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Alles zu den „BMI-Chats“: Wie das ÖVP-Netzwerk im Innenministerium die Republik kontrollierte

Fotos: Michael Gruber/EXPA, Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten, ORF/Screenshot

Jahrelang beherrschte ein ÖVP-Netzwerk vom Innenministerium aus die Volkspartei und die Republik. Diesen Eindruck erwecken die „BMI-Chats“. Darin versuchen mächtige ÖVP-Leute, die Justiz unter Kontrolle zu bringen, Gesetze aus parteitaktischen Gründen zu verschärfen und die österreichische Polizei umzufärben. Die NeueZeit hat gesammelt, was wir bisher zu den BMI-Chats wissen.

Was sind die „BMI-Chats“?

Die ÖVP dürfte (schon wieder) ordentlich schwitzen: Die geheimen Chat-Verläufe eines ÖVP-Mannes, der jahrelang im Machtzentrum der Republik und der Volkspartei die Fäden zog, gelangten (schon wieder) an die Öffentlichkeit.

Die Online-Zeitung „Zackzack“ hat diesmal das Handy samt aller Chats von Michael Kloibmüller zugespielt bekommen. Kloibmüller arbeitete seit dem Jahr 2000 für mehrere ÖVP-Innenminister als Kabinettschef. Die als „BMI-Chats“ (BMI steht für Bundesministerium für Inneres) bekannt gewordenen Nachrichten enthüllen laut „Zackzack“ ein ÖVP-System, das vom Innenministerium aus das ganze Land beherrschte, schamlos wichtige Posten aufteilte und versuchte, die Justiz zu kontrollieren. Auch andere Medien wie der „Standard“ oder der „Spiegel“ veröffentlichen Chats von Kloibmüllers Handy.

Die BMI-Chats auf einen Blick – das wissen wir bisher

Die BMI-Chats im Überblick
  • ÖVP-Leute versuchen, die Kontrolle über die Staatsanwaltschaft an sich zu reißen: Die ÖVP soll im Jahr 2014 interveniert haben, um den Chefsessel der Oberstaatsanwaltschaft Wien mit einer Vertrauten zu besetzen. Das ist doppelt heikel, weil die Oberstaatsanwaltschaft alle Korruptionsverfahren der WKStA kontrolliert und über Hausdurchsuchungen im Voraus informiert wird.
  • Das Kurz-Netzwerk will Menschen aus machttaktischen Überlegungen ins Gefängnis stecken: Die Vertrauten von Sebastian Kurz wollen „fremdenrechtliche Knaller“ vorbereiten, um dem späteren Kanzler Kurz zum politischen Aufstieg zu verhelfen. Dafür sollten unter anderem Flüchtlinge leichter in Untersuchungshaft gesteckt werden können.
  • „Merk dir die Arschlöcher“ – das ÖVP-Innenministerium sortiert Polizisten nach Parteibuch: Das ÖVP-Netzwerk im Innenministerium besetzte laut BMI-Chats jahrelang hochrangige Posten in der österreichischen Polizei nach Parteibuch. Kollegen, die nicht zur eigenen Partei gehören, wollten sich die mächtigen ÖVP-Männer „einzeln vorknöpfen“.
  • Sobotka führt als Innenminister eine eigene „Interventionen“ Liste: Der heutige ÖVP-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka hat in seiner Zeit als Innenminister eine Liste mit dem Namen „Interventionen“ angelegt, um den Überblick über seine Postenschacher zu behalten.
  • Hochrangige ÖVPler schimpfen derb: „Rotes Gsindl“, „Hexen“ und „Homos“: Niederösterreichs Landeshauptfrau schimpft politische Gegner „rotes Gsindl“, ein Beamter bezeichnet eine Grüne Abgeordnete als „Hexe“, die die „Donau vergiftet“ und eine Ministeriums-Mitarbeiterin beschwert sich über „eine Zeremonie bei den Homos“.
  • Die ÖVP verwendet geheime Infos aus dem Innenministerium für eine Kampagne gegen SPÖ-Berater Tal Silberstein: ÖVP-Generalsekretär Werner Amon soll 2017 laut Chats Infos aus dem Innenministerium zu einem rumänischen Haftbefehl gegen Silberstein an die Medien weitergespielt haben.

ÖVP-Leute versuchen, die Kontrolle über die Staatsanwaltschaft an sich zu reißen

Ein von „Zackzack“ veröffentlichter Chatverlauf soll zeigen, wie ÖVP-Leute 2014 die Kontrolle über die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft (WKStA) an sich reißen. Offenbar betrachteten die ÖVP-Granden die WKStA schon damals als Gefahr. Heute ermittelt eben diese Korruptions-Staatsanwaltschaft gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz und seine engsten Vertrauten wegen mutmaßlicher Inseraten-Korruption.

Zurück ins Jahr 2014. Damals wird die Leitung der Oberstaatsanwaltschaft Wien (OStA) neu besetzt. Die Behörde kontrolliert alle Korruptionsverfahren der WKStA und wird im Voraus über geplante Hausdurchsuchungen oder Überwachungen informiert. Kurz gesagt: Die OStA-Leitung ist ein politisch heikler und einflussreicher Posten.

Das war wohl auch der ÖVP klar. Mit Maria-Luise Nittel und Ilse Vrabl-Sanda hatten sich zwei hochqualifizierte Juristinnen beworben, die der ÖVP aber laut Chats nicht parteinah genug waren. Denn den Zuschlag für die Leitung der Oberstaatsanwaltschaft Wien erhielt schlussendlich die in der ÖVP bestens vernetzte Eva Marek. Später heißt es dazu in einer Chat-Nachricht an den damaligen ÖVP-Justizminister Wolfang Brandstetter, dass „Nittel und Vrabl verhindert werden mussten“.

Besonders brisant: Eva Marek sollte laut BMI-Chats eine Belohnung dafür erhalten, dass sie auf Bitten der ÖVP die OStA-Leitung übernahm. Ihr wurde offenbar der Posten der Generalprokuratur-Leiterin versprochen – ein angesehener und gut bezahlter Job. Weil sie den später aber nicht bekam, beschwerte sie sich in mehreren Chat-Nachrichten unter anderem bei Justizminister Wolfgang Brandstetter, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Niederösterreichs Landeshauptfrau Mikl-Leitner (alle ÖVP).

Eva Marek beschwert sich in den BMI Chats bei Johanna Mikl-Leitner.
Eva Marek beschwert sich in den BMI Chats bei Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner…
Eva Marek schreibt in den BMI-Chats an Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter.
…und beim damaligen Justizminister Wolfgang Brandstetter.

Einige Tage nach Bekanntwerden der BMI-Chats musste Eva Marek ihre Verwaltungsaufgaben als Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes – diesen Posten besetzt sie mittlerweile – zurücklegen. Richterin bleibt sie.

Das Kurz-Netzwerk will Menschen aus machttaktischen Überlegungen ins Gefängnis stecken

Herbst 2016. Eine kleine Gruppe an Vertrauten bereitet die Machtübernahme der ÖVP durch Sebastian Kurz vor, der zu diesem Zeitpunkt noch Außenminister ist. Die Truppe will offenbar das „Ausländerthema“ künstlich aufpeitschen, weil Kurz mit diesem Thema punkten kann.

Die zentralen Akteure sind allesamt Beamte der Republik. Sie arbeiten in Ministerien, machen aber ÖVP-Parteipolitik.

Stefan Steiner, damals Sektionschef im Außenministerium von Kurz, schreibt in den BMI-Chats an Michael Kloibmüller, den Kabinettschef im Innenministerium: „Ich glaub wir müssen wieder paar fremdenrechtliche Knaller vorbereiten :-))“. Kloibmüller liefert nur Minuten später die gewünschten „Knalller“ und antwortet: „Verschärfung für straffällig Asyl Werber leichtere Anerkennungen hafttatbestände für illegale leichtere u Haft etc.“

Die Truppe rund um Sebastian Kurz wollte laut „Zackzack“ also Menschen wegen machttaktischen Überlegungen ins Gefängnis stecken.

Kurz-Stratege Stefan Steiner wünscht sich in den BMI-Chats "fremdenrechtliche Knaller" vom Innenministerium.
Kurz-Stratege Stefan Steiner wünscht sich in den BMI-Chats „fremdenrechtliche Knaller“ vom Innenministerium.

Beamte, die Parteipolitik betreiben – Stefan Steiner rechtfertigt das gegenüber „Zackzack“ mit dem Argument, dass „jeder öffentlich Bedienstete“ das Recht auf „eine eigene politische Meinung“ habe und sein Handy privat verwenden dürfe. Michael Kloibmüller sieht sich als Opfer von Straftaten, weil seine Chats unrechtmäßig an die Öffentlichkeit gelangt seien und möchte sich nicht weiter zu den Vorwürfen äußern.

„Merk dir die Arschlöcher“ – das ÖVP-Innenministerium sortiert Polizisten nach Parteibuch

Die wichtigste Qualifikation, damit Polizistinnen und Polizisten in Österreich die Karriereleiter hinaufklettern können, ist ein ÖVP-Parteibuch. Das zumindest lassen einen die BMI-Chats denken.

So beschwert sich Michael Kloibmüller, Kabinettschef im Innenministerium, 2016 etwa bei seinem Parteifreund und Salzburger Landespolizeichef Franz Ruf über eine Postenbesetzung. Der oberste Polizist aus Salzburg hatte einen Kollegen zum Leiter des dortigen Strafamtes befördert, der offenbar nicht das richtige Parteibuch für den Karrieresprung besitzt. Also schimpft Kloibmüller aus dem Innenministerium Richtung Salzburg und schreibt an Franz Ruf:

„Warum müssen wir den machen? Haben wir keine eigenen Leute?“

In einer anderen Angelegenheit machen die mächtigen ÖVP-Männer deutlich, wie mit jenen umgegangen wird, die nicht zum eigenen Netzwerk gehören. 2016 steigt Georg Angerer, ÖVP-Politiker und Polizist aus Salzburg, zum Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz (LVT) auf. Für die LVT-Leitung muss Angerer seine aktiven politischen Funktionen zurücklegen – das passt ihm gar nicht. „In 2 Std. bin ich politisch karenziert; es schmerzt!“, schreibt er an Kloibmüller. Der versucht seinen Parteifreund mit Racheplänen aufzumuntern und antwortet:„Kopf hoch. Merk dir die arschlocher u wir knöpfen sie uns einzeln vor.“

Eben dieser Georg Angerer bittet in einem anderen Chatverlauf ein halbes Jahr vor Ausschreibung des Verfassungsschutz-Chefpostens „um die zugesagte notwendige Unterstützung für den LV-Leiter“. Empfänger der Nachricht ist Michael Kloibmüller, Kabinettschef des damaligen ÖVP-Innenministers Wolfgang Sobotka – und als solcher eigentlich gar nicht für die Personalentscheidungen des Verfassungsschutzes zuständig. Das alles nährt laut „Zackzack“ den Verdacht, die Bestellung Angerers könnte „geschoben“ gewesen sein.

Ein anderes Mal meldet sich ein Polizeioberst aus Niederösterreich nur kurz bei Kloibmüller und will wissen:

„Frage: Ernst F. (offenbar ein Polizeikollege, Anm.) – schwarz oder rot?“

Kloibmüller antwortet eine Stunde später: „Schwarz“.

Auch das ÖVP-Finanzministerium ist involviert. Wirtschaftskammer-Funktionär M. schreibt dem damaligen Finanzminister Hans Jörg Schelling:

„Servus Hansi, Gestern hast gut getanzt, vielleicht kann die Polizeivertretung nach deiner Melodie tanzen und meinen Schwager Bernhard H. nach St. Pölten versetzen. Zur Zeit sind Versetzungen Möglichkeit.“

Und dann kommt das türkise Personal-Werkl in die Gänge: Schelling leitet die Bitte an seinen Generalsekretär Thomas Schmid weiter, der wiederum beauftragt Michael Kloibmüller, Kabinettschef im Innenministerium, bis dieser den Personalwunsch schließlich an einen Ministeriumsmitarbeiter delegiert.

So dealt das ÖVP-Netzwerk in den BMI-Chats Polizei-Posten aus.

Auch eine Unternehmerin soll erfolgreich beim ÖVP-Netzwerk interveniert haben. Martha S. ist Eigentümerin eines Osttiroler Hotels, in dem ÖVP-Granden wie Karl Nehammer oder Johanna Mikl-Leitner gerne urlauben. Die umtriebige Unternehmerin ist außerdem Vizepräsidentin des ÖVP-Wirtschaftsbundes und der Bundes-Wirtschaftskammer WKÖ.

S. schreibt 2016 in den von „Zackzack“ veröffentlichten BMI-Chats an Innenministeriums-Kabinettschef Michael Kloibmüller: „hab ein Anliegen“. Und weiter: „S. Johannes, 2. Teil FH Aufnahmeverfahren Wr. Neustadt“. Die Tourismus-Unternehmerin will besagten Johannes S. offenbar unterstützen, auch Niederösterreichs ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner scheint involviert zu sein. S. textet: „mi lei [für Mikl-Leitner, Anm.] hatte ich informiert“.

Martha S. bestreitet, Einfluss auf das FH-Aufnahmeverfahren genommen zu haben. So oder so, die Geschichte endet erfreulich für Johannes S.: Der junge Beamte schafft die Aufnahmeprüfung an der FH, studiert und steigt später zum Major im Bezirkspolizeikommando Innsbruck auf.

Sobotka führt als Innenminister eine eigene „Interventionen“ Liste auf dem Ministeriums-Server

Auch der heutige ÖVP-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka scheint in seiner Zeit als Innenminister beim Postenschacher fleißig mitgemacht zu machen. „Zackzack“ berichtet von mehr als 30 Fällen von politischer Intervention. Das Schema soll immer dasselbe gewesen sein: Die Volkspartei wünscht sich eine Personalentscheidung, Innenminister Sobotka befiehlt sie, sein Kabinettschef Michael Kloibmüller führt sie aus.

Dabei verlor Sobotka offenbar jede Scham: Er legte auf dem offiziellen Server des Ministeriums eine Liste mit dem Namen „Interventionen“ an, wohl um den Überblick über jeden Postenschacher zu behalten. Bis es einer Mitarbeiterin dämmert. Sie textet dem Kabinettschef im Innenministerium:

„Du, nur eine Frage…Ist es gescheit, wenn bei uns am KBM-Server unter „HMB Sobotka“ eine Liste liegt, die Interventionen heißt und noch dazu alle Interventionen mit Stand anführt…?“

Der antwortet wenig später:

„Na ist es net da muss i reden.“

Wolfgang Sobotka legte laut BMI-Chats eine eigene Liste für Interventionen an.

Hochrangige ÖVPler schimpfen derb: „Rotes Gsindl“, „Hexen“ und „Homos“

Für Spott und Aufregung sorgten in den BMI-Chats Nachrichten von Niederösterreichs ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. 2016 – Mikl-Leitner ist damals Innenministerin – verhandeln ÖVP und SPÖ in der Bundesregierung über eine Reform des Staatsschutzes. Dabei scheint die Innenministerin völlig die Fassung zu verlieren und textet ihrem Kabinettschef: „Rote bleiben Gsindl! Schönen Schitag!“ Später flucht Mikl-Leitner noch einmal: „…unglaublich diese Sozis“. Nach Veröffentlichung der Chats entschuldigte sich Mikl-Leitner für ihre Wortwahl.

Peinlich schimpfte auch ein Beamter der Republik. Er schrieb an Innenministeriums-Kabinettschef Kloibmüller über eine Grüne Nationalratsabgeordnete:

„Warum hat diese Hexe noch niemand in der Donau versenkt? Ich glaube weil sie die Donau von Passau bis ins schwarze Meer vergiften würde“

Eine andere Mitarbeiterin lässt sich derb über homosexuelle Menschen aus. Sie schreibt laut „Spiegel“ 2017 an Kloibmüller:

„Seit wann gutiert (sic!) die ÖVP eine Zeremonie bei den Homos?“

Dabei dürfte es um die Aufwertung der Eingetragenen Partnerschaft durch die die damalige ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin gegangen sein, seit der auch für homosexuelle Paare eine Zeremonie vor dem Standesamt möglich ist.

Die ÖVP verwendet geheime Infos aus dem Innenministerium für eine Kampagne gegen SPÖ-Berater Tal Silberstein

Die ÖVP soll laut BMI-Chats geheime Infos aus dem Innenministerium dafür verwendet haben, 2017 den damaligen SPÖ-Berater Tal Silberstein mit einer Kampagne zu verunglimpfen. Und zwar so: Werner Amon, 2017 Generalsekretär der ÖVP, erfährt aus dem Kabinett des türkisen Innenministeriums, dass gegen den roten Wahlkampfberater Silberstein ein Haftbefehl in Rumänien vorliegt. Diese geheime Info spielt der ÖVP-Manager an die Medien weiter. Das zumindest legen die Chats nahe.

Gegenüber „Zackzack“ dementiert Ministeriums-Kabinettschef Michael Kloibmüller: Er habe Werner Amon weder schriftlich noch mündlich über den Haftbefehl gegen Silberstein informiert.

Zum Weiterlesen: 20 Jahre ÖVP-Skandale im Innenministerium

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