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„Es war Mord.“ – Ingeborg Bachmanns Literatur gegen das Patriarchat

Mario Dondero, Public domain, via Wikimedia Commons

Vor 99 Jahren geboren, ist Ingeborg Bachmanns Werk bis heute hochaktuell: Die in Klagenfurt aufgewachsene Schriftstellerin entlarvt schonungslos autoritäre Denkweisen, die systematische Ausbeutung von Frauen in der Gesellschaft sowie Macht und Missbrauch von Sprache. Ihr Schreiben ist literarischer Widerstand und gesellschaftliche Intervention zugleich — relevant in einer Zeit zunehmender rechter Ideologien und sprachlicher Verrohung.

Ingeborg Bachmann gehört zu den prägendsten und einflussreichsten Autorinnen der deutschsprachigen Nachkriegs-Literatur. In einer Zeit, in der rechte Ideologien wieder salonfähig werden, in der Gewalt gegen Frauen ansteigt und Sprache zunehmend verroht, sind ihre Analysen relevanter denn je. Sie zeigen, dass Aufklärung und Widerstand kein abgeschlossener Prozess sind, sondern eine dauerhafte Aufgabe unserer Gesellschaft.

Prägung durch Leid und Düsternis

Ingeborg Bachmann wurde am 25. Juni 1926 in Klagenfurt geboren, in eine Welt, die bald vom Nationalsozialismus überschattet werden sollte. Ihre Jugend ist geprägt vom politischen Totalitarismus jener Jahre, der für sie keine abstrakte Kulisse, sondern unmittelbare Erfahrung bedeutet. Diese frühe Konfrontation mit Macht, Gewalt und ideologischer Sprachmanipulation wird zum Grundstein ihres literarischen und philosophischen Denkens.

Ingeborg Bachmann Nahaufnahme
Photo by Mario Dondero

Nach dem Krieg studiert Bachmann Philosophie, Germanistik und Psychologie in Innsbruck, Graz und Wien. Ihre Dissertation hat sie über Martin Heideggers Ontologie (Die Philosophie des Seins) verfasst. Ein mutiger Schritt, der bereits andeutet, wie intensiv sie sich später mit der Macht der Sprache und ihrer Missbrauchbarkeit auseinandersetzen würde. Ihr frühes intellektuelles Ringen mit den dunklen Kapiteln europäischer Geschichte durchzieht ihr gesamtes Werk, als Mahnung und als literarischer Widerstand.

Ingeborg Bachmanns Literatur: „Nieder mit dem Patriachat!“

Bereits in den 1950er-Jahren veröffentlicht Bachmann erste Gedichte. Mit „Die gestundete Zeit“ (1953) gelang ihr der literarische Durchbruch. Ihre Lyrik war politisch und ohne Parolen. Sie benennt das, was andere verschweigen oder unter dem Mantel gesellschaftlicher Konventionen gar nicht erst zu erkennen vermögen. In der Nachkriegsgesellschaft, die auf Aufbau und Vergessen setzt, weist sie auf das Fortbestehen autoritärer Denkmuster hin – sprachlich präzise und inhaltlich kompromisslos.

Auch in ihren Hörspielen, Essays und späteren Prosawerken setzt sie sich mit Machtverhältnissen auseinander. Sie zeigt, wie Sprache strukturelle Gewalt transportiert und am Leben hält und vor allem: welche Folgen das für die Betroffenen hat.

Malina: Bachmanns literarischer Aufschrei gegen die Gewalt an Frauen

Malina, ihr einziger zu Lebzeiten veröffentlichter Roman, erscheint 1971. Das Buch ist Teil des geplanten, aber unvollendeten Zyklus Todesarten, in dem sie systematische Gewalt gegen Frauen literarisch analysieren wollte.

In Malina (1971) zeigt Ingeborg Bachmann, wie eine Frau in einer von männlicher Logik und Gewalt bestimmten Gesellschaft zerrieben wird. Die namenlose Ich-Erzählerin steht zwischen zwei Männern: dem emotional unerreichbaren Ivan und dem rational kontrollierten Malina. Was wie eine Dreiecksgeschichte beginnt, entwickelt sich zur Analyse eines Systems, in dem weibliche Subjektivität keinen Platz hat.

Buchcover von Malina, dem einzigen Romans Ingeborg Bachmanns
Buchcover: Malina von Ingeborg Bachmann

Der Roman zeigt psychische Zersetzung nicht als individuelles Problem, sondern als gesellschaftliche Folge. Die Frau wird zunehmend sprachlos, bis sie am Ende wortwörtlich verschwindet. Der letzte Satz: Es war Mord.“, benennt das, was der Text über 300 Seiten hinweg beschreibt: strukturelle Gewalt gegen Frauen, literarisch präzise aufbereitet.

Malina ist kein einfacher Roman, aber ein notwendiger. Bachmann verbindet Literatur und Gesellschaftskritik auf radikale Weise und bleibt damit bis heute relevant. Der Roman wurde lange als schwierig, unverständlich oder „neurotisch“ abgetan. Dieses Urteil sagt mehr über den Literaturbetrieb der damaligen Zeit, als über das Buch selbst aus.

Liebe, Konflikte und ein literarisches Vermächtnis

Bachmanns Leben war eng mit der europäischen Literaturszene der Nachkriegszeit verbunden. Ihre Beziehungen zu Paul Celan und Max Frisch waren geprägt von geistigem Austausch, aber auch von Machtgefällen. In Briefen und später veröffentlichten Aufzeichnungen wird deutlich, wie sehr sie gegen die Reduzierung auf die „Frau an seiner Seite“ ankämpfte. Sie wollte nicht bewundert, sondern ernst genommen werden und das sowohl als Autorin, als Denkerin und als politische Stimme.

Titelcover Ingeborg Bachmann und Max Frisch, "Wir haben es nicht gut gemacht".
Bildcredits: Suhrkamp

Der nun erstmals vollständig zugängliche Briefwechsel  „Wir haben es nicht gut gemacht“, der rund 300 Briefe beinhaltet, zeigt: Die Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch war von gegenseitigen Erwartungen, Verletzungen und Spannungen geprägt.

Sie war keine einseitige Tragödie, sondern ein konfliktreiches Verhältnis zweier starker, aber auch verwundbarer Persönlichkeiten. Bachmann bleibt nach dem Bruch stark gezeichnet zurück. Ihr literarisches Werk zeugt davon. Die Beziehung ist längst Teil der Literaturgeschichte, nicht zuletzt, weil sie Spuren in den Arbeiten beider Intellektueller hinterlassen hat.

Bachmanns Tod

Ingeborg Bachmann stirbt 1973 in Rom an den Folgen eines Brandunfalls, ausgelöst von einer Zigarette, die sie beim Einschlafen vergessen haben muss. Sie wird ins Spital eingeliefert. Vor dem Brandunfall schluckt sie jeden Tag unzählige Medikamente und Beruhigungsmittel. Weil im Spital niemand davon weiß, kommt es zu epileptischen Anfällen. Am 17. Oktober 1973 stirbt Bachmann mit 47 Jahren an den Folgen des Entzugs. Ihr Tod ist abrupt, ihr Werk bleibt unvollendet. Doch der Einfluss, den sie mit ihrer Arbeit auf die Welt hat, bleibt ungebrochen.

Der Ingeborg-Bachmann-Preis, der seit 1977 jährlich in Klagenfurt vergeben wird, erinnert an ihr Werk und an ihren Anspruch, Literatur nicht nur als Kunstform, sondern als gesellschaftlichen Beitrag zu verstehen.

Aufmerksamkeit für das Verdrängte

Mit großer sprachlicher Direktheit entlarvt sie ideologische Erscheinungen und macht erfahrbar, wie tief sich autoritäre Denkweisen in das Private und Intime eingeschrieben haben. Besonders in ihren Erzählungen und Hörspielen schafft sie Räume, in denen das Unsagbare benannt wird. Bachmanns Schreiben war nicht nur literarisch innovativ, sondern auch politisch dringlich: Sie fordert Aufmerksamkeit für das Verdrängte und verleiht jenen eine Stimme, die in der öffentlichen Erinnerung unsichtbar gemacht worden waren.

Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar.

Bachmann hat nie für den literarischen Konsens geschrieben. Sie hat gestört, gefordert und schonungslos das benannt, was andere verschweigen wollten. Genau deshalb lohnt es sich, sie heute wieder zu lesen.

Eine Hymne für das Leben

So düster ihre literarischen Analysen bisweilen wirken mögen, Bachmann zeigte in ihren Werken auch die schönen Seiten des Lebens. In ihrem Gedichtband „Anrufung des Großen Bären“ (1956) veröffentlichte sit mit „An die Sonne“ eine der schönsten Hymnen an das Leben, die die deutschsprachige Literatur je hervorgebracht hat.

Schöner als der beachtliche Mond und sein geadeltes Licht,
Schöner als die Sterne, die berühmten Orden der Nacht,
Viel schöner als der feurige Auftritt eines Kometen
Und zu weit Schönrem berufen als jedes andre Gestirn,
Weil dein und mein Leben jeden Tag an ihr hängt, ist die Sonne.

Schöne Sonne, die aufgeht, ihr Werk nicht vergessen hat
und beendet, am schönsten im Sommer, wenn ein Tag
An den Küsten verdampft und ohne Kraft gespiegelt die Segel
Über dein Aug ziehn, bis du müde wirst und das letzte verkürzt.

Ohne die Sonne nimmt auch die Kunst wieder den Schleier,
Du erscheinst mir nicht mehr, und die See und der Sand,
Von Schatten gepeitscht, fliehen unter mein Lid.

Schönes Licht, das uns warm hält, bewahrt und wunderbar sorgt,
Daß ich wieder sehe und daß ich dich wiederseh!

Nichts Schönres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein…

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