Die Aufspaltung Jugoslawiens in mehrere Nationalstaaten Anfang der 1990er Jahre war ein gewaltsamer Akt, dessen Wunden bis heute spürbar sind. Im Juli 1995 gipfelt die Gewalt im ostbosnischen Srebrenica in einem Völkermord: 8.372 Bosniak:innen werden ermordet. Dies geht als das schlimmste Kriegsverbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg in die Geschichte ein. Srebrenica ist ein warnendes Beispiel dafür, wie Nationalismus und Faschismus eine vielfältige Gesellschaft zerstören können.
Bereits ab den 1980er Jahren erstarken in vielen Gebieten des ehemaligen Jugoslawiens nationalistische Bewegungen. Der Wunsch nach eigenen Nationalstaaten gewinnt immer mehr an Bedeutung. Als im März 1992 Bosnien-Herzegowina seine Unabhängigkeit erklärt, reagieren serbisch-nationalistische Kräfte mit Gewalt. Ihre Forderung ist ein „Großserbien“, das auch Teile Bosniens umfassen sollte. So startet die kurz zuvor ausgerufene Republik Srpska – eine autonome serbische Region in Bosnien – einen brutalen Krieg. Dabei unterstützen die jugoslawische Volksarmee und das serbische Regime unter Präsident Slobodan Milošević diese.

Nationalismus löscht eine multikulturelle Gesellschaft aus
Während des Bosnienkriegs (1992-1995) entwickelt sich ein systematischer Vernichtungskrieg gegen die bosniakische Zivilbevölkerung, die mehrheitlich muslimisch ist. Unter dem Schlagwort „ethnische Säuberung“ zerstören serbisch-nationalistische Kräfte ganze Dörfer, vertreiben hunderttausende Menschen und vergewaltigen unzählige Frauen. Die Gewalt ist kein Nebeneffekt des Krieges, sondern gezielt geplant: Massaker, Internierungslager und die Zerstörung religiöser Stätten sollen eine multikulturelle Gesellschaft auslöschen. Über 100.000 Menschen starben, rund 2,2 Millionen wurden vertrieben. Diese Gewalt prägt die Familiengeschichte vieler Menschen bis heute – nicht nur in Bosnien, sondern auch in anderen Ländern wie Österreich.
„Genozid in Zeitlupe“: Die humanitäre Lage in Srebrenica verschlechtert sich
Die serbischen Truppen belagern erstmals 1992 die ostbosnische Stadt Srebrenica. Die Armee der Republika Srpska unter Ratko Mladić verübt gezielte Angriffe auf die Zivilbevölkerung, zerstört Dörfer und schafft es, damit Tausende zu vertreiben. Als es bosniakischen Kräften im Mai 1992 gelingt, die Stadt zurückzuerobern, flüchten bis zu 50.000 Menschen nach Srebrenica. Doch die humanitäre Lage ist dramatisch: Es mangelt an Nahrung und medizinischer Versorgung. UN-Botschafter Diego Arria sprach schon 1993 von einem „Genozid in Zeitlupe“.
Im April 1993 erklärt der UN-Sicherheitsrat Srebrenica schließlich zur „Schutzzone“. Trotzdem verschärft sich der Belagerungszustand erneut. So formuliert der Präsident der Republika Srpska Radovan Karadžić im Frühjahr 1995 offen das Ziel, Srebrenica in eine Situation der „völligen Unsicherheit“ zu versetzen.
Massaker von Srebrenica: Noch heute werden Opfer aus den Massengräbern identifiziert
Am 11. Juli 1995 nehmen Mladićs Truppen die Stadt ein. In panischer Angst suchen zehntausende Menschen Zuflucht in der Nähe der UN-Basis in Potočari. Andere schließen sich zu einer Marschkolonne zusammen und versuchen, sich durch die umliegenden Wälder bis in das nächstgelegene bosniakisch kontrollierte Dorf Nezuk durchzuschlagen. Einen Tag nach ihrer Ankunft beginnen die serbischen Einheiten, systematisch Männer und Jungen ab etwa zwölf Jahren von Frauen, Kindern und Älteren zu trennen. Als Evakuierung getarnt, entwickelt sich in Wahrheit zum Auftakt zu einem der schlimmsten Kriegsverbrechen auf europäischem Boden nach 1945.
In den darauffolgenden Tagen werden 8.372 Männer und Jungen an verschiedenen Orten in Ostbosnien exekutiert – auf Feldern, in Scheunen, in Wäldern. Überlebende berichten von schwersten Misshandlungen und systematischer Folter. Die Opfer verschwanden in Massengräbern. Noch heute werden die sterblichen Überreste geborgen, um diese zu identifizieren und Angehörigen Klarheit zu geben.

Im Jahr 2004 erkennt der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) diese Ereignisse in Srebrenica offiziell als Völkermord an. Auch der Internationale Gerichtshof bestätigt 2007 dieses Urteil.
Am 11.Juli gedenken wir den Opfern des Genozids in Srebrenica
Die Aufarbeitung des Genozids ist bis heute zentral für Bosnien-Herzegowina. 2024 wurde der 11.Juli international durch die UN-Generalversammlung als Gedenktag an den Völkermord in Srebrenica anerkannt. Beim alljährliche Friedensmarsch erinnern die Teilnehmenden an die Route, die vor 30 Jahren tausende Bosniak:innen nahmen, um dem Tod zu entkommen. Gemeinsam marschieren sie von Nezuk zum Memorial Center Srebrenica-Potočari. Dort werden die Opfer, die im vergangenen Jahr geborgen werden konnten, beigesetzt. Außerdem leistet das Memorial Center Srebrenica-Potočari Bildungsarbeit, um die Geschichte von Srebrenica vor dem Vergessen zu schützen, aber auch als Beitrag zum Kampf gegen jene nationalistische Hasspolitik, die Genozid möglich macht.
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Auch in Wien fand dieses Jahr eine parlamentarische Gedenkveranstaltung anlässlich des 30. Jahrestags des Völkermordes von Srebrenica statt. Die Forderungen der Redner:innen zeigen: Srebrenica sowie der Jugoslawien-Krieg gehören auch in Österreich thematisiert – ob im Geschichtsunterricht in den Klassenzimmern oder in den Medien.
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