Seit der Hersteller von Elektromotoren in Spielberg von der chinesischen Wolong-Gruppe übernommen wurde, kannte die Belegschaft das Management nicht mehr. Die neuen Eigentümer investierten auch kaum in das Werk. Jetzt wollen sie die ATB-Fabrik in Spielberg ganz schließen. Von Wirtschaftsministerin Schramböck kam bisher keine Unterstützung. Die Belegschaft hat ihr Schicksal nun selbst in die Hand genommen und streikt.
In einer Versammlung informierte der Interimsgeschäftsfüher der ATB die 410 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter plötzlich, dass sie 360 von ihnen beim AMS zur Kündigung anmelden wird. Die ATB-Fabrik ist einer der führenden europäischen Hersteller von Elektromotoren und der größte Arbeitgeber in Spielberg. Seit 2011 befindet sie sich im Besitz der chinesischen Wolong-Gruppe. Die will nun die Produktion in der Steiermark beenden und das Werk zusperren.
Bei der Übernahme klang das noch ganz anders: Die chinesischen Eigentümer hatten den Ausbau des Standortes versprochen. Sogar ein Forschungs- und Entwicklungszentrum in Spielberg stellten sie in Aussicht. Doch schnell haben die Beschäftigten gemerkt, dass es Wolong auf etwas anderes abgesehen hatte: Über Jahre wurden wichtige Investitionen nicht getätigt, die Mitarbeiter mussten mit „museumsreifen Maschinen“ produzieren, während der Konzern in China High-Tech Parks aufbaute. „Es ging den chinesischen Eigentümern ausschließlich darum, die Technologie im Bereich der Elektromotoren zu lernen“, schreibt der steirische SPÖ-Politiker Max Lercher dazu auf Facebook.
Auch ATB-Betriebsrat Michael Leitner ist der Meinung, dass der Plan, das Werk zu schließen, „nicht erst heute oder vor ein paar Monaten entstanden ist. Auf diesen Tag hat man seit einigen Jahren hingearbeitet.“ Eine Unternehmensführung vor Ort habe es ohnehin schon lange nicht mehr gegeben, sagt der Betriebsrat. Die Kündigungen für den Standort Spielberg hat einer verkündet, den die Mitarbeiter im steirischen Traditionsbetrieb kaum kannten: Rolf Primigg, der erst seit wenigen Tagen in der Geschäftsführung sitzt. Primigg ist ein „Interimsmanager“, ein sogenannter „Sanierer“. Überhaupt gab es seit Jahren kein Management mehr, das mit der Region Murtal oder den Menschen im Werk verbunden gewesen wäre. „Seit Jahren sitzen die Geschäftsführer entweder in Polen, China oder Deutschland. Aus Österreich oder überhaupt aus der Steiermark kommt da niemand mehr“, kritisiert Leitner.
Offiziell begründet Wolong die Werkschließung mit Corona-bedingten Auftrags- und Umsatzrückgängen. Doch ähnlich wie bei der Kündigungswelle bei Swarovksi in Wattens dürfte das ein Vorwand sein. Zumindest im Juli war die Auslastung im ATB Werk „super“, wie die Mitarbeiter berichten. Auch für den Herbst war die Auftragslage nicht schlecht.
Die chinesische Firma, so wird vermutet, wollte vor allem den Marktzugang nach Österreich, Know How und die Marke. Ein Konzept für den Standort gab es scheinbar nie. Und das obwohl eine Arbeiterin bei ATB im Werk Spielberg das dreifache ihrer Kosten an Umsatz erarbeitet. Doch selbst das ist Wolong offenbar zu wenig. Und auch die Dienstnehmeransprüche auf Abfertigung muss nun der Insolvenzentgeltfonds statt des chinesischen Eigentümers finanzieren. Dafür fühlt sich die Wolong nicht mehr verantwortlich. Für die Maschinen im Werk allerdings sehr wohl. Die will der Konzern offenbar schon im Lauf des anstehenden Betriebsurlaubes ab 10. August nach Polen in ein anderes Werk transportieren. Ein Umgang mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, der für die chinesische Unternehmensgruppe scheinbar normal ist.
Doch Betriebsrat Leitner reicht es jetzt: „Wir werden in Spielberg keine chinesischen Verhältnisse zulassen! Wir werden verhindern, dass die Maschinen klammheimlich abgebaut werden. Wenn es sein muss, ketten wir uns an die Maschinen!“ Am Freitag beschlossen Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellte einstimmig zu streiken. Viele waren eigens aus dem Urlaub zurückgekehrt, um an der Abstimmung teilnehmen zu können.
Auch Lercher erneuerte seine Unterstützung: „Jetzt liegt es an uns allen gemeinsam, die Eigentümer nicht aus der Verantwortung zu entlassen!“ Der SPÖ-Politiker aus der Region verdeutlichte in seinem Video-Statement, was auf dem Spiel steht: „Denn wer sind die Nächsten? Und die Nächsten werden folgen! Weil das System, so wie es jetzt funktioniert, nicht mehr für die Fleißigen, für die Realwirtschaft, für einen Standort in der Obersteiermark funktioniert, sondern nur noch für irgendwelche Gewinninteressen irgendwo auf der Welt. So kann’s nicht weitergehen!“
Auch die steirische Soziallandesrätin Doris Kampus (SPÖ) sicherte Unterstützung zu. Mit Hochdruck soll an Maßnahmen für die Betroffenen gearbeitet werden.
ATB hat mittlerweile ein Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung eingeleitet, die Gespräche zwischen Betriebsrat und Unternehmensführung laufen. „Wir werden alle Möglichkeiten ausschöpfen, alle Mittel und Wege nutzen. Das ist noch nicht verloren“, zeigt sich Leitner kämpferisch.
Von der Bundesregierung erwarten sich die Beschäftigten zumindest mediale Unterstützung: „So kann chinesisches Engagement in Österreich nicht ausschauen, dass man sich einkauft, Know How abzieht und dann alle raushaut.“ Allerdings ist von Seiten der zuständigen Wirtschaftsministerin Schramböck (ÖVP) noch keine Unterstützungserklärung gekommen.
Eine Möglichkeit wäre auch, dass der Staat einspringt und durch eine Auffanggesellschaft für die Sanierung sorgt. Als Vorbild in Spielberg gilt die staatliche Pleite-Holding GPI, die Betriebe wieder sinnvoll hochgefahren hat. Lercher forderte deshalb einen staatlichen Beteiligungsfonds am Unternehmen: „Wirtschaftsministerin Schramböck hat angekündigt, dass sie Österreichs Schlüsseltechnologie verstärkt im Land behalten möchte. ATB stellt Elektromotoren her. Mehr Schlüssel- und Zukunftstechnologie geht gar nicht.“ Schramböck müsse jetzt „schlaue Wirtschaftspolitik“ betreiben und für eine Sanierung sorgen. „Vielleicht gibt es aber auch einen Privatinvestor, der es mit uns probieren will“, sagt Leitner.
Wenn der langjährige Betriebsrat nun davon spricht, dass die ATB-Belegschaft zu „Kampfmaßnahmen gezwungen“ werde, ist das keine leere Floskel. Die Beschäftigten haben seit Jahren alles für den Standort getan. Ein Beispiel zeigt die Verbundenheit der Mitarbeiter mit dem Werk ganz besonders: 2003 sollten über 100 Arbeitsplätze aus der Wickelei nach Serbien verlagert werden. Alle Mitarbeiter haben sich kurzerhand auf Lohn- und Gehaltskürzungen eingelassen, um die Arbeitsplätze in Spielberg zu erhalten. Mit Erfolg – die Wickelei hat sich zum Kompetenzzentrum entwickelt, 2016 übernahm sie sogar Aufgaben vom deutschen Standort.
Am Montag kamen die ATB-Mitarbeiterinnen aus dem Betriebsurlaub zurück. Vor dem Tor zum Werk erwarteten sie 250 Menschen aus der Region und wollten sie unterstützen. Vorstand Rolf Primigg hatte allerdings noch eine letzte Überraschung für seine Mitarbeiterinnen auf Lager: er zog die Kündigungen in die Länge. Ohne Essen und Trinken im ganzen Haus. Geschlagene sieben Stunden lang. Sogar die Rettung musste anrücken.
Arbeiterkammer und Gewerkschaft wurden vom Vorstand von der Versammlung ausgeschlossen.
Die meisten Beschäftigten waren seit Jahrzehnten im Betrieb. Für ihre Abfertigungen hat die Wolong-Gruppe kein Geld. Darum muss der Insolvenzausgleichsfonds einspringen. Die chinesischen Eigentümer der ATB stellen lieber 30 Millionen Euro für andere Gläubiger bereit. So gelang es ihnen, eine Lücke im Insolvenzrecht auszunützen und die Maschinen des Werks nach Polen zu bringen. Die Arbeiterkammer will hat beim Oberlandesgericht Einspruch eingelegt. Doch während am Mittwoch draußen die Belegschaft demonstrierte, transportierten LKW mit polnischen Kennzeichen die Maschinen ab. Die SPÖ will nun im Parlament eine Gesetzesänderung durchsetzen und die Lücke schließen. Denn so etwas soll nicht noch einmal passieren.
Bereits vor Wochen hatten sich die Beschäftigten an den Bundeskanzler gewandt, berichtet Betriebsrat Leitner kontrast.at: “Wir wollten mit dem Bundeskanzler reden, haben ihm geschrieben, aber er hat uns vier Wochen nicht einmal geantwortet.” Früher seien bei Krisen zumindest Regierungsvertreter hier gewesen und hätten sich bemüht. Von der Türkis-Grünen Regierung ließ sich niemand blicken.
Mittwoch kam dann doch noch ein Anruf aus dem Bundeskanzleramt mit einer Erklärung dafür: Kanzler Kurz und sein Team hab die Anliegen der fast 400 Beschäftigten „übersehen“.
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