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Lieferdienst & Co: Neue Rechte für freie Dienstnehmer:innen ab 2026

Sie unterrichten, liefern, programmieren, pflegen und hatten bisher kaum Rechte: Rund 80.000 freie Dienstnehmer:innen in Österreich arbeiten ohne Urlaub, Kündigungsschutz oder Mindestlohn. Damit ist bald Schluss. Ab 1. Jänner 2026 treten neue arbeitsrechtliche Regeln in Kraft, die diese Lücke schließen. Ein Erfolg, für den sich SPÖ-Nationalratsabgeordneter und Gewerkschafter Bernhard Höfler jahrelang eingesetzt hat.

Ali M. liefert Pizza bei Regen. Wenn er stürzt, zahlt niemand. Wenn er krank ist, verdient er nichts. Und wenn das Unternehmen entscheidet, dass er zu teuer ist, ist er morgen weg. Ohne Kündigungsschutz, ohne Abfertigung, ohne Perspektive.

Sarah K. arbeitet ganz woanders, doch ihre Lage ist ähnlich. Sie unterrichtet Deutsch als Zweitsprache an einer privaten Bildungseinrichtung. Offiziell als freie Dienstnehmerin, obwohl sie jeden Dienstag und Donnerstag im selben Klassenraum steht, dieselben Stunden hält, dieselben Berichte schreibt wie ihre angestellten Kolleg:innen. Sie bekommt kein Urlaubsgeld, keine Entgeltfortzahlung, keine Bezahlung für Vorbereitungszeit oder Korrekturen.

2026 brechen neue Arbeitszeiten an

Solche Berufsbiographien haben mit 1.1.2026 ein Ende, denn mit dem neu beschlossenen Gesetz werden erstmals Mindeststandards und Kündigungsfristen für arbeitnehmerähnliche freie Dienstverhältnisse eingeführt.

Diese Reform beendet die Schutzlosigkeit einer ganzen Generation von Beschäftigten. Wer arbeitet, verdient Sicherheit und Respekt, nicht Unsichtbarkeit.

freut sich Bernhard Höfler über die Verbesserungen. Höfler weiß, wovon er redet.

Bernhard Höfler kennt die Arbeitsbedingungen freier Dienstnehmer:innen sehr gut. (c) Bernhard Höfler

Der SPÖ-Nationalratsabgeordneter aus Tirol kommt aus der Gewerkschaftsbewegung und arbeitete selbst einige Zeit im Dienstleistungssektor. Heute ist er stellvertretender Vorsitzender des ÖGB Tirol und macht sich im Parlament für faire Arbeitsbedingungen, soziale Absicherung und starke Arbeitnehmer:innenrechte stark – besonders für jene, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten.

Das gilt ab 2026 für freie Dienstnehmer:innen
Ab 1. Jänner 2026 gelten für neu abgeschlossene freie Dienstverhältnisse erstmals klare arbeitsrechtliche Standards. Künftig beträgt die Kündigungsfrist vier Wochen, nach zwei Dienstjahren verlängert sie sich auf sechs Wochen. Im ersten Monat kann eine Probezeit vereinbart werden, in der beide Seiten das Dienstverhältnis jederzeit beenden dürfen. Eine Kündigung ist künftig nur mehr zum 15. oder zum Monatsende möglich. Arbeitgeber:innen müssen freie Dienstnehmer:innen außerdem über geltende Kollektivverträge und Mindestlöhne informieren. Neu ist auch, dass eigene Kollektivverträge abgeschlossen oder bestehende auf freie Dienstverhältnisse ausgeweitet werden können. Diese neuen Regeln gelten nur für Verträge, die ab 2026 neu abgeschlossen werden; bestehende Vereinbarungen bleiben davon unberührt.

Wie frei ist man als freie:r Dienstnehmer:in?

Freier Dienstvertrag: Das klingt nach Selbstbestimmung. In Wirklichkeit bedeutet es für viele in Österreich vor allem Unsicherheit. Rund 80.000 Menschen arbeiten als freie Dienstnehmer:innen: in Nachhilfeinstituten, Fitnessstudios, Medienhäusern. Dder auf dem Fahrrad im Lieferverkehr. Sie haben oft fixe Arbeitszeiten, klare Vorgaben, dieselben Aufgaben wie Angestellte, nur ohne deren Rechte.

Wie brüchig diese Freiheit ist, zeigte sich 2025 besonders deutlich: Einer der größten Essenslieferdienste Österreichs kündigte fast 1.000 Fahrer:innen, um sie kurz darauf als freie Dienstnehmer:innen weiterzubeschäftigen. Von einem Tag auf den anderen fielen Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Krankenstand und Kündigungsschutz weg. Statt eines fixen Einkommens entschied eine App, wer Aufträge bekam – und wer leer ausging.

Viele der Betroffenen sind Migrant:innen, Studierende oder Menschen mit geringer Ausbildung, also jene, die sich ohnehin schwer tun, einen sicheren Job zu finden.

„Diese Menschen schuften bei Wind und Wetter, damit andere bequem bestellen können“, sagt Bernhard Höfler. „Dass sie dafür nicht einmal Grundrechte am Arbeitsplatz hatten, ist ein politisches Versagen – und genau das beenden wir jetzt.“

Auch in Deutschland geraten Lieferant:innen dieses Jahr unter Druck. (c) Photo Graf/Wikicommons, Lieferbote von Lieferando auf dem GehwegCC BY-SA 2.0

Auch in Deutschland steuert der Markt in dieselbe Richtung: Lieferando kündigte heuer den Abbau von rund 2.000 Fahrer:innen an und will künftig stärker mit Subunternehmen und freien Zusteller:innen arbeiten. Das bedeutet weniger Fixanstellungen, weniger soziale Sicherheit und mehr Druck auf jene, die ohnehin am untersten Ende der Lohnskala stehen. Gewerkschaften sprechen von einem klaren Versuch, Tarifverträge und Mitbestimmung zu umgehen.

Höfler: „Wir müssen Leistung neu definieren“

Für Bernhard Höfler geht es bei der Reform nicht nur um Paragrafen, sondern um ein neues Verständnis von Arbeit und Leistung.

„Es kann nicht sein, dass Menschen, die Pakete bringen, Essen liefern oder pflegen, am Ende ohne Pensionsanspruch, ohne Krankenversicherung und ohne Schutz dastehen“, sagt er.

Leistung ist, wenn Menschen Tag für Tag arbeiten, um über die Runden zu kommen. Und diese Menschen verdienen Respekt, keine Prekarität.

Was heute Gesetz wird, begann vor fünf Jahren mit der Initiative #arbeitsrecht4mjam. Damals schlossen sich Fahrer:innen und Gewerkschaften zusammen, um faire Bedingungen in der Plattformarbeit zu fordern. Gemeinsam machten sie Druck auf Lieferunternehmen wie Mjam, damit freie Dienstnehmer:innen endlich Kollektivvertragsrechte erhalten.

Unterstützung kam auch von der SPÖ, die das Thema auf die politische Agenda setzte und den Kampf im Parlament weitertrug.
Nun, ab 2026, wird aus dieser Forderung Realität: Kollektivverträge und Mindestschutz für freie Dienstnehmer:innen.

Auch die Gewerkschaft vida spricht von einem wichtigen Fortschritt und fordert als nächsten Schritt verpflichtende Kollektivverträge für alle Freien.

Wie es zu den freien Dienstverhältnissen kam
Vor rund fünfzig Jahren, als das Arbeitsverfassungsgesetz geschaffen wurde, gab es keine freien Dienstverhältnisse. Heute betrifft diese Form der Beschäftigung zehntausende Menschen in Österreich. Freie Dienstverträge wurden 1998 eingeführt, um eine Lücke zwischen echten Selbstständigen und Angestellten zu schließen. Sie sollten Menschen absichern, die regelmäßig, aber eigenständiger arbeiten – etwa Trainer:innen oder Vortragende. Doch bald entdeckten Unternehmen die neue Vertragsform als Schlupfloch, um Kosten zu sparen: kein Urlaub, kein 13. oder 14. Gehalt, kein Kündigungsschutz. Aus einem gut gemeinten Modell zur sozialen Absicherung wurde so ein Werkzeug der Prekarisierung.

Ein Land, das Leistung schätzt, muss Arbeit schützen

Mit dieser Reform wird ein Stück jener Würde zurückgegeben, die zu oft verloren ging zwischen Apps, Aufträgen und Ausreden.

„Sozialdemokratische Politik bedeutet, Verantwortung zu übernehmen, wo andere wegsehen“, sagt Höfler. „Und das ist erst der Anfang.“

NeueZeit Redaktion

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NeueZeit Redaktion
Tags: Bernhard Höfler foodora Freie Dienstnehmer Freier Dienstvertrag lieferando Lieferdienst mjam

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