof, habe man sich aber an die Obergrenze gehalten. Die ÖVP will laut Eigenangaben 2019 nur 5,6 Millionen Euro in den Wahlkampf gesteckt haben.

Laut ÖVP-Angaben hat die Volkspartei 2019 für die EU-Wahl mehr ausgegeben als für die Nationalratswahl - das kommt dem Rechnungshof in seinem ÖVP-Bericht komisch vor.
Laut ÖVP-Angaben hat die Volkspartei 2019 für die EU-Wahl mehr ausgegeben als für die Nationalratswahl. Das kommt wohl nicht nur dem Rechnungshof komisch vor. // Faksimile: Rechenschaftsbericht

Rechnungshof-Bericht: ÖVP muss Prüfern „vollen Zugang“ gewähren

Dem Rechnungshof aber liegen „glaubwürdige“ Dokumente vor, die von viel höheren Ausgaben ausgehen. Außerdem ist es für den Rechnungshof „mit der politischen Lebenswirklichkeit schwer in Einklang zu bringen, dass für die Nationalratswahl deutlich weniger Wahlkampfkosten ausgegeben worden sein sollen als für die EU-Wahl“ im selben Jahr.

In anderen Worten: Der Rechnungshof glaubt, dass die ÖVP in ihrem Bericht gelogen hat. Und beauftragt daher erstmals Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfer, die die ÖVP-Angaben direkt in der ÖVP-Parteizentrale überprüfen sollen.

„Die ÖVP hat vollen Zugang und Einsicht in die zur Prüfung erforderlichen Unterlagen und Belege zu gewähren“, schreibt der Rechnungshof in seinem Rechenschaftsbericht.

Besonders brisant: Für den ÖVP-Nationalratswahlkampf 2019 zuständig war der damalige Generalsekretär der Partei: Karl Nehammer. Der nunmehrige Kanzler betonte bisher stets, dass er und seine Partei 2019 die Kosten-Obergrenze eingehalten hätten. Kommen die Prüfer, die der Rechnungshof jetzt in die Volkspartei schickt, zu einem anderen Schluss, wäre Nehammer der Lüge überführt.

ÖVP-Wirtschaftsbund verlangte für Inserate das 6-fache des Marktwertes

In mehreren anderen Fällen vermutet der Rechnungshof eine mögliche unzulässige Parteispende, zum Beispiel bei den ÖVP-Teilorganisationen Seniorenbund und Wirtschaftsbund. Die Zeitschrift „Vorarlberger Wirtschaft“ – herausgegeben vom Wirtschaftsbund in Vorarlberg – kassierte 2019 insgesamt 1,6 Millionen Euro an Inseraten. Die Preise für die einzelnen Werbeschaltungen waren laut Rechnungshof völlig überzogen. Gleichwertige Inserate in anderen Magazinen mit ähnlicher Auflage und ähnlicher Aufmachung würden nur 268.000 Euro kosten. Der türkise Wirtschaftsbund hat für Inserate in seinem Magazin also das 6-fache des Marktwertes verlangt.

Die Differenz zwischen Wert der Inserate und dem tatsächlich verrechneten Preis beträgt 1.332.000 Euro – und die sind für die Rechnungshof als Spende einzustufen, was die ÖVP nicht tat.

Auch in Medien des Seniorenbundes fand der Rechnungshof „inseratenähnliche Einschaltungen“, die „als Wahlwerbung zugunsten der ÖVP“ zu klassifizieren und daher in der Spendenliste aufscheinen müssten. Bei der „Niederösterreich Zeitung“, eine 2019 einmalig von der ÖVP Niederösterreich herausgegebene Zeitschrift, kommt der Rechnungshof auf 64.000 Euro, „die als Spende ausgewiesen“ hätten werden müssen.

ÖVP-Taktik: Augen zu und durch?

In sechs weiteren Fällen meldet der Rechnungshof Ungereimtheiten an den Unabhängigen Parteien-Transparenz-Senat. Es geht um das möglicherweise fehlende Ausweisen von Parteispenden, um die teilweise falsche Zuordnung von Mitgliedsbeiträgen und um unklare Angaben zu Krediten. Kurz gesagt: Der insgesamt 180 Seiten lange Rechenschaftsbericht zu den türkisen Finanzen 2019 ist eine Katastrophe für die ÖVP.

In anderen Ländern hätten die verantwortlichen Politiker nach derart vernichtender Kritik der obersten Prüfer der Republik, des Rechnungshofes, wohl schon zurücktreten müssen. Die ÖVP hingegen scheint vorerst eine schon geübte Taktik anwenden zu wollen: möglichst unauffällig durchtauchen.

In ihren ersten Stellungnahmen nimmt die ÖVP lediglich „zur Kenntnis“, dass der Rechnungshof jetzt Wirtschaftsprüfer schickt. Man habe alle Wahlkampfkosten korrekt angegeben, die Vorwürfe „werden sich als haltlos herausstellen“. Darüber hinaus schweigen die türkisen Verantwortlichen.

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