Finnland ist das glücklichste Land der Welt – schon wieder. Zum siebenten Mal in Folge steht Finnland an der Spitze des World Happiness Report. In Kooperation mit dem renommierten Meinungsforschungsinstitut Gallup veröffentlichen die Vereinten Nationen einmal jährlich einen Bericht, der feststellt, wo auf der Welt die Menschen am zufriedensten mit ihrem Leben sind. Doch warum sind die Finnen im kalten Norden so glücklich? Eine Erklärung aus fünf sozialpolitischen Gründen.
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Der Staat sorgt für freie Beziehungen
„Als ich 2008 nach Amerika zog, verwandelte ich mich von einer selbstbewussten, erfolgreichen Frau in ein Wrack voller Selbstzweifel“, erzählt die die finnische Journalistin Anu Partanen. In ihrem Buch „The Nordic Theory of Everything“ vergleicht sie die nordische Kultur mit der amerikanischen. Warum die Menschen in Finnland so glücklich sind? Partanens Fazit: Weil die Finn:innen freie Beziehungen leben können. In jedem Lebensbereich sorgt ein starker Sozialstaat dafür, Abhängigkeiten zwischen den Menschen gering zu halten.
„Die nordischen Länder haben etwa erkannt, dass es im langfristigen Interesse aller liegt, einschließlich der Unternehmen, Familien bei der Kindererziehung zu unterstützen. Schließlich sind glückliche Familienmitglieder auf lange Sicht produktiver, und die Unternehmen können in Zukunft auf einen größeren Pool gesunder, produktiver und ausgeglichener Arbeitnehmer:innen zurückgreifen“, sagt Partanen.
So haben Mütter und Väter von Neugeborenen etwa das gleiche Recht auf Elternzeit. Beide bekommen jeweils 160 Tage Elternzeit zugeteilt. Bis zu 63 ihrer Tage dürfen sie aber an die oder den anderen abgeben.
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Gleichstellung von Frau und Mann
Es gibt wohl kaum ein Land auf der Welt, in dem die Gleichstellung von Frau und Mann so weit fortgeschritten ist wie in Finnland. Es ist nicht nur so, dass Väter in Finnland gleich viel Zeit mit den Kindern verbringen (als einziger Staat weltweit), Frauen arbeiten auch annähernd gleich viel wie Männer. Möglich machen das breite staatliche Kinderbetreuungsangebote, die als Selbstverständlichkeit gelten.
Im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Ländern müssen sich Eltern in Finnland nicht um einen Betreuungsplatz bemühen, die Kommunen müssen für jedes Kind einen Platz bereitstellen. Diesen Anspruch gibt es schon seit 1973. Daneben war Finnland 1906 das erste Land weltweit, das Frauen das aktive und passive Wahlrecht verlieh und in den 1970ern schon Gesetze gegen Diskriminierung von Frauen im Job einführte.
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Bildung schafft echte Chancengleichheit
Laut OECD-Better-Life-Index hat Finnland das beste Bildungssystem aller OECD-Länder. Auch wenn das Land nicht mehr so gut wie Mitte der 2000er bei der PISA-Studie abschneidet, steht fest: Finnland ist ein Bildungsvorreiter. Seit 1977 setzt der Staat auf die Gesamtschule. Die Reform war damals sehr gut geplant. So hatten Schulbuchverlage etwa ausreichend Zeit, um die Unterrichtsmaterialien anzupassen. Das wiederum führte zu einem stabilen System. Dabei setzen finnische Schulen ganz auf Chancengleichheit. Bis zur 9. Klasse werden die Schüler:innen gemeinsam unterreichtet, erst dann müssen sie sich für ihren individuellen Weg entscheiden.
Das Besondere am finnischen Bildungserfolg: Das Schulsystem kostet gar nicht mehr als in Österreich. Zwar wandern mit 5,2 Prozent etwas mehr vom BIP ins Schulsystem (4,6 Prozent sind es in Österreich), doch bei den Ausgaben pro Kind liegt Österreich voran. Und der Bildungserfolg funktioniert ganz ohne Drill. So schreibt das finnische Grundschulgesetz ausdrücklich vor, dass Schüler:innen nach der Schule und den Hausaufgaben noch Zeit für Hobbys und Erholung haben müssen.
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Gelebte Werte: Unabhängigkeit und Bescheidenheit
Politik kann Vorgaben machen und Unterstützung leisten, doch wahre Veränderung passiert immer in den Herzen der Menschen. Darum sind die gelebten Werte der Finn:innen ebenfalls ein wichtiger Grund für das tolle Abschneiden im World Happiness Report. Flache Hierarchien ziehen sich in Finnland durch alle Lebensbereiche – weil es die Menschen unbedingt so wollen.
„Für die Bürger der nordischen Länder sind die wichtigsten Werte im Leben die Selbstständigkeit des Einzelnen und die Unabhängigkeit gegenüber anderen Mitgliedern der Gemeinschaft“, sagt Arnu Partanen.
Im Übrigen haben finnische Unternehmen oft Schwierigkeiten, Personal für Spitzenpositionen zu finden – weil Bescheidenheit ebenfalls ein wichtiger Wert ist. Zurschaustellung von Reichtum ist etwa sehr verpönt. „Vergleichen Sie Ihr Glück nicht und prahlen Sie nicht damit“, lautet ein berühmter Satz eines finnischen Dichters.
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Leben im Einklang mit Natur und Mitmensch
Laut einer Umfrage aus 2021 betrachten fast 90 Prozent aller Menschen in Finnland die Natur als wichtigen Teil ihres Lebens. Die Bedeutung der Natur im Leben der Menschen ist auch rechtlich verankert. Das Jedermannsrecht sichert allen Bürger:innen grundlegende Rechte an der Natur. Dazu zählt, dass man auch Privatgrund nutzen darf – etwa, um Pilze und Beeren zu sammeln, aber auch zum vorübergehenden Übernachten. So sind Seegrundstücke grundsätzlich nicht eingezäunt.
Die gemeinsame Nutzung von Privatgrund funktioniert aufgrund des starken Vertrauens der Bürger:innen ineinander. Ein soziales Experiment aus dem Jahr 2022 hat die Ehrlichkeit der Weltbevölkerung getestet. Insgesamt wurden 192 Geldbörsen in 16 Städten auf der ganzen Welt abgelegt. Am ersten Platz: Helsinki. 11 von 12 gefundene Geldbörsen wurden dort zurückgegeben.
Der Autor des Textes hat mehrere Monate in Finnland gelebt. Trotz der eiskalten nordischen Temperaturen und der extremen Dunkelheit im Winter, kann er berichten, dass die Finnen frohe Gemüter haben und das starke soziale Netz im hohen Norden tatsächlich glücklich macht.