Die letzten Tage nach dem Tod von Ärztin Lisa-Maria Kellermayr haben in bitterer Klarheit gezeigt: Österreich hat ein Verantwortungsproblem. Statt Politiker:innen, die ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, brauchen wir endlich echte Politik, um die vielen Krisen zu bewältigen.
Tempo – Kolumne von Mati Randow
Mati Randow ist Schulsprecher in Wien und organisiert unter Schüler:innen Widerstand gegen die türkis-grüne Corona-Politik.
Hat es im Fall Lisa-Maria Kellermayr staatliche Versäumnisse gegeben? „Für mich ist das ein Moment, um innezuhalten und nicht, um Schuldige zu suchen“ – findet Gesundheitsminister Johannes Rauch, im oe24-Interview darauf angesprochen. Seine Aussage ist durchaus bemerkenswert. Denn nicht nur hat die Polizei die Ängste der unermüdlichen Ärztin nicht ernstgenommen, neben fehlender Unterstützung durch Ärztekammer, Staatsanwaltschaft und Co. waren es nicht zuletzt auch politische Amtsträger:innen, die Kellermayr im Stich gelassen haben.
Kellermayr: Keine Unterstützung von Rauch
Aus dem Gesundheitsministerium hatte die Hausärztin auch nach zahlreichen öffentlichen Hilferufen nie zu hören bekommen. Während Kellermayr in ihrer Arztpraxis am Attersee mit Hassnachrichten und Drohungen bombardiert wurde, sprach Rauch öffentlich von der Notwendigkeit, nun gesellschaftliche „Gräben zuzuschütten“. Mit gutem Recht fragt die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl auf Twitter deshalb unter dem Statement des Gesundheitsministers zum Tod Kellermayrs, warum Rauch sie denn nie kontaktiert hatte, „als sie noch am Leben war“. Man könnte meinen, es wäre nun also ein allgemeines Anliegen, die Verfehlungen in den letzten Lebensmonaten von Lisa-Maria Kellermayr aufzuarbeiten. Statt sich an diesem Vorhaben zu beteiligen, betont der Minister nur, man dürfe jetzt keine Schuldigen suchen. Dass das Rauch derzeit am wichtigsten erscheint, ist irritierend. Denn er ist der letzte, der die Schuldfrage beantworten kann. Darüber zu urteilen steht vor allem der Justiz, ganz sicher aber nicht dem Gesundheitsminister zu.
Der Gesundheitsminister hat versagt
Viel mehr als um Schuld geht es beim Agieren Rauchs um seine Verantwortung als Minister – Und die hört längst nicht bei strafrechtlichen oder moralischen Fragen auf. Ist Johannes Rauch seiner Verantwortung, der Pflicht seines Amtes, für die Sicherheit und das Wohlergehen der Ärzt:innen in diesem Land zu sorgen, nachgekommen? Hat der Gesundheitsminister alles in seiner Verantwortung stehende getan, um die Lebensumstände der bedrohten Kellermayr zu verbessern? Ist Minister Rauch nun gewillt, Verantwortung für die Vergangenheit zu übernehmen und gleichzeitig politisch dafür zu sorgen, dass so etwas in Zukunft nicht mehr passieren wird? Diese Fragen können alle, die die Geschehnisse der letzten Monate verfolgt haben, beantworten. Sie sind die politisch und gesellschaftlich entscheidenden Fragen. Und bei ihnen hat der Minister bewiesenermaßen versagt.
ÖVP und Grüne: Politik, die sich nicht verantwortlich fühlt
Politiker:innen, die sich weigern, Verantwortung zu übernehmen, sind natürlich nicht neu. Seit Angelobung der türkis-grünen Bundesregierung beklagen Umweltaktivist:innen ein fehlendes Klimaschutzgesetz, die grüne Klimaministerin fühlt sich nicht verantwortlich. Alle Schüler:innen dieses Landes haben in der Pandemie miterlebt, wie sich insgesamt zwei Bildungs- und drei Gesundheitsminister die Verantwortlichkeit beim Thema Schutz vor Covid an Schulen hin- und hergeschoben haben. Zahlreiche Auftritte in verschiedenen U-Ausschüssen haben zudem ein alles andere als verantwortungsbewusstes Amtsverständnis führender Politiker:innen aufgezeigt.
Neu ist hingegen das Ausmaß, in dem sich Behörden und Politik weigern, ihrer Verantwortung nachzukommen. Es ist dabei unerheblich, ob etwa Johannes Rauch von „Eigenverantwortung“ oder „Verantwortungsübernahme“ der Bevölkerung spricht – Seine eigene, amtliche Verantwortung, als Minister die Gesundheit der Menschen, insbesondere von Risikogruppen zu bewahren, geschützte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu gewährleisten, tritt er so mit Füßen.
Nehammer: Show statt Anti-Teuerungspolitik
Auch Bundeskanzler Nehammer legt keine verantwortungsvolle Amtsführung an den Tag. Erst sagte der ÖVP-Chef medienwirksam seinen Familienurlaub in Griechenland ab. Begründung: Er wolle seine Zeit voll dem Kampf gegen die Inflation widmen. Genug Zeit blieb dann doch für einen fragwürdig inszenierten Staatsbesuch von Viktor Orban inklusive Putin-freundlicher Pressekonferenz sowie eine Bundesländertour des Kanzlers mit über 200 angekündigten Auftritten in ganz Österreich. Das nächste Anti-Teuerungspaket soll übrigens im Herbst präsentiert werden. Nach der Bundesländertour. Nicht zuletzt werden auch die Oppositionsparteien SPÖ und NEOS ihrer staatlichen Verantwortung nicht gerecht, wenn sie im Bundespräsidentschaftswahlkampf der FPÖ und anderen Brandstiftern das Feld überlassen.
Wir müssen uns wieder auf Politik verlassen können
Der Punkt ist: Das hat alles mit echter Politik nichts mehr zu tun. Denn die übernimmt überall dort Verantwortung, wo es ihr möglich ist, überall dort, wo es nötig ist. Genau das braucht es: Ernsthafte Politik in dieser ernsten Lage. Wenn nun aber die Politik beginnt, Verantwortung per se kategorisch abzulehnen, hat das vorhersehbare, fatale Folgen. Schon in der derzeitigen Situation ist es diese verantwortungsbefreite Geisteshaltung, die verhindert, dass Krisen bekämpft und bewältigt werden können. Es wäre nun folglich illusorisch, davon auszugehen, dass uns bessere Zeiten bevorstehen. Im Gegenteil: Ändert sich nichts, ändert sich alles. Je schwieriger die Umstände werden, desto mehr wird es darauf ankommen, dass wir uns auf die politischen Amtsträger:innen verlassen können. Es ist klar, was sie dafür tun müssen: Verantwortet euch endlich!
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