Der „Protest-Songcontest“ ist der vielleicht wichtigste Nicht-Kommerzielle-Wettbewerb der alternativen Musikszene in Österreich. Heuer fand er zum ersten Mal ohne Publikum statt. Joachim Engel, Fan und ehemaliger Teilnehmer, erweckt den Abend in seinem Gastkommentar noch einmal zum Leben.
Man betritt den Saal im Wiener Rabenhof und die Stimmung knistert. Einige hundert Personen starren auf die Bühne und tragen ihren Teil zum wahrscheinlich wichtigsten Nicht-Kommerziellen-Musikwettbewerb der alternativen Szene in Österreich bei. „Du bist a ziemlicher Wappler“ wird da Richtung Michael Ostrowski gepöbelt. Der antwortet darauf: „Du grinst, dei blöde Meinung, wirklich, I huach da zua, und denk ma Oida, ja passt, i muas es neman. Owa, warum eigentlich?“ Von der Seite schießt Martin Blumenau auf den Moderator: „Wenn du so eine dumme Frage stellst“ und schließlich einigt sich die Jury darauf: Aus Michael Ostrowski spricht das Patriarchale.
In der Vorbereitung auf diesen Kommentar zum Protest-Songcontest (PSC) 2021 habe ich diese eben geschilderte Szene aus dem letzten Jahr im Kopf und denke mir: Wie wird das heuer? Kein Publikum? Keine Streitigkeiten? Da wird dem PSC ein wichtiges Stück fehlen.
Erleben wir den Protest-Songcontest vom 12. Februar 2021 noch einmal – mit einem Ticker.
Jetzt geht es los. Ostrowski ist trotz der Beschimpfungen aus dem letzten Jahr wieder da. Und als Erster startet „null“ mit seinem Lied – „Elon Musk arbeitet 95 Stunden am Tag“ – ein richtig eingängiger Song mit einer gehörigen Portion Kapitalismuskritik. „Sing doch nochmal das Lied von der Unschuld, wenn du wirklich daran glaubst.“ Nach den üblichen Jurykommentaren versucht Michael Ostrowski das fehlende Publikum zum ersten Mal zu ersetzen. Sein „Oaschloch“ aber trifft mich emotional gar nicht. Mal schauen, ob er es im Laufe des Abends schafft, mich zu packen.
Jetzt kommt der zweite Song des Abends: Nelavie – „Teilzeit Feminist“. Hier fällt einer meiner Lieblingssätze des ganzen Abends: „Du bist Feminist, wenn du es nicht gerade nicht bist“, sagt viel über viele unsere Einstellungen aus. Darin schwingt auch eine große Menge an Selbstkritik mit. Im Interview spricht Nelavie davon, dass sie sich viele Diskussionen zu dem Thema Feminismus wünscht. Auch die Jury ist begeistert.
Es kommt der nächste Teilnehmer: Marcus Hinterberger mit seinem „Ischgl Blues“, einer Tiroler Variante des Folsom Prison Blues. Aktueller geht es halt gar nicht. Mit „Granderwasser is, wennst eine sorchst“ kommt auch die Esoterikkritik nicht zu kurz. Anscheinend wurde er sogar von den Tiroler Seilbahnen in einem Brief beschimpft, da kommt der Protest anscheinend an. Martin Blumenau erklärt vor seinem Kommentar, dass jetzt schon die ersten Buhs aus dem Publikum kommen würden, weil er hier kritisiert, dass der Song ein Cover ist. Ja, das Publikum fehlt, deswegen tratscht die Jury etwas ungezwungener.
Gina Disobey mit „Seeking Asylum is not a Crime“ ist der nächste Song. Jetzt ist wieder vorbei mit lustig. „… it´s a human right“ und Gina erzählt hier die Geschichte einiger Menschen in einem Tiroler Rückkehrzentrum, die in einem Hungerstreik waren. Ein sehr berührender Song und der Erste, den sie überhaupt geschrieben hat. Die Jury füllt sich in die Knie gedrückt und berührt. Vor allem sind alle überrascht, dass es ihr erster Song ist. Es ist heuer mehr Zeit für sehr persönliche Geschichten, von den Künstlern, der Jury und auch von Michael Ostrowski. Er lässt uns ein bisschen Teil haben an dem Menschen Ostrowski. Er erzählt von Geflüchteten, mit denen er gearbeitet hat und die davon sprachen, sich eher selbst etwas anzutun als sich wieder abschieben zu lassen.
Es folgt: Manfred Groove – „Es geht uns Gut feat Roger“ Sehr viel Selbstkritik, eine gute Gegenüberstellung von Kapitalismus und Fair Trade, aber muss bzw. darf man Xavier Naidoo in Zeiten wie diesen überhaupt noch zitieren? Doch auch die gute Frage, ob es reicht, Kritik auf sozialen Medien zu posten? „Man weiß ja, was schief läuft, aber es blinkt halt alles so schön“, ist die Analyse des Rappers. Auch hier würde es beim Jurykommentar von Blumenau wohl wieder „Buhs“ hageln, fehlt aber leider, er kritisiert wieder, dass der Refrain eigentlich ein Cover ist.
Als nächstes kommt Smashed to Pieces mit „Viktoriabarsch“, jetzt wird es konfus. Dadaistische Kapitalismuskritik mit antikapitalistischem Namedropping. Hauptsache es reimt sich. Wenn man es lange genug hört, dann wird man mitgerissen. Leider reißt das Interview nicht so mit, wie der Song
Jetzt geht es wieder in eine sehr persönliche Richtung: Dassi – S.D.O (Schleich di, Du Oaschloch). „Sag mir wie ist das mit der Welt passiert?“ ist eine sehr gute Frage, die hier ein Moslem stellt, der klar machen möchte, dass der Islam eigentlich eine Religion der Liebe sein sollte. „Du bist ka Muslim!“ – ganz klare Kante. Ein Lied gegen diese „Coward-Acts!“, wie er es im Interview sehr treffend formuliert. Das Publikum geht zwar ab, aber bei Songs wie diesem hat es eine irrsinnige Qualität, dass die Jury und Michael Ostrowski sehr intim über das Thema reden können.
Gesa Winger – „Wo bist du, Europa?“, hat es halt nach dem sehr emotionalen Song wirklich schwer. Sehr viele Geschichten, die natürlich bedrücken, aber man ist im Song halt nur dabei, und nicht mittendrin. Auch wenn die Textzeile: „…keiner scheint im Stande was zu tun“ trifft, weil es die allgemeine Ohnmächtigkeit bei Bildern, wie in Moria, zeigt.
Fellowsoph – „Tu felix Austria“ spricht sehr viele Politskandale der letzten Jahre an. Vor allem der neue türkise Stil kommt, sicher zu Recht, sehr schlecht weg. Die „Fellowsophen“ bedienen sich im Interview auch den bekannten türkisen Sprachmustern, auf durchaus amüsante Weise. Im Hintergrund des Videostreams wird Geld gebügelt. Insgesamt sehr aktuelle Kritik am Kanzler und seinen Anhängseln.
Nelio – „Feuer“ besingt die Zerstörung der Welt, also das Wachstum, das auf Kosten des Klimas geht. „Wir werden euch dabei net zusehen“ ist eine gute Phrase, aber wirkliche Lösungsansätze oder genaue Dinge, die geändert werden müssen, liefert der Song nicht. Das Publikum fehlt schon, es gab wenig kontroverse Diskussionen, fast ein bisschen zu viel Eintracht beim Protestsongcontest.
Jetzt warten wir auf das Endergebnis, die Wartezeit überbrückt der Sieger des letzten Jahres „Dynomite“, auch ein Rapper, der mit einem Song über seine Geschichte letztes Jahr verdient gewonnen hat.
Mein Favorit ist Dassi. Aber auch null, Nelavie, Fellowsoph und Gina Disobey könnten heute den Sieg mit nach Hause nehmen.
Die Jury ist sich dann auch im Großen und Ganzen einig und Gina Disobey ist die verdiente Siegerin. Meine Nummer 1, Dassi, kommt bei der Jury auch sehr gut weg und wird am Ende Dritter. Auf dem 2. Platz landet schließlich Nelavie, null wiederum bekommt nicht so viele Punkte, wie er es sich verdiente hätte. Und die 0 Punkte von Manfred Groove sind eigentlich ein Skandal. Aber auf jeden Fall eine verdiente Siegerin.
Mein Resümee dieses Abends ist gespalten. Die intimen Diskussionen der Jury waren interessant, es war irgendwie eine klassische Radio-Diskussionsrunde. Auf der anderen Seite braucht der Protest den Widerspruch und den gab es in der doch sehr einigen Juryrunde leider zu wenig. Die Jury hat mich weitgehend überzeugt und sehr interessante Facetten der Songs beleuchtet. Vor allem Sigi Horn ist eine absolute Bereicherung gewesen. In dieser Form des „publikumslosen“ Protest-Songcontests ist sie für mich grandios, aber ob ihre Art auch in der Publikumsvariante so gut funktioniert, bleibt abzuwarten.
Auf die Frage nach einer Siegerparty sagt Michael Ostrowski am Schluss: „Du bist in Tirol, es ist egal!“
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