Die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz wegen des Verdachts auf Falschaussage im Untersuchungs-Ausschuss. Bei einer Verurteilung drohen dem Kanzler bis zu drei Jahre Haft. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Jetzt ist es so weit: Die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft (WKStA) führt Österreichs Bundeskanzler offiziell als Beschuldigten in einem Ermittlungsverfahren. Gegen Kurz wird ebenso wie gegen seinen Kabinettschef Bernhard Bonelli wegen des Verdachts auf Falschaussage im Untersuchungs-Ausschuss ermittelt.
Auf „falsche Beweisaussage“ stehen bis zu 3 Jahre Haft
Offizielle Ermittlungen werden erst eingeleitet, wenn ein sogenannter „begründeter Anfangsverdacht“ vorliegt – das ist bei Kurz jetzt der Fall. Die WKStA vermutet, dass der Kanzler im Ibiza-Ausschuss gelogen hat. Auf die „falsche Beweisaussage“ von Zeugen stehen laut Paragraf 288 des Strafgesetzbuches im Falle einer Verurteilung bis zu drei Jahre Haft. Der tatsächliche Strafrahmen liegt bei Verurteilungen freilich meist weit unter dem möglichen Maximum.
Unklar ist auch, ob es überhaupt so weit kommt. Die Staatsanwaltschaft entscheidet nach den Ermittlungen, ob sie Anklage gegen den Bundeskanzler erhebt. Dann ist wohl ein Einzelrichter am Zug, um über den Fall Kurz zu entscheiden. Für den Kanzler und seinen Kabinettschef gilt die Unschuldsvermutung.
Ermittlungsverfahren gegen Kurz: Kanzler habe „tatsachenwidrig“ informiert
Sebastian Kurz hat im Juni 2020 im Ibizia-Untersuchungs-Ausschuss ausgesagt, er sei nicht in die Bestellung von Thomas Schmid zum ÖBAG-Chef eingebunden gewesen.
Die Staatsanwaltschaft sieht das nach einer Anzeige der NEOS anders.
Kurz soll den U-Ausschuss in vier Fällen „tatsachenwidrig“ informiert haben, berichten „Profil“ und „Falter“ aus den Ermittlungsakten. Auf insgesamt 58 Seiten fasst die WKStA ihre Ermittlungen gegen den Bundeskanzler zusammen. Die Staatsanwaltschaft schreibt:
„Sebastian Kurz hat tatsachenwidrig die ab Ende 2017 mit dem gemeinsamen Bestreben, MMag. Thomas Schmid für die ÖVP zum Alleinvorstand der ÖBAG zu nominieren, geführten Gespräche und Telefonate sowie den diesbezüglichen Austausch in Chats mit diesem in Abrede gestellt und behauptet, er sei nur informiert, aber darüber hinaus nicht eingebunden gewesen. Ebenso tatsachenwidrig bestritt er Wahrnehmungen zur Besetzung des Aufsichtsrates der ÖBAG, obwohl er die faktische Entscheidung, welche Mitglieder von der ÖVP nominiert werden, tatsächlich selbst getroffen hatte.“
ÖVP-Chats zeigen, wie Kurz, Blümel und Schmid wichtige Posten ausdealen
Die öffentlich gewordenen ÖVP-Chats machen es tatsächlich schwer, Kurz zu glauben. Denn die Nachrichten zeigen, wie Sebastian Kurz, Finanzminister Gernot Blümel und Thomas Schmid wichtige Posten der Republik und eben auch den Chefposten der staatlichen Beteiligungs-Gesellschaft ÖBAG ausdealen. Vor seiner Bestellung zum mächtigen ÖBAG-Chef schreibt der Kanzler an Thomas Schmid: „kriegst eh alles was du willst“.
Ein Bundeskanzler, der mutmaßlich im parlamentarischen Kontroll-Ausschuss lügt (es gilt die Unschuldsvermutung) – für Kurz kein Rücktrittsgrund. Er will weiter im Amt bleiben und geht in einer ersten Stellungnahme davon aus, dass sich die Vorwürfe in Luft auflösen werden. Stattdessen versucht der Kanzler abzulenken: „In diesem U-Ausschuss wird ganz bewusst mit Suggestivfragen eine sehr aufgeheizte Stimmung erzeugt. Und ich habe erlebt, dass einem schnell das Wort im Mund umgedreht wird, um Menschen in eine Falschaussage zu drängen.“
Ermittlungsverfahren nicht nur gegen Kurz
Die FPÖ fordert prompt den Rücktritt des Kanzlers. Auch die SPÖ hält Kurz für amtsunfähig, sollte es zu einer Anklage kommen. „Ein angeklagter Bundeskanzler kann sein Amt nicht mehr ausüben und muss die Konsequenzen ziehen“, sagt der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried. Kurz ist nicht der einzige ÖVP-Politiker, gegen den Ermittlungen laufen.
„Mittlerweile wird gegen den Kanzler, den Finanzminister, den Chef der Beteiligungsgesellschaft und den Kabinettschef des Kanzlers ermittelt. Alles zentrale Figuren der ‚türkisen Familie‘“, sagt SPÖ-Abgeordneter Leichtfried. „Wir haben leider eine Regierung, die mehr mit Korruptionsermittlungen, Hausdurchsuchungen, Strafverfahren und Skandalen beschäftigt ist als mit ihrer Arbeit.“