Die Gemeinwohl-Ökonomie ist eine Alternative zum bestehenden Wirtschaftsmodell des Kapitalismus inklusive Streben nach Profit und stetem Wachstum. Oberstes Ziel ist ein gutes Leben für alle Menschen. Die Idee: Der Staat fördert Unternehmen, die umweltfreundlich produzieren und ihre Mitarbeiter:innen fair bezahlen. Durch günstige Kredite und Steuererleichterungen erhalten sie einen klaren Vorteil und können so noch erfolgreicher wirtschaften. Stück für Stück könnte dadurch ein nachhaltiges und sozial-gerechtes Wirtschaftssystem entstehen.
Stellen wir uns vor, ein kleines Café, eine lokale Tischlerei und eine Familien-Bäckerei sind auf einmal erfolgreicher als die Filialen der großen globalen Konzerne. Der Grund: Der Staat fördert sie mit günstigen Krediten, Investitions-Hilfen und Steuererleichterungen, weil sie nachhaltiger, sozialer und fairer wirtschaften. Die Konzerne hingegen müssen höhere Steuern zahlen, weil sie die Mitarbeiter:innen ausbeuten und die Natur zerstören. Dadurch erhalten die kleinen Betriebe ganz bewusst einen klaren Vorteil gegenüber den Konzernen und können sich mit ihren fairen und nachhaltigen Produkten am Markt durchsetzen.
Eine Utopie? Aus heutiger Sicht, ja. Aber im Sinne der Gemeinwohl-Ökonomie könnte so unsere wirtschaftliche Realität aussehen.
Gemeinwohl-Ökonomie erklärt: Was ist das?
Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) ist eine Alternative zum bestehenden Wirtschaftsmodell des Kapitalismus. Als oberstes Ziel gilt hier ein gutes Leben für alle Menschen und nicht die maximale Bereicherung einiger weniger Firmen-Besitzer:innen. Sie ist eine ethische Marktwirtschaft, die auf menschlichen Grundwerten aufbaut. Im Vordergrund stehen Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitbestimmung. Werte, die auch nahezu alle demokratischen Verfassungen teilen.
Eine der Stärken der Gemeinwohl-Ökonomie besteht darin, dass sie an Kernelemente der kapitalistischen Marktwirtschaft anknüpft: Unternehmen, Kredite, Handel, Märkte, Eigentum. Sie transformiert jedoch diese Elemente, indem sie diese konsequent in den Dienst der übergeordneten Werte – Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Demokratie – stellt. Es handelt sich also um Transformation und Weiterentwicklung, nicht um „Disruption“ oder „Systemwechsel“. (Christian Felber, Gründer der Gemeinwohl Ökonomie)
Diese übergeordneten Werte sind nur ein Vorschlag. Das Konzept sieht vor, dass sie in einem demokratischen Prozess gemeinsam (weiter)entwickelt werden.
Nachhaltigkeit für Mensch, Umwelt und Wirtschaft
Die Gemeinwohl-Ökonomie versteht unter Nachhaltigkeit, nicht nur den ressourcenschonenden Umgang mit unserer Natur, sondern auch die Einhaltung der Menschenwürde sowie freies und erfolgreiches Wirtschaften im Sinne einer ethischen Marktwirtschaft.
Die drei Säulen der Nachhaltigkeit:
- Die konsequente Einhaltung der Menschenwürde
- Der schonende Umgang mit unserer Natur
- Unternehmerische Freiheit und Erfolg im Rahmen einer ethischen Marktwirtschaft
Die GWÖ führt zu mehr Nachhaltigkeit, da sie jene Unternehmen fördert, die umweltfreundlich und sozialverträglich arbeiten. Durch Kredite, Investitionen und Steuererleichterungen erhalten sie einen klaren Vorteil gegenüber anderen und setzen sich so mit ihren Produkten am Markt durch.
Folgt man diesem einfachen Prinzip, würde es sich schlicht nicht mehr lohnen, die Menschenwürde zu missachten, die Umwelt zu zerstören oder die Ungleichheit in der Gesellschaft für die Profite einiger weniger voranzutreiben. Schritt für Schritt könnte so ein Wirtschaftssystem entstehen, in dem sich ein schonender Umgang mit unseren endlichen Ressourcen auszahlt – rücksichtsloses und ausbeuterisches Verhalten hingegen nicht.
Viele Menschen suchen inzwischen eine Arbeit, die ihnen sinnvoll erscheint. Nachhaltigkeit ist besonders wichtig – gerade bei der jungen Generation. Ein weiterer Vorteil für gemeinwohl-orientierte Unternehmen: Denn viele ihrer Mitarbeiter:innen fühlen sich deutlich zufriedener, seitdem sie ihre Arbeit als Beitrag zum Gemeinwohl erleben.
Wie viel genau ein Unternehmen zum Gemeinwohl beiträgt, misst die Gemeinwohl-Bilanz.
Gemeinwohl-Ökonomie-Ziele: Die Wirtschaft demokratisieren
Durch eine neue Wirtschaftsordnung und eine grundlegend neue Denkart des Wirtschaftens, will die Gemeinwohl-Ökonomie ein gutes Leben für alle erreichen. Das ist ihr oberstes Ziel. Alles soll neu diskutiert und demokratisch entschieden werden:
- Sollte etwa ein CEO wirklich das 300-fache eines Angestellten verdienen? Oder wäre das 10-fach nicht fairer? Natürlich sollte es mehr Lohn für mehr Verantwortung geben. Momentan fehlt es aber an der Verhältnismäßigkeit. Denn solche hohe Gehaltsunterschiede gefährden den sozialen Zusammenhalt.
- Sollte man giftige Spritzmittel nicht gänzlich verbieten, auch wenn sich ein globaler Konzern mit aller Macht dagegen stemmt? Immerhin trägt jeder einzelne Mensch die gesundheitlichen Konsequenzen. Wäre es dann nicht gerechter, wenn die Entscheidung darüber bei ihnen läge?
- Acht Milliardäre besitzen mehr als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Ist das noch angemessen? Oder brauchen wir eine Reichtumsobergrenze, höhere Erbschaftssteuern und eine gerechtere Verteilung von Besitz?
- Wie hoch soll der Mindestlohn sein? Sind 12 Euro pro Stunde (Deutschland) genug? Ist es okay, dass es in Österreich überhaupt keinen gibt?
Die Gemeinwohl-Ökonomie will die Kontrolle über unsere Zukunft zurück in die Hände der Demokratie geben. Eine Anhäufung von Kapital, Geld und infolgedessen auch Macht soll nur noch beschränkt möglich sein. Wo diese Grenze liegt, sollen alle Menschen gemeinsam entscheiden.
Die Gemeinwohl-Bilanz: So wird bewertet
Mit der Gemeinwohl-Bilanz kann ein Unternehmen, eine Universität, eine Stadt oder eine Gemeinde ihren Beitrag zum Gemeinwohl messen.
- Werden die verwendeten Rohstoffe umweltfreundlich abgebaut?
- Gibt es Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten?
- Werden alle Beteiligten fair bezahlt?
- Steht der Kund:innennutzen über dem eigenen Umsatzstreben?
- Wird auf Transparenz im Umgang mit Mitarbeiter:innen geachtet?
Eines dieser Unternehmen ist der Sportartikelhersteller Vaude. Vaude achtet auf die höchsten ökologischen Standards bei der Textilherstellung. Mit der Gemeinwohl-Bilanz kann das Unternehmen den dadurch entstehenden Beitrag zum Gemeinwohl messen.
Die Gemeinwohl-Bilanz bewertet Unternehmen in 20 Kategorien mit + oder – Punkten. Pluspunkte gibt es etwa für ressourcenschonendes und umweltfreundliches Wirtschaften, für faire Löhne und soziale Arbeitsbedingungen. Minuspunkte hingegen gibt es für umweltschädliches Verhalten oder die Missachtung der Menschenrechte. Je mehr Pluspunkte ein Unternehmen hat, desto mehr trägt es zum Gemeinwohl bei.
Die Gemeinwohl-Ökonomie setzt sich dafür ein, dass eine solche Bilanz für Betriebe verpflichtend wäre und vor allem rechtliche wie wirtschaftliche Folgen hätte. Unternehmen mit einer hohen Punktzahl erhielten bestimmte Vorteile, wie niedrigere Steuern, günstigere Investitionen oder wären bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bevorzugt. So würden konkrete Anreize geschaffen, um nachhaltig und sozialverträglich zu wirtschaften und zu produzieren.
Rund 1.000 Unternehmen in 35 Ländern erstellen bereits eine Gemeinwohl-Bilanz und haben sich für gesellschaftliche Ziele, jenseits der bloßen Gewinnmaximierung entschieden. Darunter bekannte Unternehmen wie Vaude, Sonnentor, Windkraft Simonsfeld, die Brauerei Trumer und die Braucommune Freistadt.
Pro & Contra Gemeinwohl-Ökonomie: Vorteile und Nachteile für die Gesellschaft
Aus den Grundwerten der Gemeinwohl-Ökonomie (Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Demokratie) ergeben sich folgende Vorteile:
- Nachhaltigkeit: Durch die Verpflichtung zu nachhaltigem und ressourcenschonendem Produzieren retten wir unseren Planeten.
- Transparenz: Die Gemeinwohl-Bilanz macht das Verhalten von Unternehmen für die Gesellschaft nachvollziehbar und transparent.
- Solidarität und Gerechtigkeit: Der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Solidarität miteinander wachsen, da Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten abgebaut werden.
- Chancengleichheit: Eine Reichtumsobergrenze (für juristische Personen: z. B. eine GmbH, Aktiengesellschaften oder Wirtschaftsverbände) vermindert die Unterschiede zwischen Arm und Reich. Das führt zu mehr Chancengleichheit. Denn Reichtum und Privatbesitz tragen maßgeblich zur ökonomischen, sozialen und auch politischen Ungleichheit in einer Gesellschaft bei. Heute gilt: Wer reich ist, wird reicher. Wer arm ist, bleibt arm.
- Mehr Demokratie: In Österreich wünschen sich 90 Prozent eine neue Wirtschaftsordnung – in Deutschland sind es 88 Prozent (Umfrage der Bertelsmann-Stiftung, 2012). Die Menschen wünschen sich den Wandel, doch im jetzigen Modell haben sie keine Stimme. Ganz anders in der Gemeinwohl-Ökonomie: hier würden sie gemeinsam über jegliche Aspekte der Wirtschaft abstimmen. Alles stände zur Debatte: Ist es etwa fair, dass ein Manager das 300-fache eines normalen Angestellten verdient? Wäre das 10-fache nicht schon genug?
- Weniger Lobbyismus: Lobbyismus und die Einflussnahme auf politische Entscheidungen durch Unternehmen wäre schlicht nicht mehr möglich, da das Gemeinwohl das höchste Ziel ist. Dadurch würden globale Konzerne und einzelne extrem reiche Personen die Grundlage ihrer Macht und ihres Einflusses verlieren.
- Menschenwürde: Keine Ausbeutung mehr, da sie sich durch die wirtschaftlichen Konsequenzen (mehr Steuern und Abgaben) nicht mehr lohnen würden.
Nachteile ergäben sich hauptsächlich für diejenigen, die die jetzige Situation ausnutzen und davon profitieren, dass Mensch und Umwelt ausgebeutet werden, dass politische Einflussnahme möglich ist und dass es (noch) keine wirklichen Konsequenzen dafür gibt.
Die Kritik: Der Aufwand und die eingeschränkte Freiheit
Die österreichische Wirtschaftskammer kritisiert den bürokratischen Aufwand, der dadurch entstehen könnte. Man müsste nicht nur für jedes Unternehmen eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen, sondern auch die steuerlichen und gesellschaftlichen Vor- und Nachteile definieren, die sich daraus ergeben.
Doch wer zurückdenkt, wird feststellen, dass auch die Einführung der allgemeinen Bilanzierung mit viel Aufwand verbunden war. Sollten wir uns also wirklich fragen, ob es zu aufwändig wäre? Oder sollten wir nicht besser fragen: Nutzt ein Unternehmen der Umwelt, dem Frieden, den Menschen? Trägt es zum allgemeinen Wohlstand der Gesellschaft bei, oder richtet es mehr Schaden an?
Natürlich wäre eine neue Bilanz ein aufwändiges Unterfangen – eines, das sich jedoch für die Unternehmen und die Gesellschaft lohnen würde. Es würde ihnen dabei helfen, ihr eigenes Handeln zu reflektieren, einzuordnen und gegebenenfalls anzupassen, um zu einer besseren Gesellschaft beizutragen. Was am Ende des Tages auch in ihrem Interesse liegt.
Oft wird auch kritisiert, die Gemeinwohl-Ökonomie würde die Freiheit der Unternehmen und Individuen zu stark einschränken. Fraglich ist jedoch, wie sehr von einer Einschränkung die Rede sein kann, wenn unternehmerische Freiheit die Ausbeutung von Mensch und Natur bedeuten.
Unsere Gesellschaft baut auf Einschränkungen auf – nur so funktioniert das Zusammenleben und auch die Freiheit. So rasen wir etwa nicht mit 200 Km/h durch die Innenstadt, weil das für alle Beteiligten zu gefährlich wäre. Auch lösen wir Konflikte nicht mit Gewalt, sondern vor Gericht. Einschränkungen sind notwendig – doch sollten nur wir als Gesellschaft über diese entscheiden.
Gemeinwohl-Ökonomie: Beispiele
Weltweit gibt es knapp 60 praktizierende Städte und Gemeinden, 175 aktive Regionalgruppen und 200 Hochschulen, die sich für die Gemeinwohl-Ökonomie engagieren. Diese Menschen haben sich dafür entschieden, weil sie nicht länger zuschauen wollen, wie große Konzerne die Umwelt zerstören und die Demokratie aushöhlen. Sie wollen wieder einen Sinn in ihrem Schaffen sehen und das gemeinsame Arbeiten für eine bessere Gesellschaft gibt ihnen genau diesen. Die Gründe für das Engagement sind zahlreich und könnten nicht unterschiedlicher sein, eines eint sie jedoch alle: die Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Situation und der Wille etwas zu verändern.
Einige Beispiele:
Valencia: Seit 2021 fördert die autonome Region Unternehmen, die nachhaltig produzieren und die eine Gemeinwohl Bilanz erstellt haben. Insgesamt werden 700.000 Euro an Förderungen vergeben. |
Hamburg: Öffentliche Unternehmen sollen zukünftig zur Einhaltung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen verpflichtet werden. Zur Kontrolle sollen sie eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen. |
Gemeinwohl-Bilanz in Banken: Die Vorarlberger Landesversicherung, die Raiffeisenbank Lech und die Dornbirner Sparkasse erstellen bereits Gemeinwohl-Bilanzen. Vorreiter in Deutschland war die Sparda-Bank München. Dazu der frühere Vorstandsvorsitzende Günter Grzega: “Im Zuge unserer Gemeinwohl-Bilanzierung wurden in der Sparda-Bank München von meinem Nachfolger etwa sämtliche Boni-Zahlungen abgeschafft. Von insgesamt 700 Mitarbeiter:innen verließen daraufhin zwei das Unternehmen. Und das war gut so.“ |
Gemeinwohl-Konto: Das Gemeinwohl Konto ist ein Kooperationsprojekt der Genossenschaft für Gemeinwohl mit dem Umweltcenter der Raiffeisenbank Gunskirchen. Ziel ist es, Geld gezielt für Unternehmungen zu verwenden, die dem Gemeinwohl dienen und dadurch zu einem Wandel des Geld- und Finanzsystems beizutragen. Möglich wird dies durch einen recht simplen Schritt: Ein eigener Rechnungskreislauf garantiert, dass Gelder in der Höhe aller Einlagen auf Gemeinwohlkonten als Finanzierungen für gemeinwohlorientierte Projekte vergeben werden. Damit wissen alle Kontoinhaber:innen, dass ihr Geld zum Gemeinwohl beiträgt. |
Die Klimakrise, die Schere zwischen Arm und Reich und die Vertrauenskrise in die Politik und Demokratie: Mit der Transformation des gegenwärtigen Wirtschaftssystems in Richtung einer Gemeinwohl-Ökonomie könnten viele globale Probleme entschärft, wenn nicht gar gelöst werden.
Daraus werden sich Einschränkungen ergeben. Jedoch werden diese Einschränkungen nicht unsere Freiheit beschneiden, sondern einen demokratischen Prozess in Gang setzen, der unser aller Leben besser machen kann.
Wenn sich 90 Prozent eine neue Wirtschaftsordnung wünschen, dann werden sie diese nicht durch individuell-freiwilliges Engagement erreichen. Dazu braucht es entsprechende Rahmenbedingungen für alle Unternehmen und Beschäftigten in den jeweiligen Branchen. Eine Sozialpartnerschaft, die sich für ein gutes Leben für alle einsetzt, kann dies grundsätzlich leisten. Der Punkt ist nur: sie alleine macht noch keine Gesetze. Deshalb braucht es “mehr Demokratie” in den Institutionen der Gesetzgebung, sprich: dem Parlament mit seinen zwei Kammern. Hinweise darauf siehe beispielsweise die angegebene Webadresse.