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Haft für die nächste Ölpest? Frankreich diskutiert Strafen für Umweltverbrechen

Ökozid: Wer Umweltverbrechen begeht, soll ins Gefängnis. Das fordert die französische Bürgerversammlung für den ökologischen Wandel. Foto: Unsplash/Mert Guller

Fracking, unsichere Kraftwerke oder Pestizide: Der Raubbau an der Natur hat viele Gesichter. Wer Ökosysteme oder Teile davon zerstört, könnte in Frankreich bald für Ökozid in Haft landen. 

Als Ökozid bezeichnet man die Vernichtung von mehr oder minder großen Teilen von Ökosystemen. Man kann auch von Verbrechen gegen die Natur sprechen, die die Sicherheit und Unversehrtheit der Erde gefährden.

Ökozid im Vietnamkrieg

Der Begriff „Ecocide“ wurde bereits in den frühen 1970er-Jahren durch den amerikanischen Botaniker Arthur W. Galston geprägt. Er prangerte damit die Verwendung des chemischen Entlaubungsmittels Agent Orange durch die USA im Vietnamkrieg an. Galston wußte, wovon er sprach: Er selbst war an der Entwicklung des Mittels beteiligt. Damals schien es, als ob Umweltzerstörung relativ schnell zu einer international geächteten Straftat gemacht werden könnte. Treibende Kraft war damals der schwedische Ministerpräsident und Sozialist Olof Palme. Er schlug auf der ersten großen internationalen Umwelt-Konferenz vor, Umweltzerstörung zu einem Verbrechen in der internationalen Gesetzgebung zu machen. Dafür bekam er viel Unterstützung, beispielsweise von der indischen Ministerpräsidentin Indira Gandhi und sogar von China. Die Bemühungen verliefen aber im Sand.

USA, Frankreich, Großbritannien gegen Ökozid-Strafen

Bis zum nächsten Anlauf sollte es allerdings dauern. Im Jahr 1998 schuf die UNO die rechtliche Grundlage für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Sie bestimmte auch vier Verbrechen gegen den Frieden: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und gewaltsame Angriffe auf andere Staaten. Als fünften Punkt hatte die schottische Rechtsanwältin und Ökozid-Expertin Polly Higgins Verbrechen gegen die Natur vorgeschlagen. Also irreversible Zerstörungen und Schädigungen von Ökosystemen. Sie sollten als Staats- und Wirtschaftskriminalität eingestuft werden. Doch vor allem die USA, Frankreich, Großbritannien und die Niederlande waren vehement gegen Haft für Ökozid. Sie setzen sich durch und ließen den Punkt streichen. Konzernbosse und Politik können also weiterhin nicht auf internationaler Ebene für großflächige Zerstörung der Natur verantwortlich gemacht werden.

Haft für Umweltverbrechen

Meist werden sie bestenfalls zivilrechtlich belangt. Großen Mineralölkonzernen oder Kraftwerksbetreibern drohen daher nur Geldstrafen. Staaten müssen meist nicht einmal das fürchten. Die verantwortlichen Manager und Politiker kommen gänzlich ungeschoren davon. Mit Ökozid als Strafbestand, würde sich das ändern. Sie müssten sicherstellen, dass Ökosysteme nicht zu Schaden kommen. Denn sie könnten sonst in Haft landen.

Bürgerversammlung für ökologischen Wandel

In Frankreich kommt aktuell Bewegung in das Thema Haft für Ökozid. Die Convention citoyenne pour la transition écologique (Bürgerversammlung für ökologischen Wandel) macht mobil. Im Zuge der Gelbwestenbewegung verkündete Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron im Frühjahr 2019 die Gründung einer Bürgervertrettung. Keineswegs freiwillig. Auslöser für die Entstehung dieser Versammlung war die landesweite Protestwelle gegen Macron ab November 2018. Eine geplante Öko-Steuer-Erhöhung brachte damals das Fass zum Überlaufen. Geringverdienerinnen, die für die Arbeit in die Städte pendeln müssen, sahen sich ungerecht behandelt. Denn diese Steuer hätte sie am meisten getroffen. Steuererhöhungen für Konzerne sah Macrons Vorschlag allerdings nicht vor. Nach heftigen Protesten verschob er die Pläne einer Öko-Steuer. Der französische Präsident machte ein weiteres Zugeständnis, indem er die Bürgerversammlung für ökologischen Wandel gründete. Sie sollte der Regierung ab nun Vorschläge machen.

Demokratie und Umwelt

Die Bürgerversammlung besteht aus 150 zufällig ausgewählten französischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern im Alter von 16 bis 80 Jahren. Sie setzte sich zwei große Themenschwerpunkte: Demokratie und Umwelt. Dabei unterstützen sie Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen wie Ökologie, partizipative Demokratie oder Soziologie. Gemeinsam mit dem zuständigen Ministerium sind sie dafür verantwortlich, dass die Zusammenarbeit zwischen Bürgerversammlung und Regierung funktioniert.

Umwelt in die Verfassung

Die Convention citoyenne pour la transition écologique schlägt beispielweise die Verbannung von Einwegflaschen ab 2023 vor, oder das Verbot geplanter Obsoleszenz. Produkte sollen keine Sollbruchstellen mehr haben, wegen derer man sie früher nachkauft. Vor allem ist ihnen wichtig, Umweltschutz gesetzlich abzusichern. Sie fordern zum Beispiel, dass die Republik Frankreich den Schutz von Artenvielfalt und der Umwelt verpflichtet sowie  den Kampf gegen den Klimawandel. Bei Ökozid sollen nicht nur die verantwortlichen Unternehmen verurteilt werden, sondern auch die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in Firmen und Politik. Die Bürgerversammlung fordert Geldstrafen und Haft, zusätzlich Wiedergutmachung. 99% der französischen Bürgerinnen und Bürger in der Versammlung waren für die Forderung. Nun liegt der Ball bei der französischen Regierung.

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