Schnell erklärt

Jeder 5. Arbeitslose konnte sich das Heizen nicht mehr leisten und die Regierung sieht zu

Die Regierung plant den Druck auf (langzeit-)arbeitslose Menschen zu erhöhen. Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) schwebt ein sogenanntes degressives Arbeitslosengeld vor. Das heißt: Das Arbeitslosengeld soll mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit sinken. Außerdem soll die Zuverdienstgrenze gestrichen werden. Das löst vorhandene Probleme nicht, sondern verschärft sie. Wir brauchen weder mehr Druck auf arbeitslose Menschen noch zusätzliche „Anreize“ zur (Wieder-)Aufnahme einer Beschäftigung. Was wir brauchen ist ein Sozialstaat, der Menschen vor Armut schützt und das Ziel der Vollbeschäftigung verfolgt!


Schnell erklärt
Die Kolumne des Marie Jahoda – Otto Bauer Instituts
Autorin: Nora Waldhör

Viel wurde in den letzten Wochen über Preisanstiege berichtet, die nahezu alle relevanten Güter des täglichen Bedarfs betreffen. Und vermutlich haben die meisten auch selbst schon festgestellt, dass der wöchentliche Einkauf für die Familie oder das Volltanken des Autos heute deutlich mehr kostet als noch vor wenigen Monaten. Obwohl diese Preisanstiege für alle Menschen spürbar sind, treffen sie einkommensschwächere Haushalte besonders hart. Häufig sind das (Langzeit-)Arbeitslose, Alleinerziehende oder Personen, die aufgrund von gesundheitlicher Beeinträchtigung nicht vollständig am Arbeitsmarkt teilnehmen können oder schlichtweg Menschen, die von ihrem Gehalt nicht leben können – um nur ein paar Lebenssituationen zu schildern.

Jeder 5. Arbeitslose konnte sich das Heizen nicht mehr leisten

Das Institut für Empirische Sozialforschung (IFES) führte im Auftrag der Arbeiterkammer Oberösterreich (AK OÖ) eine Sonderauswertung des Arbeitsklima-Index durch. Diese zeigt, dass 82 % der Arbeitslosen gerade (55 %) oder gar nicht (27 %) mit dem Arbeitslosengeld auskommen. Acht von zehn Arbeitslosen können sich das Leben damit de facto nicht mehr leisten.

Noch prekärer ist die Situation der Langzeitarbeitslosen: 94 % der Befragten gaben an, dass das Arbeitslosengeld gerade oder gar nicht ausreicht. Im Vergleich dazu ist dieses finanzielle Risiko unter den Erwerbstätigen mit 45 % nur halb so hoch.

Die kürzlich vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz veröffentlichten Studie „So geht’s uns heute: die sozialen Folgen der Corona-Krise“ unterstreicht diese Problematik: Unter den 3.500 befragten Personen gab rund ein Drittel an, innerhalb der letzten zwölf Monate Einkommen verloren zu haben. Hochgerechnet sind das knapp 2 Mio. Menschen! 14 % der befragten Personen – das sind etwa 851.000 Personen – hatten (große) Schwierigkeiten, mit dem Haushaltseinkommen auszukommen. 12 % hatten große Sorgen, in den kommenden drei Monaten ihre Wohnkosten nicht bezahlen zu können. Im November und Dezember 2021 konnten es sich 6 % der Befragten nicht mehr leisten, ihre Wohnung zu heizen. Unter den Arbeitslosen lag dieser Wert sogar bei 22 %.

In einem der reichsten Länder der Welt hat also jede fünfte arbeitslose Person zu wenig Geld, um im Winter die Wohnung warm zu halten!

Ein sinkendes Arbeitslosengeld schafft keine neuen Arbeitsplätze

Wer sich kürzlich veröffentlichte Statistiken zum Arbeitsmarkt ansieht, sollte schnell erkennen, dass die Erzählung von „faulen“ Arbeitslosen, die es sich in der „sozialen Hängematte“ gemütlich gemacht haben und nun endlich Anreize zur Arbeitsaufnahme brauchen würden, nicht glaubwürdig ist: In Österreich betrug das durchschnittliche Arbeitslosengeld im Jahr 2020 993 Euro, die Notstandshilfe im Schnitt 873 Euro. Bedenkt man, dass die Armutsgrenze in Österreich bei 1.328 Euro liegt, so wird schnell klar, dass Bezieher:innen von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe weit von ungerechtfertigtem Wohlstand entfernt sind.

Abgesehen davon waren Ende Februar 2022 knapp 380.000 Menschen arbeitslos, während es gleichzeitig etwa 120.000 offene Stellen gab. Auch hier braucht es keine große Begabung in Mathematik, um zu erkennen, dass diese Rechnung nicht aufgehen kann. Es liegt außerdem auf der Hand, dass weder ein degressives Arbeitslosengeld noch die Streichung der Zuverdienstgrenze zusätzliche Arbeitsplätze, die wir aber offensichtlich dringend benötigen, schaffen können.

Wir brauchen eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes, keine Kürzung!

Um das Problem von Armut und hoher (Langzeit-)Arbeitslosigkeit in einem reichen Land wie Österreich zu lösen, braucht es eine kluge, durchdachte Arbeitsmarktpolitik. Keine weiteren Anreize und Zwänge durch ein degressives Arbeitslosengeld oder die Streichung der Zuverdienstgrenze. Was es braucht sind sichere, gut bezahlte und nachhaltige Arbeitsplätze, die den Menschen ein Leben ohne Armut ermöglichen und ihnen Sinn und Perspektive geben. Hierzu gibt es drei einfache Lösungen:

Durch die Erhöhung des Arbeitslosengeldes könnten laut einer kürzlich veröffentlichten Studie des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung bis zu 14.000 neue Arbeitsplätze geschaffen und rund 37.300 Menschen vor Armut geschützt werden. Langzeitarbeitslose Menschen, die auf Leistungen der Notstandshilfe angewiesen sind, würden davon am meisten profitieren. Da in diesen Einkommenssegmenten de facto jeder zusätzliche Euro eins zu eins konsumiert wird, stärkt diese Maßnahmen zudem die gesamte Wirtschaft und schafft so neue Arbeitsplätze.

Eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich würde Arbeit in der Gesellschaft gerechter verteilen. Die Jobgarantie würde statt Arbeitslosigkeit Arbeit finanzieren und langzeitarbeitslosen Menschen eine zweite Chance geben – wie das derzeit laufende Pilotprojekt des AMS Niederösterreich in Gramatneusiedl zeigt.

Die Bundesregierung sollte endlich aufhören, arbeitslosen Menschen noch zusätzliche Hürden in den Weg zu legen und endlich dafür sorgen, dass in diesem Land niemand mehr in Armut leben muss. Dazu gehört auch, dass sämtliche andere Sozialleistungen wie die Wohnbeihilfe oder die Sozialhilfe leichter zugänglich gemacht und an die Inflation angepasst werden. Die Lösungen liegen auf dem Tisch.

<strong>Volksbegehren „Arbeitslosengeld rauf</strong>

Alle, die der Meinung sind, dass arbeitslose Menschen ein Recht auf ein Leben ohne Armut haben, können zwischen 2. und 9. Mai das Volksbegehren „Arbeitslosengeld rauf“ mit unterstützen. Mehr Infos dazu: https://www.arbeitslosengeld-rauf.at/

Zum Weiterlesen:

Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (2022): So geht’s uns heute: die sozialen Folgen der Corona-Krise, online unter: https://www.sozialministerium.at/dam/jcr:5e41ef9e-b929-42cc-86fe-35b046dbc735/Soziale%20Krisenfolgen.pdf

Raml, R. / Tamesberger, D. / Waldhauser, A. (2021): Kein Auskommen mit dem Arbeitslosengeld in Österreich, online unter: https://awblog.at/kein-auskommen-mit-dem-arbeitslosengeld/

Premrov, T. / Geyer, L. / Prinz, N. (2022): Verteilungswirkung und Kosten einer Anhebung der Nettoersatzrate des Arbeitslosengeldes in Österreich, online unter: https://ooe.arbeiterkammer.at/service/presse/KOM_2022_Studie_Arbeitslosengeld.pdf

Premrov, T. & Woltran, I. (2022): Erhöhung des Arbeitslosengeldes bringt weniger Ungleichheit, mehr Einkommen, steigert Beschäftigung und verringert Armut, online unter: https://awblog.at/erhoehung-des-arbeitslosengeldes/

Waldhör, N. (2022): Welchen Wohlfahrtsstaat wollen wir? online unter: https://jbi.or.at/wohlfahrtsstaat/

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Tags: Arbeit Arbeitslosengeld Jahoda Bauer Institut Martin Kocher

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