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Junger Musiker kritisiert mit “Ischgl Blues” Schiindustrie – 500.000 Aufrufe trotz Zensurversuchen

Bild: Facebook/MarcusMusicMaker

Der junge Salzburger Künstler Marcus Hinterberger sorgt derzeit für Aufsehen im Netz: Sein „Ischgl Blues“ wurde in nur wenigen Tagen mehr als 200.000 Mal angesehen – trotz Zensurversuchen der Tourismus-Industrie. In seinem Satire-Song nimmt er das Corona-Versagen in Ischgl auf die Schaufel. Zum Ärger der Tourismus-Branche und zur Freude vieler anderer. Im Interview spricht Hinterberger über Kunst, die viel mehr kann als Geld. Und über einen Tourismus, der statt auf die Region nur mehr auf die eigene Geldbörse schaut. Ganz unten ist der ganze Text des Ischgl Blues.

Dieses Video sorgt für Aufsehen: Marcus Hinterberger kritisiert mit seinem Satire-Song die Schiindustrie. Ganz unten ist der ganze Text des Ischgl Blues.

Wenn Marcus Hinterberger seinen „Ischgl-Blues“ singt, hören mittlerweile etwa 500.000 Menschen zu. So oft wurde sein Video in nur wenigen Tagen angeklickt. Dabei hat der junge Künstler seinen Song zwischenzeitlich sogar löschen müssen: Die Tourismus-Branche machte Druck auf den 20-jährigen Hinterberger, weil er in seinem Lied das Corona-Management von Ischgl auf die Schaufel nimmt. Zur Erinnerung: Vom Skiort aus verbreitete sich das Virus in die ganze Welt, weil die Seilbahnen und Après Ski Bars zu spät zusperrten.

Im Lied-Text heißt es unter anderem: „Ka Mensch will mehr nach Ischgl und scho goar ka Après Ski. Und die Umsätz´ von der Bergbahn, die san a nu dahi“. Die Satire von Marcus Hinterberger stößt Hoteliers und Seilbahn-Betreibern sauer auf. Sie ärgern sich über seinen Text („I leg auf an schlechten Schloger, und nenn das Gonze Apré Ski. Es is wurscht wenn das bergo geht, weil i Vorstand von der Seilbahn bi“) und lösen einen Shitstorm aus. Diese Anfeindungen rufen aber auch Unterstützer des jungen Künstlers auf den Plan. Sogar der Musiker Hans Söllner teilt den „Ischgl-Blues“ auf Facebook.

Vom Erfolg ist Marcus Hinterberger selbst überrascht. Aufgewachsen in Saalbach-Hinterglemm, studiert der 20-Jährige mittlerweile in Passau Regie und Schauspiel. Dabei geht es ihm ohnehin um etwas anderes, wie er im Interview mit der Neuen Zeit erzählt: Um Kunst, die viel mehr kann als Geld.

Interview mit Marcus Hinterberger

Neue Zeit: Derzeit sorgt dein „Ischgl-Blues“ für Aufsehen. Darin machst du dich satirisch über das Corona-Versagen des Tourismus-Ortes lustig und singst etwa „es is wurscht wenn des bergob geht, weil i Vorstand von der Seilbahn bin“. Wie kam es zu diesem Text?

Marcus Hinterberger: Der Song ist schon im Sommer entstanden. Da hat Ischgl darüber diskutiert, sich jetzt als Luxus-Après-Skiort zu verkaufen, damit die Gäste doch wiederkommen. Darüber habe ich dann einen Text geschrieben.

Und der hat einige verärgert. Zum Beispiel den Vorstand eines Ischgler Seilbahn-Betriebes, der dir einen erbosten Brief geschrieben hat und dich als „Möchtegernkünstler mit einem niveaulosen Werk“ beschimpft.

Natürlich kann man alles kritisieren, aber man muss halt auch damit leben, dass wir in einem freien Land sind und nicht in einer Tourismus-Diktatur. Als Seilbahn-Vorstand sitzt man ohnehin schon am hohen Ross und muss nicht auch noch jemanden einschüchtern wegen einem Lied, das ein paar Hundert Klicks auf Facebook hat. Ich habe den Brief dann öffentlich geteilt und mich bedankt bei all meinen Unterstützern. Bei den freiwilligen aber auch bei den unfreiwilligen – wie eben den Seilbahnvorstand. Ohne seine emotionale Reaktion wäre der Ischgl-Blues nie so durch die Decke gegangen.

Markus Hinterberger Ischgl Blues Text
Der 20-jährige Musiker Marcus Hinterberger sorgt mit dem Text seines Ischgl Blues für viel Aufsehen. Kritik nimmt er mit viel Humor. // Foto: privat

Was antwortest du dem Seilbahn-Unternehmer auf seinen Brief?

Sie haben mir im Brief ironischerweise einen Vorstandsposten beim Seilbahn-Betrieb angeboten, weil man da ja laut meinem Song-Text eh nur Porsche fahren und beim Après Ski Geld ausgeben müsse. Das Angebot des Vorstandspostens ist natürlich sehr verlockend. Vor allem wenn man bedenkt, dass man neben dem Erhalt der Arbeitsplätze in der Region noch Zeit hat, unbekannten Musikern einen Vorstandsbrief zu schreiben. Aber ich sehe mich bei den Anforderungen – Porsche fahren und Geld beim Après Ski ausgeben – nicht qualifiziert dafür. Deswegen konzentriere ich mich lieber auf meine eigenen Projekte. Da werden sicher weitere Briefe folgen. Den Vorstandsposten im Seilbahn-Unternehmen muss ich leider dankend ablehnen.

Aber ich kann gerne anbieten, den Seilbahn-Betrieb beim nächsten Mal in der Öffentlichkeitsarbeit zu beraten. Da lernt man im Handbuch wahrscheinlich im ersten Schritt, dass man als Großer nicht auf einen Kleinen losgeht. Sonst macht man das Thema erst recht zum Thema. Das ist in diesem Fall passiert, deshalb kann ich mich eigentlich nur bedanken.

Wir lachen jetzt darüber, aber steckt nicht vielleicht auch was Ernsteres dahinter? Ist nicht genau das Aufgabe der Satire, was dir mit dem Ischgl-Blue gelungen ist: die Mächtigen zu ärgern?

Der Satire wird oft nachgesagt, dass sie nicht bewirke, aber gerade der Ischgl-Blues hat mich jetzt eines Besseren belehrt. Satire kann etwas bewirken. Gerade die emotionalen Reaktionen des Seilbahn-Vorstandes und auch vieler Hoteliers zeigen, dass ich irgendwie einen Nerv getroffen habe. Die Nerven liegen überall in der Hotellerie blank wegen den Corona-Verordnungen. Aber das ist kein Grund, das Sprechen über das Thema zu verbieten. Ich verstehe, dass es um Existenzen geht. Gerade deswegen ist der Zeitpunkt jetzt nicht schlecht, eine Nachdenkpause einzulegen.

Was müsste sich denn aus deiner Sicht in dieser Nachdenkpause ändern? Was läuft falsch?

Das ist nicht meine Aufgabe als Künstler, mit erhobenem Zeigefinger auf jemanden zu zeigen und zu sagen, wie die Skigebiete zu organisieren sind. Der Tourismus hat ja auch einen extremen Reichtum in Bergbauerndörfer gebracht, die früher ärmer waren. Das ist ja völlig in Ordnung. Ich glaube nur, irgendwann hat man den Punkt übersehen, wo man nicht mehr auf den Ort schaut, sondern nur mehr darauf, die eigene Brieftasche zu befüllen. Dann passieren solche Sachen wie in Ischgl. Das hat auch Auswirkungen auf den Umweltschutz zum Beispiel. Da werden für ein paar Pistenkilometer ganze Schutzgebiete eingestampft. Oder es wird auf die Bewohner des Ortes zu sehr vergessen. Das wäre jetzt eine Gelegenheit, sich zu fragen: Wie kann der Tourismus uns bereichern und wie können wir gleichzeitig unsere Heimat erhalten?

Wie?

Gerade die Ischgler schmücken sich oft mit Heimatschutz und Patriotismus, das ist auch in Ordnung. Aber wer seine Heimat liebt, der sollte doch darauf schauen, sie zu bewahren und nicht zu verkaufen.

In einem Gedicht schreibst du: „Geld kann vieles, Kunst kann mehr“. Was kann Kunst alles?

Kunst kann Themen verarbeiten, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Das ist ihr Trumpf. Sie kann eine Bewegung auslösen. Mit Geld kann man Inserate kaufen und vielleicht auch Meinungen, aber in die Kunst kann jeder hineininterpretieren, was er will. Das ist die große Macht der Kunst. Ich glaube ohne Kunst wäre unsere Gesellschaft um einiges ärmer. Um viele Dinge, die man sich mit Geld nicht kaufen kann.

Über 200.000 Mal wurde dein Ischgl-Blues in wenigen Tagen angesehen – was sind deine nächsten Pläne?

Naja, bei der Bundesregierung geht der Stoff für Satire natürlich nie aus. Aber das ist überall so. Und es gibt ja auch noch viel heiklere Themen als meinen Ischgl-Blues auf dieser Welt. Mich freut es jedenfalls, dass viele Leute ähnlich sehen, dass die Meinungsfreiheit in der Kunst das wichtigste ist. Um das geht´s mir in der Sache. Nicht, dass ich jetzt bekannt werde dadurch oder einen Vorteil daraus schlage, sondern dass man das als grundsätzliches Statement sieht: für Kunst- und Meinungsfreiheit.

Der ganze Text des Ischgl Blues

Ischgl Blues - der ganze Text von Marcus Hinterberger

Jo obn dort vom Paznauntol, dort von Ischgl kim i her.
Mei Vota, der wor Bauer, oba I bin Hotelier.
Wei I fohr mit meim Porsche mit am Hunderter durchs Ortsgebiet.
Jo und Obschluss hon I a koan, oba den brauch i jo zum Gödverprassen nit.

Jo außi mit de Fockn und stopf eini in Stoll di Gäst,
kauf die Wurschtplottn vom Lidl und sog: Mei Resort is the best!
I leg auf an schlechten Schloga und nenn des gonze Apres Ski.
Es is wuascht, wonn des bergob geht, weil I Vorstand von der Seilbohn bi.

Obas es is ondas kemmen, ge? Leider, leider.

Weil koa Mensch wü mehr noch Ischgl und scho goa koan Apres Ski,
und die Umsätz von da Bergbohn, jo die san ah no dahin.
Und des ois nur wegen dera Saufbar, die hot die gonzen Viren verstreit.
Und wie kimmt ma auf den Nomen? “Kitzloch” hoascht bei uns es Weiberleit.

Oiso sitz ma in da Gemeinde und überlegn die Strategie.
Und auf oamoi kimmts ma gschossn: Wir mochn Luxus Apre Ski!
Stott die Amigos gibts jetzt Mozart und stott die Flügerl an Cuvée.
Jo wie sich die Zeiten ändern, oba die Piefke holt ma immer no am Schmäh.

Jo i siech schon wia se kemmen, Thorsten, Frauke und Chantal,
i hoff dass sie net merkn, dass de Schneckn ausm Bochbett san.
“Ach kuck mal, Thorsten-Detlef, die ham ja Granderwasser von der Quelle im Ort!”
Jo wonn die Preißn wisstn, Granderwossa is wonnsch einisoachsch.

Jo boid wolln olla wieder noch Ischgl und vorbei die Einsamkeit.
I leg auf an roten Teppich und die Preißn hom a Freid.
Oba des san no ollas Träume, jo Ischgl wird gwinnan zum Schluss.
Und jetzt sitz i auf da Pistn und pfeif alloan mein Ischgl Blues.

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